Eskalation statt Entspannung: Punkto EU-Beziehungen steht Bundespräsidentin Doris Leuthard zum Ende ihres Amtsjahres vor einem Scherbenhaufen. Wie konnte es soweit kommen?
«Gewisse EU-Länder werfen uns in den gleichen Topf mit Grossbritannien und möchten ein Exempel statuieren», sagt Leuthard in einem Interview mit dem Sonntagsblick. Andere Staaten wollten verhindern, dass der Schweizer Bankenplatz gestärkt werde oder empfänden die Schweiz als Rosinenpicker. «Uns fehlen die Freunde», bilanziert Leuthard. Sie vermisst den früheren deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble bei den Verhandlungen schmerzlich, der immer ein offenes Ohr für Schweizer Anliegen gehabt habe.
Leuthard wünscht sich eine baldige Volksabstimmung über die EU-Beziehungen. Der bilaterale Weg sei wichtig für die Schweiz. «Wir müssen unser Verhältnis zu Europa daher klären! Wir müssen wissen, in welche Richtung wir gehen. Dazu wäre eine grundlegende Abstimmung hilfreich. Denn es gibt keine Alternative zur EU.»
Wie die Zeitung weiter schreibt, will der neue Aussenminister Cassis ein neues Staatssekretariat für Europa schaffen. Damit könnte er einen Neuanfang im verkachelten EU-Dossiert starten und die bisherige Chefunterhändlerin Pascale Baeriswyl auswechseln.
Doris Leuthard bestätigte der Zeitung, dass Cassis dem Bundesrat entsprechende Ideen informell vorgestellt habe. Chef der neuen Behörde soll Roberto Balzaretti werden. Der ehemalige Schweizer Vertreter in Brüssel betreibe hinter den Kulissen kräftig Lobbyarbeit für das neue Staatssekretariat.
Nach dem Crash mit der EU fährt derweil SP-Chef Christian Levrat schweres Geschütz gegen den neuen Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) auf: Er betitelt Cassis als aussenpolitischen «Praktikanten», wie die Sonntagszeitung berichtet.
Seine harschen Worte begründet Levrat wie folgt: «Der Bundesrat hat kapitale Fehler gemacht, die den Konflikt mit der EU haben eskalieren lassen». Er spricht von einer «Kakofonie in der Landesregierung», die nicht vom Aussenministerium geführt werde. Zudem, so Levrat, «war das «Treffen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker miserabel vorbereitet. Es hat die Schweiz unter Zugzwang gebracht».
Schliesslich bezeichnet er die Krisensitzung des Bundesrats als «totale Überreaktion», die die Situation nur noch weiter verschärft hat. So könne es nicht weiter gehen: «Cassis muss jetzt aus seiner Praktikantenrolle rauskommen und endlich Verantwortung übernehmen», sagt er.
(amü)