Wer einen Agenten einmal in echt sehen wollte, der fand sich am Mittwochmorgen im Gerichtssaal II an der Konrad-Adenauer-Strasse in Frankfurt am Main ein. Daniel M., gebürtiger Solothurner, Ex-Polizist und zweifacher Vater, musste sich vor dem Oberlandesgericht Frankfurt verantworten. Ihm wird Spionage im Dienste einer fremden Macht vorgeworfen.
Konkret soll Daniel M. Personendaten über deutsche Steuerfahnder dem Schweizer Geheimdienst NDB ausgehändigt haben. Überdies wirft ihm die Anklage vor, im Auftrag des NDB einen Maulwurf in der Finanzbehörde von Nordrhein-Westfalen platziert zu haben.
Die Protagonisten hatten dann aber wenig Ähnlichkeit mit dem Cast eines Agententhrillers. Daniel M., weisser Vollbart, weinrotes Hemd, die allwettertaugliche Jacke um den Arm geworfen, wirkte eher wie ein Statist in einem Werbespot für Hikingtrails.
Der treuherzige Blick des jung gebliebenen Mittfünfzigers verstärkte den Eindruck: Hier stand einer, der sich selbst nicht so richtig erklären konnte, wie das eigentlich alles passiert war. Dabei hat M. tatkräftig an seiner eigenen Enttarnung mitgearbeitet. Dass M. für den Geheimdienst NDB tätig war, ist von verschiedenen Seiten bestätigt. Ebenso, dass M. irgendwann im Jahr 2014 beschloss, mit gestohlenen Schweizer Kontodaten sein Einkommen aufzubessern.
M. lief in eine Falle der Schweizer Bundesanwaltschaft, die Akten über ihn fanden auf Umwegen zur Staatsanwaltschaft Nordrhein-Westfalen, die ihn im Mai 2016 in einem Hotel in Frankfurt verhaften liess.
Nach der Verlesung der Anklageschrift gab Daniel M. Einblick in das Leben eines Agenten. Geboren in Solothurn, wohnhaft in Zürich, verheiratet aber getrennt lebend, Vater zweier Töchter. Dann eine Laufbahn eingeschlagen als Polizist, schliesslich Sicherheitsexperte für die UBS, anschliessend selbständiger Privatermittler.
Flankiert wurde M. von drei Anwälten. Einer von ihnen, Robert Kain, war das deutsche Pendant zum Milieuanwalt Valentin Landmann, M.s Verteidiger in der Schweiz: Pferdeschwanz, hünenhafte Gestalt, Totenkopfring am linken kleinen Finger – die einzige Figur im Saal, die in einem Agententhriller durchgehen würde.
Robert M. hat schon in einer früheren Einvernahme gestanden, dass er mithilfe eines deutschen Privatermittler dem NDB Daten über drei deutsche Steuerfahnder lieferte. Auch gab er in der Untersuchungshaft zu, dass er vom NDB 90'000 Euro in Aussicht gestellt bekamt für das Einschleusen einer Informationsquelle in der Finanzverwaltung NRW.
Später zog er diese Aussage zurück. «Lapidar hingesagte Sachen» seien das gewesen, erklärte die Verteidigung. In einer Email aus dem Jahr 2012 von M. war aber ebenfalls von einer Zahlung von 90'000 Euro die Rede. Damit stand nun die Frage im Raum: Gibt es einen Maulwurf? Oder gibt es ihn nicht? Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt: es gibt ihn. Die Verteidigung hält dagegen: es gibt ihn nicht.
Schon nach 20 Minuten wurden die Prozessbesucher und die Medienvertreter aus dem Saal komplimentiert: Die Verteidigung wollte mit der Anklage über eine «verfahrendsbeendende Absprache reden» – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Unterredung brachte die Sache offenbar ins Rollen. Kurz vor Mittag war dann klar: Der Prozessauftakt nimmt ein frühzeitiges Ende.
So einigt man sich also auf einen Deal, oder besser: auf den Deal, einen Deal anzustreben. Für ein glaubhaftes Geständnis und Informationen zur Identität des angeblichen Maulwurfs stellte die Anklage eine Strafe auf Bewährung von 1,6 bis zwei Jahren in Aussicht. Zusätzlich sollte der Angeklagte einen Betrag von 50'000 Euro in Bar bei der Staatskasse hinterlegen. Die Verteidigung nannte diesen Vorschlag «nicht unrealistisch».
«Nicht unrealistisch», «machbar», «plausibel», «überzeugend», «hinreichend»: die in ausgeklügeltem Juristenjargon vorgetragenen Spiegelfechtereien trugen nicht dazu bei, Licht ins Dunkel zu bringen. Ein gewisser Unterhaltungsfaktor war der Verhandlung aber nicht abzusprechen. Etwa, als sich der Gerichtsvorsitzende von der detaillierten Wohnsitzangabe M.s überfordert zeigte: M. wohnt in einem Zürcher Dorf.
Mitunter nahm das Hin und Her im Gerichtssaal gar cabaretistische Züge an. Grosse Heiterkeit löste ein Schlagabtausch zwischen Anklage und Verteidigung aus, der damit endete, dass die Verteidiger die «faktische Unmöglichkeit» einer Aussage über den angeblichen Maulwurf feststellten, da ein solcher ja nicht existiere.
Das Gericht erklärte sich mit dem Vorschlag von Anklage und Verteidigung einverstanden. Auch der angekündigte Strafrahmen schien dem Gerichtsvorsitzenden angemessen. Voraussetzung sei, dass M. Informationen zur angeblichen Zahlung der mehreren zehntausend Euro mache: «Wir müssen wissen, was es mit dieser Zahlung auf sich hatte», sagte der Gerichtsvorsitzende. Gut möglich auch, dass im Verlauf der Verhandlung noch weitere Personen ins Visier der Justiz rücken. Das Gericht sprach vieldeutig von einigen Personen, «die sich in diesem Prozess verstecken».
Um Punkt 11.47 Uhr war der erste Prozesstag beendet. Ein Polizist öffnete die schwere, schalldichte Glastür, die den Gerichtssaal vom Zuschauerraum trennte: Nach 174 Tagen in Untersuchungshaft durfte Daniel M. seine Töchter wieder umarmen.
Die Verhandlung soll am nächsten Donnerstag fortgesetzt werden.