Schweiz
Gesellschaft & Politik

Von Aeschi über die AHV bis Rösti: Das war das Schweizer Politjahr 2025

Pierre-Yves Maillard, Praesident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB, freut sich ueber die erste Prognose zum Abstimmungsergebnis zur 13. AHV Rente Initiative, am Sonntag, 3. Maerz 2024, in Be ...
Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard kann es nicht glauben: Die 13. AHV-Rente ist Tatsache.Bild: keystone

Auto, Aeschi, AHV – ein Rückblick auf das Schweizer Politjahr in 5 Punkten

Ein intensives, emotionales und aufgeladenes Schweizer Politjahr neigt sich dem Ende zu. Diese fünf Ereignisse gaben zu reden.
29.12.2024, 05:04
Mehr «Schweiz»

13. AHV-Rente

Der Jubel bei Linken und Gewerkschaften war riesig. Am 3. März dieses Jahres hat das Schweizer Stimmvolk erstmals überhaupt eine Volksinitiative angenommen, die einen Ausbau des Sozialstaats zur Folge haben wird. Und das erst noch sehr deutlich: 58 Prozent wollten, dass Rentnerinnen und Rentner ab 2026 eine 13. AHV-Rente erhalten. Ein intensiv und ruppig geführter Abstimmungskampf endete für die Linken perfekt.

Samira Marti, Co-Fraktionspräsidentin bei der SP, sagte nach der Abstimmung zu watson: «Mit einem solch starken Zeichen für die Stärkung der Kaufkraft hätte ich nie gerechnet. Ich freue mich für all diejenigen Menschen, die von dieser zusätzlichen AHV-Rente profitieren werden.»

Die Nationalraetinnen Samira Marti, SP-BL, Mattea Meyer, SP-ZH, Vania Alleva, Praesidentin Unia, Pierre-Yves Maillard, Praesident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB, von links, freuen sich ue ...
Linke und Gewerkschaften jubeln über das Ja zur 13. AHV-Rente.Bild: keystone

Der Sieg war aus Sicht der Linken umso süsser, weil gleichentags die Renteninitiative der Jungfreisinnigen Schiffbruch erlitt. Sie wollte das Rentenalter anheben und künftig automatisiert an die Lebenserwartung anpassen.

Wie sehr die 13. AHV-Rente bewegte, zeigte die Stimmbeteiligung. Sie lag bei über 58 Prozent, es war der neunthöchste Wert seit Einführung des Frauenstimmrechts im Jahr 1971.

Staenderat Thierry Burkart, Praesident FDP, spricht waehrend einer Medienkonferenz des Komitees gegen die Biodiversitaesinitiative, am Donnerstag, 13. Juni 2024 in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Bürgerliche Politiker wie FDP-Präsident Thierry Burkart warnen vor einem AHV-Defizit.Bild: keystone

Ein Zankapfel bleibt die Finanzierung, die nach wie vor ungeklärt ist. Der Initiativtext der Gewerkschaften macht dazu keine Angaben.

Bürgerliche warnen seit der Annahme der Initiative vor einem Milliardendefizit bei der AHV, linke Kräfte scheinen sich weniger Sorgen zu machen. Sie möchten die 13. AHV-Rente durch eine Anhebung der Lohnprozente finanzieren. Zur Debatte steht auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Der Ball liegt beim Parlament und im Falle einer Zusatzfinanzierung auch beim Stimmvolk.

AHV-Rechenfehler

Ein Rechenfehler in der Primarschule? Kein Problem. Einfach nochmals anfangen, vier mal sieben ergibt nun mal achtundzwanzig und nicht fünfunddreissig.

Ein Rechenfehler beim Bund hat dann schon grössere Auswirkungen, vor allem im Ausmass wie Anfang August kommuniziert.

Aufgrund von fehlerhaften Formeln hat der Bund das AHV-Defizit für das Jahr 2033 deutlich zu schlecht prognostiziert. Statt 7,3 Milliarden beträgt es «nur» 4 Milliarden.

Stephane Rossini, Direktor Bundesamt fuer Sozialversicherungen BSV, rechts, spricht neben Bruno Parnisari, Stv. Direktor BSV, Leiter des Geschaeftsfeldes "Mathematik, Analysen und Statistik" ...
Die Verantwortlichen des Bundesamtes für Sozialversicherungen müssen sich erklären.Bild: keystone

Einen Monat später kommunizierte der Bund dann die Korrektur der Korrektur. Gemäss Prognosen wird die AHV im Jahr 2033 69 Milliarden Franken statt 71,5 Milliarden ausgeben, der Berechnungsfehler beträgt also 2,5 Milliarden Franken. Gleich bleibt gemäss Bundesamt für Sozialversicherungen, dass mit der Einführung der 13. AHV-Rente ab 2026 ein AHV-Defizit droht.

Die fehlerhaften Zahlen zogen nicht nur beissende Kritik nach sich, sie hatten auch einen Gang vor das Bundesgericht zur Folge.

Weil das falsch prognostizierte AHV-Defizit im Vorfeld der Abstimmung «AHV 21» so im Abstimmungsbüchlein stand, hatten die Grünen und die SP Frauen Beschwerde eingereicht. Die Ausgangslage für den Urnengang sei verfälscht gewesen, so die Argumentation.

Lisa Mazzone, presidente du parti Les Vert-e-s suisse, Vania Alleva, presidente du syndicat UNIA, Mattea Meyer, co-presidente du parti socialiste suisse, Tamara Funiciello, membre du Conseil national  ...
SP Frauen und Grüne gelangten ans Bundesgericht.Bild: keystone

Der Stein des Anstosses: Das Schweizer Stimmvolk hat die Anhebung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre, ein Teil des Pakets «AHV 21», mit 50,55 Prozent Ja-Stimmen damals sehr knapp angenommen. Das stört SP-Nationalrätin Tamara Funiciello:

«Die Konsequenzen dieser Falschinformation, dieser mangelnden Transparenz, tragen nun die Frauen.»

Das Bundesgericht erteilte dem Anliegen der Beschwerdeführerinnen Anfang Dezember allerdings eine Abfuhr. Rechtssicherheit und das Vertrauen in Volksabstimmungen seien höher zu gewichten, so das einstimmige Urteil. Die Abstimmung wird also nicht annulliert, das Frauenrentenalter bleibt bestehen.

Thomas Aeschis Handgemenge

Körperliche Auseinandersetzungen kommen im Schweizer Politbetrieb höchst selten vor. Umso mehr sorgen sie für Schlagzeilen.

Im vergangenen Juni war der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk im Bundeshaus zu Besuch. Teil der Stippvisite war ein gemeinsames Foto mit Nationalratspräsident Eric Nussbaumer, dafür wurde die grosse Treppe in der Kuppelhalle vorübergehend gesperrt.

SVP-Fraktionspräsident Thomas Aeschi und SVP-Nationalrat Michael Graber wollten jedoch just in dem Moment die Treppe passieren, was die bewaffneten Bundespolizisten nicht goutierten. Doch Aeschi widersetzte sich der Anordnung und so kam es zum kurzzeitigen Gerangel.

Die Szene im Video:

Video: extern / rest/ZüriToday

Aeschi teilte ein Video des Vorfalls auf X und schrieb dazu: «Es geht darum, dass während der Session die parlamentarische Arbeit vor ausländischen Staatsbesuchen Vorrang hat.»

Ungleich direktere Worte wählte Parteikollege Graber. Dass sich gewählte Volksvertreter während einer Session im Bundeshaus nicht frei aufhalten könnten, sei ein Skandal. Auf den Einwand eines Polizisten, er führe nur Befehle aus, antworte Graber:

«Ihr wärt im Dritten Reich die Ersten gewesen, die Hitlers Befehle ausgeführt hätten.»

Eine Aussage, die SP-Co-Präsident Cédric Wermuth scharf kritisierte: «Schon wieder verharmlost die SVP Holocaust und Faschismus. Im Bundeshaus. Diese Respektlosigkeit vor den Opfern der Nazis macht mich sprachlos.»

GLP-Nationalrat Beat Flach und Mitte-Präsident Gerhard Pfister wiesen auf mehrere Lifte und Treppen hin, die zum Zeitpunkt des Fototermins frei zugänglich waren. «Wäre der Duma-Präsident gekommen, hätte man sich anders aufgeführt», schloss Pfister seinen Post auf X.

Gerhard Pfister, Mitte-ZG, Nationalrat und Parteipraesident spricht an einer Medienkonferenz zur Kostenbremse-Initiative, am Mittwoch, 17. April 2024, in Bern. Am 9. Juni stimmt die Schweizer Stimmbev ...
Mitte-Präsident Gerhard Pfister kann mit Aeschis Verhalten wenig anfangen.Bild: keystone

SVP-Bundesrat Albert Rösti wiederum stärkte Aeschi und Graber den Rücken. Gegenüber SRF sagte er: «Dass ein gewählter Parlamentarier, der ja allen bekannt ist, hier nicht die Treppe rauf und runter und seiner Arbeit nachkommen kann: Da bin ich der Meinung, das geht nicht.»

Ob die Aktion für Aeschi und Graber Folgen haben wird, darüber muss die Immunitätskommission des Nationalrats befinden. Ein definitiver Entscheid steht noch aus.

Unterschriften-Bschiss

Am Samstag um 8 Uhr morgens bei 5 Grad vor einem Einkaufszentrum stehen und Unterschriften für eine Volksinitiative sammeln, das war einmal. Zumindest für gewisse Komitees.

Neu lassen sich gültige Unterschriften kaufen. Kostenpunkt: bis zu 7.50 Franken pro Unterschrift. Zahlreiche Unternehmen bieten solche Dienstleistungen in der Schweiz mittlerweile an, die meisten sind in der Westschweiz ansässig. Doch diese Art der Unterschriftenbeschaffung kann auch schiefgehen, wie eine grosse Recherche des Tages-Anzeigers diesen Herbst zeigte.

Die Journalisten deckten auf, dass im Falle eines analysierten Initiativkomitees Tausende von eingekauften Unterschriften gefälscht und damit ungültig waren. Die Befunde: vielseitig. Inexistente Adressen, Unterzeichner, die seit Jahren nicht mehr in angegebenen Gemeinden wohnen, Unterschriftenbögen, die wirken, als seien sie abgeschrieben worden. Ein doppelt aufgeführter Mann sagte, dass er das entsprechende Begehren gar nie unterschrieben habe.

Noemie Roten, Direktorin Association Service Citoyen, posiert fuer den Fotografen mit einem Sammelbogen fuer die Unterschriftensammlung fuer die Service Citoyen-Initiative, am Mittwoch, 4. September 2 ...
Das Sammeln von Unterschriften wird zum Politikum. Bild: keystone

Die Recherche zeigte auch: Das Phänomen ist kein Einzelfall. Bei mehr als zehn Volksinitiativen wurden gefälschte Unterschriften festgestellt, darunter prominente Volksbegehren wie die SVP-Initiative gegen die 10-Millionen-Schweiz oder die Initiative gegen Massentierhaltung. Einmal waren bei 114 gleichzeitig eingereichten Unterschriften lediglich 3 davon gültig.

Die vom «Tages-Anzeiger» kontaktierten Unterschriftenfirmen wollen keine Stellung nehmen oder flüchten sich in Ausreden. Die Gemeinden sind oft machtlos, inzwischen nimmt sich die Bundesanwaltschaft der Sache an. Ein Experte sagt: «Wir müssen davon ausgehen, dass wir in den vergangenen Jahren über einige Volksbegehren abgestimmt haben, die nie hätten zustande kommen dürfen.»

Der Unterschriften-Bschiss war einer der grossen Polit-Aufreger in diesem Jahr und wird die Schweiz noch eine Weile beschäftigen.

Rösti und die Autobahnen

Vor ziemlich genau zwei Jahren wählte das Parlament Albert Rösti zum Bundesrat. Seither lief gefühlt alles zu seinen Gunsten. Ob Klimaschutzgesetz, Stromgesetz oder Biodiversitätsinitiative, das Stimmvolk stimmte stets im Interesse des ehemaligen SVP-Präsidenten ab. Bis zum 24. November dieses Jahres.

52,7 Prozent sagten etwas überraschend Nein zu Röstis Herzensprojekt, dem Autobahnausbau. Sechs Schweizer Autobahnteilstücke wollte der Bund ausbauen, zustande kommen diese Pläne vorerst nicht. Und das, obwohl die Schweiz ein Autoland ist. Jeder zweite Einwohner hat eines in der Garage stehen. Die Strasse macht beim Verkehr einen Anteil von 80 Prozent aus.

Wie schon bei der 13. AHV-Rente – damals votierte sogar eine Mehrheit der SVP-Basis für das linke Anliegen – stimmten SVP-Wählende nicht geschlossen im Sinne der Parteiparole.

Die Gründe für das Nein sind mannigfaltig. Politiker aus bürgerlichen Kreisen werten es als Statement gegen die zu starke Zuwanderung. Verfangen hat möglicherweise eher das Argument der Gegner, dass überlasteten Strassen nicht mit noch mehr Strassen beizukommen ist. Und bei den Bauern der Verlust von Kulturland.

Auch Vermutungen über ausufernde Kosten für die angedachten Projekte und ein potenziell steigender Benzinpreis haben Rösti sicher nicht geholfen.

Doch der Verkehrsminister gibt nicht auf. Das Gesamtpaket könne zwar nicht umgesetzt werden, so Rösti, einzelne Projekte allenfalls aber schon. Ob diese das Problem der jährlich 48'000 Staustunden zu lösen vermögen, wird sich zeigen.

Fazit

Die Analyse zeigt: Langweilig war es in diesem Politjahr definitiv nicht. Und die hiesige Politlandschaft dürfte uns auch 2025 auf Trab halten. Das Verhandeln mit der EU geht weiter, am 9. Februar steht zudem der erste Abstimmungssonntag auf dem Programm. Und die Krankenkassenprämien dürften auch nicht urplötzlich günstiger werden.

Auf ein intensives, emotionales, aber hoffentlich etwas weniger aufgeladenes Schweizer Politjahr 2025.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
8 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Linus Luchs
29.12.2024 09:36registriert Juli 2014
Mir ist dieses Jahr auch aufgefallen, dass Albert Rösti wissenschaftliche Berichte zur Biodiversität ins Gegenteil verkehren lässt und dasselbe Regierungsmitglied Donald Trump wählen würde.
296
Melden
Zum Kommentar
avatar
Hösch
29.12.2024 10:32registriert März 2022
Wenn der Aeschi einen offiziellen Fototermin der höchsten schweizer Funktion (Nationalratspräsident) als Behinderung seiner Funktion wahrnimmt ist dem halt so.

Aber wer da den regulären parlamentarischen Betrieb gestört hat ist eine andere Frage.
204
Melden
Zum Kommentar
8
    65-jähriger Italiener wegen Millionen-Goldschmuggel in der Schweiz angeklagt

    Behörden haben einen millionenschweren Goldschmuggel von Italien in die Schweiz aufgedeckt und einen Schmugglerring zerschlagen. Gegen einen 65-jährigen Italiener, der an der Spitze des Rings gestanden haben soll, wurde Anklage erhoben, unter anderem wegen Abgabebetrugs und Steuerhinterziehung.

    Zur Story