Da half auch die Klimaanlage nicht mehr: In der ehrwürdigen Aula im zweiten Stock des Hauptgebäudes der Universität Bern stiegen die Temperaturen am Donnerstag wegen der kombinierten Belastung durch den heissen Sommertag und die rund 250 interessierten Gäste der Diskussionsveranstaltung mit dem Titel «Ein Pacs für die Schweiz?». «Ein heisses Thema für einen heissen Tag», sagte Bundesrätin Simonetta Sommaruga während ihrer Einleitungsrede.
Der «Pacte civil de solidarité» existiert in Frankreich seit 1999. Die Rechtsform regelt Fragen wie Beistandspflicht, Besuchs- und Informationsrecht bei Spitalaufenthalten und ermöglicht den Verbleib in der gemeinsamen Wohnung bei einer Trennung oder einem Todesfall.
Bis 2018 muss der Bundesrat aufgrund eines Postulats von FDP-Ständerat Andrea Caroni in einem Bericht prüfen, ob ein Pacs auch hierzulande sinnvoll ist. Noch hat sich die Landesregierung auf keine offizielle Position festgelegt, was die als «Ehe light» bezeichnete Rechtsform angeht.
Offen ist gemäss Sommaruga auch, in welcher Form die Schweiz den Pacs allenfalls umsetzen würde – die Erfahrungen in Frankreich und Luxemburg zeigten, welche Fragen mit einem Pacs geregelt werden können. «Der Pacs regelt, was im Alltag eines Paares Bedeutung hat», sagt Bundesrätin Sommaruga.
Bundesrätin Sommaruga betonte an der Universität Bern, das Recht sollte die aktuellen, unterschiedlichen Lebensrealitäten spiegeln. Mit der Einführung der Stiefkindadoption für Homosexuelle oder dem gemeinsamen elterlichen Sorgerecht als Regelfall bei Scheidungen habe man bereits erste Schritte in diese Richtung gemacht.
Das Ziel dieser liberalen Reformen: «Alle sollen so leben können, wie sie es für richtig halten, ohne für ihre Lebensweise oder sexuelle Orientierung vom Gesetz benachteiligt zu werden.» Im Video-Interview mit watson erklärt Sommaruga die wichtigsten Punkte zum Pacs:
Das Zusammenleben habe sich in den letzten Jahrzehnten stark geändert – beispielsweise seien heute 20 Prozent der Paare, die zusammenlebten, unverheiratet. Der Bundesrat kläre deshalb ab, ob es für Konkubinatspaare ein Bedürfnis gebe, gewisse rechtliche Fragen im Rahmen eines Pacs zu regeln.
Die Frage, ob die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet werden solle, müsse man von der Diskussion über den Pacs klar trennen. Bei der «Ehe für alle» seien die Diskussionen im Parlament schon weit fortgeschritten, beim Pacs stehe man ganz am Anfang eines langen Prozesses.
Der Staat müssen den Menschen die Freiheit lassen, selber über die Form ihres Zusammenlebens zu entscheiden. Für den Bundesrat sei klar, dass die Ehe wichtig bleibe. Das schliesse aber nicht aus, dass man für Paare, die nicht heiraten wollten, einen anderen rechtlichen Rahmen schaffe.
In Frankreich ist die «Ehe light» bereits dermassen etabliert, dass sich das Verb «pacser» im täglichen Sprachgebrauch eingebürgert hat. Über die Standardregeln wie Beistandspflichten oder Besuchsrecht hinausreichende Detailfragen können Paare individuell regeln. Ein gemeinsames Adoptionsrecht für Kinder ist hingegen ausgeschlossen. Um einen Pacs abzuschliessen, genügt ein Formular. Über die Auflösung eines Pacs muss lediglich ein Gericht informiert werden.
Französische Paare gingen im Jahr 2015, aus dem die neuesten Zahlen stammen, insgesamt 425’263 rechtlich anerkannte Verbindungen ein. Mit 55 Prozent entschieden sich nur etwas mehr als die Hälfte von ihnen für die Ehe. Die restlichen 45 Prozent gingen einen Pacs ein.
Seit 2013 steht gleichgeschlechtlichen Paaren in Frankreich auch die Ehe offen. Dennoch entschieden sich homosexuelle Paare prozentual gesehen leicht häufiger für einen Pacs und gegen die Ehe als heterosexuelle Paare. Gemäss Simonetta Sommaruga trennt sich in Frankreich nur ein Drittel der Pacs-Paare, während bei den Ehepaaren die Scheidungsquote bei 50 Prozent liegt.
Von der Einführung des Pacs 1999 bis zum Jahr 2015 sank die Zahl der jährlichen Eheschliessungen um 57’228 auf 236’316. Die Anzahl Pacs-Schliessungen stieg im selben Zeitraum von 6151 auf 188’947. Gemäss der NZZ am Sonntag deuteten diese Zahlen darauf hin, dass ein grosser Teil der Pacs-Paare ohne das neue Modell einfach ledig geblieben wäre.