Aus 1300 wurden 3670 Franken: Im Falle eines Genfer Ehepaars hat das Bundesgericht am Donnerstag einen neuen Grundsatzentscheid zum Betreuungsunterhalt gefällt. Demnach soll der Ex-Partner, der die Kinder betreut, Alimente in Höhe des Existenzminimums erhalten.
Die sechs wichtigsten Fragen und Antworten zum wegweisenden Urteil:
In erster Linie, weil damit die Unterhalts-Forderungen teilweise deutlich höher ausfallen können als bisher. Im Genfer Fall war erstinstanzlich verfügt worden, dass der Mann der Frau 1300 Franken pro Monat für ihren eigenen Unterhalt und den des Kindes bezahlen muss. Nach dem Verdikt des Bundesgerichts betragen die Unterhaltszahlungen neu insgesamt 3670 Franken.
An dem Präzedenzfall werden sich künftig die Gerichte im Land orientieren. In der Mitteilung des Bundesgerichts heisst es unmissverständlich: «Der Betreuungsunterhalt bemisst sich insofern nicht nach dem Einkommen der zahlungspflichtigen Person, sondern nach den Bedürfnissen des betreuenden Elternteils. Dabei ist im Prinzip auf das familienrechtliche Existenzminimum abzustellen.»
Das Existenzminimum bezieht sich dabei nur auf die nötigsten Ausgaben und hängt unter anderem von den lokalen Lebenshaltungskosten ab. Das Existenzminimum des Zahlenden bleibt dabei jedoch unangetastet.
Dies war von Kanton zu Kanton unterschiedlich und hing zudem vom Richter ab. In manchen Fällen musste die zahlende Person bereits das Existenzminimum der betreuenden Person decken. In anderen Fällen hiess es im Urteil, sie müsse den Prozentanteil des Lohnes ersetzen, der durch die Betreuung ausfällt.
Arbeitet eine Mutter zum Beispiel nicht mehr Vollzeit, sondern nur noch 50 Prozent, muss der Vater auch 50 Prozent des Lohnes ersetzen. In manchen Fällen griff man auf eine Pauschale von beispielsweise 1500 Franken im Monat zurück. Die Rechtssprechung war damit sehr grossen kantonalen Unterschieden unterworfen.
Das Bundesgericht betont aber in seiner Mitteilung, dass die Verantwortung für die Einschätzung, was Ausmass und Form der Betreuung anbelangt, weiterhin bei den kantonalen Richtern liegt.
Seit 2017 gelten diesbezüglich für alle Eltern dieselben Regeln – egal, ob sie vor der Trennung verheiratet waren, als Paar gelebt haben oder ob das Kind bei einem One-Night-Stand gezeugt wurde.
Davor mussten unverheiratete Väter (oder Mütter) noch deutlich weniger zahlen: Sie leisteten lediglich Unterhaltszahlungen für das Kind, entschädigten den Ex-Partner aber nicht für seine Betreuungsarbeit.
Beim Dachverband der Schweizer Vater- und Männerorganisationen männer.ch stösst das Urteil grundsätzlich auf Verständnis. «Eine Harmonisierung tut Not und es macht Sinn, dass man diese Methode zur Berechnung der Unterhaltszahlung so festsetzt», sagt Markus Theunert, Mitglied der Geschäftsleitung.
Das Problem sei, dass die eigentlichen Streitpunkte ungeklärt blieben. So etwa die Frage, ob und in welchem Umfang Männer einen Anspruch darauf haben, das Kind ebenfalls zu betreuen, wenn sie das wollen.
«Wenn ein Vater seine Arbeitszeit zu Gunsten von mehr Kinderbetreuung senken will, muss das möglich sein, auch wenn er vorher 100 Prozent gearbeitet hat», so Theunert. Man erwarte deshalb in nächster Zeit noch sehr viel weiterreichende Urteile des Bundesgerichts, etwa wenn es um die 10/16-Regel geht (siehe nächste Frage).
Unzufrieden ist man beim Dachverband auch mit der Formulierung, dass grundsätzlich nur Anspruch auf Auszahlungen nach der Lebensunterhaltungskosten-Methode besteht, wenn die Betreuung unter der Woche erfolgt.
«Das ist einfach realitätsfern», sagt Theunert. Personen, die am Wochenende arbeiten, würden damit ganz klar benachteiligt. «Heute ist es generell doch schon normal, dass man auch abends und am Wochenende arbeitet. Für Väter nach der Trennung und Scheidung verwischen die Grenzen vollends.»
Nach dieser Regel muss der betreuende Elternteil keiner Arbeit nachgehen, bis das Kind 10 Jahre alt ist. Danach ist eine Arbeitsstelle bis 50 Prozent zuzumuten. Erst wenn das Kind das 16. Altersjahr erreicht hat, kommt eine Vollzeitstelle wieder infrage. Dies verhindert laut Experten, dass sich Paare den Unterhalt und die Betreuung fair teilen.
Auch hier unterscheidet sich die Handhabung der Kantone stark. Während zum Beispiel Gerichte im Kanton Zürich die Regel nicht mehr oder nur noch selten anwenden, wird sie in anderen Kantonen immer noch als Leitfaden benutzt.
Theunert und die Väterorganisationen wünschen sich eine Abschaffung der Regel, weil sich daraus ein Nachteil für die Väter ergibt. «Erwerbsarbeit ist spätestens nach Schuleintritt zumutbar. Die heutige Regel ist auch im internationalen Vergleich eine völlige Luxus-Lösung», so Theunert.
Dabei könne es im schlimmsten Fall sogar dazu kommen, dass der Vater horrenden Unterhalt zahlen muss und gleichzeitig in die Betreuung des Kindes kaum einbezogen wird. «Das sorgt für viel Unmut», sagt Theunert.
Teilen sich Paare die Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit schon vor der Trennung Fifty-Fifty, erübrigten sich viele Probleme, sagte der spezialisierte Anwalt Thomas Gabathuler im Interview mit watson. «Im Idealfall können so nach einer Trennung beide Elternteile weiterhin für das Kind da sein und ihrem Job nachgehen – und keiner ist dem anderen finanziell etwas schuldig.»
Schwierig werde es meist, wenn die Paare während ihrer gemeinsamen Zeit eine traditionelle Rollenteilung wählten und die Weichen nach der Trennung plötzlich komplett anders stellen wollten.