Ja, die aufgemalten Grillstreifen auf Tofu-Bratwürsten sind lächerlich. Die Konsistenz lässt nicht selten zu wünschen übrig. Und beim Blick auf die Zutatenliste kann es einem schon mal kalt den Rücken runterlaufen. Na und?
Kollegin Simone Meier hat sich über den Entscheid der höchsten EU-Richter, Bezeichnungen wie «veganer Käse» zu verbieten, geradezu diebisch gefreut. Endlich zeigt's diesen Pflanzenfressern mal jemand! Dass «Fleischverzichter» nachts von einem «in Butter ausgebackenen Wiener Schnitzel träumen», und dennoch nicht wollen, dass ihretwegen Tiere getötet werden – allein der Gedanke an diese Doppelmoral scheint ihr unerträglich.
Warum nur? Wir leben in einer Zeit, in der fast alles erlaubt ist. Wir dürfen lieben, wen wir wollen. Sex haben, mit wem es uns gefällt. Bei der Wahl unseres Lebensstils auf jegliche gesellschaftlichen Normen pfeifen. Aber wehe, ein Vegetarier wagt es, etwas Wurstähnliches zu verspeisen – und es dann auch noch «Wurst» zu nennen!
Geht es um die Frage, ob jemand Tierisches isst oder nicht, brennen bei manchen Zeitgenossen die Sicherungen durch – auf beiden Seiten des Tofugrabens, wohlgemerkt. Wer sonst noch so rational argumentiert, wirft plötzlich mit trötzeligen Phrasen um sich. Und entwickelt eine Anspruchshaltung, die in jedem anderen Lebensbereichen als Anmassung empfunden würde.
Als Karnivorin erwarte sie von der fleischfreien Küche, dass diese keine Kopien fertige, sondern eine Erweiterung darstelle, schreibt Simone Meier. «Eine alternative Esskultur» fordert sie. Wie wohl die Reaktionen ausgefallen wären, hätte sie einer anderen Bevölkerungsgruppe als Aussenstehende eine «Kultur» verordnet? Oder, weniger dramatisch ausgedrückt: Was geht es sie an, was auf meinem Teller liegt?
Gewiss: Es ist ungleich stilvoller, ein original indisches Korma-Curry zu essen als sich ein Quorn-Schnitzel reinzupfeifen. Die Geschmacksexplosion des Rotkohl-Mango-Salats des Küchengotts Yotam Ottolenghi ist unerreicht, keine Seitanwurst der Welt kommt nur annähernd daran heran.
Und dennoch: Wenn es einen Vegi nach Trash-Food gelüstet (dem die watson-Redaktion erklärtermassen zugeneigt ist): Warum soll er der Versuchung nicht nachgeben?
Wer auf Fleisch oder andere tierische Produkte verzichtet, kann das aus verschiedensten Gründen tun. Ist es, weil man die industrielle Massenhaltung und das Schlachten von Tieren ablehnt? Den Geschmack von Käse, Milch oder Fleisch kann man trotzdem mögen. Ein Hoch auf die Lebensmittelindustrie, die Kopien erfindet, die dem Original geschmacklich zumindest ähneln, ohne dabei Tierleid zu verursachen.
Sind es ökologische Gründe, die jemanden zum Fleischverzicht bewegen? Ja, die Herstellung von Vegi-Produkten ist teilweise höchst energieintensiv. Aber kann nicht jeder Konsument selber entscheiden, was er mit seinem Gewissen vereinbaren kann?
Fast schon rührend ist schliesslich das Argument, die Vegi-Produkte seien «schwer verdaulich», «Allergien triggernd» und «wässrig». Liebe Simone, lass meine Verdauung, die Reaktion meines Körpers auf Allergene und meine Geschmacksknospen meine Sorge sein!
Die Logik, die den meisten Vegi-Wurst-Bashings zugrunde liegt, ist folgende: wer dem Fleisch schon abgeschworen habe, solle wenigstens konsequent Verzicht üben. Doch dem liegt ein Missverständnis zugrunde: Ich habe nichts unterschrieben, als ich Vegetarierin wurde. Nicht, dass ich ein besserer Mensch sein werde als andere. Nicht, dass ich mich gesünder ernähren werde. Und auch nicht, dass ich meinem Gaumen nur noch Gourmet-Food zumuten werde.
Wer A sagt, muss in dem Fall nicht B sagen. Aus dem individuellen Entscheid zu einer bestimmten Ernährungsweise lassen sich weder kulinarische noch moralische oder politische Konsequenzen ableiten. Immer vorausgesetzt, der Vegetarier fühlt sich seinerseits nicht dazu berufen, die Ernährungsweise seiner Mitmenschen zu kritisieren – und hier liegt wohl der Hund begraben.
Verständlich, dass sich angegriffen fühlt, wer sich beim Zmittag von militanten Vegetariern «Du-hast-da-ein-totes-Tier-auf-dem-Teller»-Gepöbel gefallen lassen muss. Liebe Karnivoren, machen wir einen Deal: Wir funken euch nicht in die Wahl eures Essens rein, und ihr uns nicht. Und dann trinken wir zusammen ein Bier – vegan oder nicht, ganz wie es euch beliebt.