Schweiz
Kommentar

BVG-Reform und Biodiversität: Ein fragwürdiges Doppel-Nein

Kantonsflaggen der Kantone, die Nein gestimmt haben, stehen in einer Milchkanne mit der Aufschrift "NEIN", beim Treffpunkt der Gegner der Biodiversitaetsinitiative ein, am Sonntag, 22. Septe ...
Die Gegner der Biodiversitätsinitiative siegten mit einem fragwürdigen Slogan.Bild: keystone
Kommentar

Ein fragwürdiger Erfolg für zwei «Fake News»-Kampagnen

Die BVG-Reform und die Biodiversitätsinitiative sind klar gescheitert. Verantwortlich waren Fehler der Befürworter, aber auch zwei Nein-Kampagnen an der Grenze des Zumutbaren.
22.09.2024, 15:1222.09.2024, 16:58
Mehr «Schweiz»

Politik ist kein Ponyhof. Oft wird mit harten Bandagen gefightet, besonders wenn das Stimmvolk das letzte Wort hat. Schlagworte sind wichtiger als differenzierte Argumente, und nicht immer nimmt man es mit der Wahrheit allzu genau. Bei der Reform der beruflichen Vorsorge und der Biodiversitätsinitiative aber haben es die Gegner sehr bunt getrieben.

Bei einer Annahme der Initiative zum Schutz der Artenvielfalt würden 30 Prozent der nutzbaren Fläche wegfallen, insinuierte das Nein-Komitee in seiner Kampagne. Mit einem Fragezeichen zwar, doch nichts davon steht im Initiativtext. Das 30-Prozent-Ziel wurde an der UNO-Biodiversitätskonferenz vor zwei Jahren in Montreal beschlossen.

Ein Abstimmungsplakat wirbt fuer ein Nein zur Aenderung des Bundesgesetzes ueber die Reform der beruflichen Vorsorge BVG, welche am 22. September 2024 zur Eidgenoesschen Abstimmung kommt, am Dienstag, ...
Die Aussage auf dem Plakat war in dieser Pauschalität schlicht falsch.Bild: keystone

Die Schweiz stimmte zu. Sie wäre somit verpflichtet, auf diesen Richtwert hinzuarbeiten – Volksinitiative hin oder her. Das führt zu einem bösen Verdacht: Den Gegnern aus dem Bauernverband ging es nicht nur darum, die Biodiversitätsinitiative zu bodigen, sondern einen Vorwand zu finden, um die Montreal-Umsetzung zu stoppen oder zu verwässern.

Komplexität ausgenutzt

Mit dem klaren Nein kommen sie diesem Ziel näher, deshalb ist das Ergebnis bedauerlich, auch wenn die Initiative Mängel hatte. Ähnlich sieht es bei der zweiten Vorlage aus, der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG). Sie wurde mit einer für Behördenvorlagen seltenen Deutlichkeit abgelehnt. Auch in diesem Fall schreckten die Gegner vor nichts zurück.

Das gilt besonders für die Gewerkschaften. Ihr Slogan «Mehr bezahlen. Weniger Rente» war in dieser Pauschalität schlicht falsch. Sie operierten mit fragwürdigen Zahlen und Fallbeispielen und schwadronierten über einen Teuerungsausgleich, der in der zweiten Säule nicht vorgesehen ist. Dabei nutzten sie die Komplexität der Materie mit einer seltenen Unverfrorenheit aus.

Bundesrätin im Schongang

Viele Menschen können oder wollen sich nicht zu intensiv mit der beruflichen Vorsorge herumschlagen, obwohl sie uns alle angeht. Geschadet hat der Vorlage auch die Kontroverse um die fehlerhafte AHV-Rechnung. Und die zuständige SP-Bundesrätin setzte sich mit höchst überschaubarem Eifer für die von den Bürgerlichen geprägte Reform ein.

Perfekt war die Vorlage nicht. So stiess die vorgesehene Kompensationsregelung für die Übergangsjahrgänge bei den Pensionskassen auf Widerstand. Bedauerlich ist das Nein trotzdem, denn wichtige Verbesserungen werden nun nicht realisiert, für Geringverdienende oder bei den Altersgutschriften, die in ihrer heutigen Abstufung ältere Arbeitnehmende benachteiligen.

Jene Gewerbler, die die BVG-Reform bekämpften, agierten kurzsichtig. Allein wegen des Fachkräftemangels werden sie gezwungen sein, ihrem Personal bessere Arbeitsbedingungen zu offerieren. Und die linke Gegnerschaft will «AHV-Elemente» in die zweite Säule einfügen, etwa Betreuungsgutschriften oder die Kompensationen aus dem Sozialpartner-Kompromiss.

Bei den Bürgerlichen wird sie es damit schwer haben. Es ist zu befürchten, dass nach der dritten gescheiterten Reform in 14 Jahren auf absehbare Zeit nichts gehen wird. Den Pensionskassen ist das egal, sie haben sich mit der heutigen Situation arrangiert. Leidtragende sind die Versicherten, und vor allem jene, die es bislang nicht sind.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Jaqueline Badran strahlt übers Nein zur BVG-Vorlage
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
207 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Nosferal
22.09.2024 15:22registriert Oktober 2018
Ich denke, dass das Hauptproblem der Biodiversitätsvorlage die Verknüpfung mit dem Ortsbild war.
36220
Melden
Zum Kommentar
avatar
N. Y. P.
22.09.2024 15:32registriert August 2018
Wäre ich König, hätten wir eine nationale Pensionskasse.

200 Spezialisten verwalten und vermehren den Pot. Gebühren gibts keine mehr. Reserven? Werden aufgelöst. Abzocke der Bürgerlichen, die wie Maden an den Pensiontöpfen sich befienen? Geschichte. Transparenz? Maximal vorhanden. Überobligatorium, etc. alles abgeschafft.

Reformen? Sind in 2 Stunden durchgerechnet. Genommen wird die AHV Nummer als Kontonummer mit Zusatz P.

Der Fonds ist weltweit diversifiziert in Aktien und Obligationen.

Wer macht mit?

🇨🇭
32160
Melden
Zum Kommentar
avatar
Janster
22.09.2024 15:27registriert März 2021
Also bei der Reform der Pension skassen wunder mich das nein nicht. Da müsste man einfach mal an die Ursachen und nicht die Symptome bekämpfen. Aber da hat die Finanzindustrie einfach gar kein Interesse dran. Uns kostet dieser luxus jedes Jahr ca. 8 Mia und das geht auch günstiger. Selbst wenn eine eing Einheitskasse 1 mia chf kosten würde käme so viel Geld bei den Sparern an.
17618
Melden
Zum Kommentar
207
«Ich schäme mich für diesen Fehler» – Ameti äussert sich erstmals nach Jesus-Schüssen
Sanija Ameti schoss im September auf ein Bild von Jesus und Maria, was einen medialen Shitstorm auslöste. Nun äussert sich Ameti erstmals in einem Interview, wie es ihr seither ergangen ist.

«Ich schäme und entschuldige mich dafür. Es war keine Provokation, es war ein Fehler», sagt Sanija Ameti, Co-Präsidentin der Operation Libero und Grünliberale-Politikerin, im Interview mit der «Schweiz am Wochenende».

Zur Story