Es fängt meistens mitten in der Nacht an: Das Kind weint. Es ist heiss. Und wach. Und kann nicht mehr einschlafen. Im schlimmsten Fall erbricht es sich. Als Elternteil weiss man schon zu diesem Zeitpunkt ganz genau: Morgen bleibst du zu Hause mit dem Kind, obwohl du arbeiten müsstest.
An Schlafen ist jetzt eh nicht mehr zu denken und am nächsten Morgen bist du deshalb froh, wenn du das Haus nicht verlassen musst. Ein Mail an den Chef «Sorry, Tochter krank, bleibe zu Hause, mache aber das und das ...», ein SMS an die Kindergärtnerin oder die Lehrerin, ein Telefon in den Hort.
Nächste Tasks: Dafalgan und Filme besorgen. Tee kochen. Im schlimmsten Fall waschen, waschen, waschen. Geschichten vorlesen, Bett frisch anziehen, trösten, füttern. Wenn das Kind schläft: Mails checken. Dann: Betreuung für den nächsten Tag organisieren. Ist Papa voll mit Terminen? Sind die Grosseltern zu haben?
Als berufstätige Eltern ertappt man sich in solchen Situationen dabei, wie man nach anderen Lösungen sucht, um trotzdem zur Arbeit gehen zu können. Soll man den Kleinen morgens ein fiebersenkendes Mittel verabreichen und sie trotzdem in die Schule und in den Hort schicken?
Eine Schule in Zürich hat nun Alarm geschlagen, und den Eltern in einem Brief mitgeteilt, dass sie ihren kranken Nachwuchs selber betreuen müssen. Die Reaktion der Schule ist verständlich, sie wirft aber auch die Frage auf, wer denn kranke Kinder betreuen soll: Die Eltern zu Hause oder allenfalls Pflegepersonal in Tagesschulen und im Hort?
Doch die Idee mit der Fremdbetreuung von kranken Kindern darf man hierzulande nicht mal aussprechen. Da wird dann sogleich die Rabeneltern-, Verwahrlosungs- und Staatskinder-Keule geschwungen:
Das Gegenteil ist der Fall: Politik und damit der Staat sind sehr wohl und durchaus gefordert. Sie sollten die veränderten Bedürfnisse in der Kinderbetreuung endlich erkennen und handeln, und sich nicht auf moralisierende Diskussionen einlassen wie «Dürfen Eltern ihre Kinder abgeben, wenn sie krank sind?».
Diejenigen Schulen, die überfordert sind, weil viele Kinder krank sind, sollten rasch und unkompliziert unterstützt werden – zum Beispiel mit dem Betreuungsdienst des Roten Kreuzes. Einige kranke Kinder könnten dadurch auch in der (Tages-)Schule und im Hort temporär betreut werden.
Sehr wohl und durchaus gefordert sind aber auch die Arbeitgeber: Sie haben zum Teil noch nicht kapiert, dass Mütter und Väter in der Schweiz je länger je mehr viel gute und wichtige Arbeit leisten. Dass sie aber auch mal einen Tag ausfallen können, wenn ein Kind krank ist, und dass diese Eltern dann nicht einfach «blau» machen. Vielleicht wäre das mal eine «Sensibilisierungs-Kampagne» wert?
Und all jene, die jetzt immer noch gerne das Schreckgespenst der «staatsverwahrlosten Kinder» an die Wand malen, kann ich beruhigen: Die meisten Eltern sind in der Lage, mal einen Tag zu Hause zu bleiben, wenn ihr Kind krank ist. Und das wollen sie auch. Für die wenigen andern – und für Notfälle – wäre eine Auffangeinrichtung nur sinnvoll und zeitgemäss.