Er hat alles gegeben und sich wie kaum ein Bundesrat zuvor für eine Vorlage ins Zeug gelegt. Nun steht Alain Berset vor den Trümmern einer Rentenreform, die er nicht einmal erarbeitet hatte. Sie entstand im Parlament durch eine Allianz angeführt von SP und CVP. Die Gegner reagierten mit heftiger Ablehnung. Das sind nie gute Voraussetzungen im Hinblick auf eine Volksabstimmung.
Das Nein kommt deshalb nicht völlig überraschend. In den meisten Ländern müsste Berset nun wohl zurücktreten. Die Schweiz aber tickt anders. Es ist dem SP-Bundesrat hoch anzurechnen, dass er auf einen Departementswechsel verzichtet hat und die Verantwortung für einen Neuanlauf übernimmt. Einfach wird dies nicht. Die Voraussetzungen sind im Gegenteil denkbar schlecht.
Rückblickend waren die 70 Franken AHV-Zuschlag für Neurentner keine so gute Idee. Sie boten den Gegnern eine perfekte Angriffsfläche. Das Schlagwort der «Zweiklassen-AHV» liess sich nur schwer widerlegen. Noch fragwürdiger war es, die Übergangsgeneration ab 45 dank Besitzstandsgarantie bei der beruflichen Vorsorge quasi doppelt profitieren zu lassen.
Man muss den Gegnern auch eine clevere Kampagne attestieren. Es gelang ihnen mit Erfolg, beim Stimmvolk Verunsicherung zu schüren. Das gilt für die Polemik von FDP-Präsidenten Petra Gössi gegen «Auslands-Rentner» wie für die Behauptung, die Jungen seien die grossen Verlierer der Altersvorsorge 2020. Ältere Menschen fragten sich, ob sie guten Gewissens Ja sagen durften.
Ist der Stimmbürger verunsichert, stimmt er reflexartig Nein. In diesem Fall aber wäre ein Ja die einzig richtige Entscheidung gewesen. Sie hätte den seit 1995 bestehenden Reformstau bei den Vorsorgewerken beendet. Nun hat niemand gewonnen, auch nicht das «siegreiche» Nein-Lager. Die rasche Neuauflage, die sie in Aussicht stellen, könnte in eine Totalblockade münden.
Das beginnt schon beim ersten Schritt des so genannten «Plan B». Es ist gut möglich, dass SP und Grüne beim Frauenrentenalter 65 in den Kampfmodus schalten werden. Sie können sich dabei auf das linke Nein berufen, das vorab in Genf und der Waadt auf starke Resonanz stiess. Ein erneutes Ja könnten sie mit Konzessionen in Bereichen wie Lohngleichheit und Quoten verknüpfen.
Vielleicht werden die Bürgerlichen dann eine AHV-Reform ohne linken Support beschliessen. Das aber ging schon 2004 gehörig schief. Eine Möglichkeit wäre eine Mini-Lösung mit einer reinen Erhöhung der Mehrwertsteuer, um der AHV mehr Geld und damit etwas Luft zu verschaffen. Das Abstimmungsergebnis zeigt, dass eine solche Massnahme potenziell mehrheitsfähig ist.
Die strukturellen Probleme blieben damit ungelöst. Das gilt erst recht für die zweite Säule. Hier ist der Reformbedarf besonders akut. Zum zweiten Mal in sieben Jahren ist es nicht gelungen, den Umwandlungssatz von 6,8 Prozent zu senken. Deswegen findet bei den Pensionskassen eine systemwidrige Umverteilung von Jung zu Alt statt.
Die Voraussetzungen für eine rasche Lösung sind noch schlechter als bei der AHV. Grosse Player im Nein-Lager sind sich uneinig, wie der tiefere Umwandlungssatz kompensiert werden soll. Der Arbeitgeberverband will den Koordinationsabzug streichen und damit die versicherte Lohnsumme erhöhen. Seine Schwesterorganisation, der Gewerbeverband, lehnt dies ab. Er will stattdessen die Altersgutschriften erhöhen, den Prozentanteil des Lohnes, der in die zweite Säule fliesst.
Wie soll man so eine rasche Lösung finden? Am Ende könnte der alte Traum der äusseren Linken Auftrieb erhalten, das verhasste Pensionskassensystem abzuschaffen und die erste und zweite Säule zu einer umfassenden Volkspension zu verschmelzen. Eine entsprechende Volksinitiative der Partei der Arbeit (PdA) befindet sich in der Pipeline und dürfte nun lanciert werden.
Mit der nun abgelehnten Rentenreform hätte man wertvolle Zeit gewonnen. Es wäre möglich gewesen, über mutige Schritte zu debattieren, etwa eine Vereinfachung des komplizierten und intransparenten Pensionskassenwesens. Oder über ausländische Modelle wie das viel zitierte schwedische. Von einer generellen Erhöhung des Rentenalters ganz zu schweigen.
Es wäre der Weg der Vernunft gewesen. Nun droht ein hässlicher Klein-Klein-Krieg, bei dem der Berg nicht einmal ein Mäuschen gebären wird. Deshalb ist dieses Ergebnis bei aller berechtigten Kritik an den Mängeln der Altersvorsorge 2020 schwer zu verdauen.