Der Kanton Zürich will, dass die Koranverteiler der Aktion «Lies!» aus dem öffentlichen Raum verschwinden. Sicherheitsdirektor Mario Fehr empfahl den Zürcher Gemeinden heute an einer Pressekonferenz, keine Standaktionen der Salafisten mehr zu bewilligen. Dafür sprechen gute Gründe: Ein wesentlicher Anteil derjenigen Schweizer, die in den Dschihad in Syrien und Irak ziehen wollten oder das getan haben, haben einen Bezug zu «Lies!».
Die Opfer der Anschläge von Paris, Brüssel, Nizza, Berlin und Stockholm mahnen uns, die terroristische Bedrohung in Europa nicht auf die leichte Schulter zu nehmen – auch nicht in der Schweiz.
Und trotzdem hinterlässt die Pressekonferenz einen schalen Beigeschmack. Selbst der Nachrichtendienst des Bundes bezweifelt, ob ein Verbot von «Lies!» überhaupt umsetzbar ist. Nur weil die bärtigen Koranverteiler aus den Fussgänger verschwinden, löst sich ihre Anziehungskraft auf radikalisierungsgefährdete Jugendliche nicht in Luft auf. Ein Stück weit ist das Zürcher Verbot reine Symbolpolitik.
Doch viel wichtiger: Einmal mehr dominiert die Frage der öffentlichen Sicherheit die Schlagzeilen, wenn wir über Muslime reden. Geht es um die rund 430’000 Muslime – etwa 5 Prozent der Gesamtbevölkerung – ist das einzige Kriterium, das gemessen wird, häufig bloss die Nähe oder Distanz zum radikalen Islam und zum islamistischen Terror.
Das muss aufhören. Solange die Schweizer Mehrheitsbevölkerung die hier lebenden Muslime nur als potenzielles Sicherheitsproblem wahrnimmt und die Politik Scheinprobleme hochstilisiert, beginnen sich die Schweizer Muslime längerfristig zurecht ausgegrenzt und als Bürger zweiter Klasse zu fühlen.
Dadurch werden Schweizer Muslime ihren Glauben irgendwann tatsächlich als etwas politisches wahrnehmen. Weil ihre Religionsangehörigkeit nicht mehr Privatsache sein darf, sondern politisches Ausgrenzungsmerkmal wird. In einem säkularen Rechsstaat muss die Religion aber Privatsache bleiben. Für die Bedrohung der öffentlichen Sicherheit – egal aus welcher Ecke – haben wir ein Strafgesetz und Sicherheitsbehörden.
Reden wir über die Hände von Schweizer Muslimen, sind es diejenigen der Handschlagverweigerer von Therwil BL. Reden wir über Kleider von Schweizer Muslimen, ist es die Burka, die hierzulande kein Mensch je sieht – ausser wenn Nora Illi in deutschen Talkshows auftritt. Trotzdem stimmt am Sonntag die Glarner Landsgemeinde über ein Burkaverbot ab.
Reden wir über Standaktionen von Schweizer Muslimen, sind es diejenigen von «Lies!». Reden wir über Sportclubs von Schweizer Muslimen, ist es der Winterthurer Boxclub des in den Reihen des «IS» getöteten Thaiboxers Valdet Gashi.
Die Hände von Schweizer Muslimen drücken täglich die Hände ihrer Arbeitskollegen, Kunden, Kindergärtnerinnen oder waschen unsere Pflegebedürftigen in den Altersheimen. Wenn sich Schweizer Muslime Gedanken über Kleider machen, geht es darum, ob die neue Jeans sitzt und welches Oberteil dazu passt – nicht um die Burka.
Machen Schweizer Muslime Standaktionen, so ist das allermeistens ein Stand, um per Kuchenverkauf zusammen mit Nicht-Muslimen Geld für einen Quartier- oder Sportverein zu sammeln – und keine Koran-Verteilungsaktion.
Wenn Schweizer Muslime in Sportvereinen tätig sind, so tun sie das als ehrenamtliche Trainer oder begeisterte Junioren irgendwo zwischen dem FC Satigny im Kanton Genf im Westen und dem FC Münsterlingen am Bodensee – nicht in einem finsteren Boxkeller in Winterthur voller Salafisten.
Schweizer Muslime feiern vielleicht Eid al-Fitr am Ende des Ramadans mit Lammfleisch und Baklava, statt Weihnachten mit Schinkli im Teig und Guetzli. Oder sie bestellen sich eine Pizza, weil sie keinen keinen Bock auf ein Essen mit der Familie haben. Wie du oder ich manchmal auch.