Holderbank im Kanton Aargau, direkt an der Hauptstrasse, unterhalb des Schlosses Wildegg, ein verlottertes altes Bauernhaus: «Areal bewacht», steht an der Fassade.
Beim Besuch von watson in der Asylunterkunft Holderbank öffnen die rund 15 anwesenden Bewohner bereitwillig die Tür. Gleich rechts befinden sich die Duschen, ein Pissoir und zwei WCs. Grün befallene Wände stechen ins Auge. Bei näherem Hinsehen bestätigt sich: An den Wänden wuchern Algen, die Kacheln schimmeln, der Duschvorhang ist bräunlich verfärbt. «Würden Sie hier duschen wollen?», fragt ein Nigerianer gestikulierend. «Das macht krank!»
«Schauen Sie sich auch die Küche an», ruft ein Afghane und zeigt ins Haus. Die Küche steht vor Dreck, die Leitungen sind rostig, auch hier die Wände voller Algen. Der Junge reisst die Pfannen heraus, die in einer Sitzbank verstaut sind: «Sehen Sie diese Töpfe? Die sind alle kaputt», sagt er.
Hinter jeder Tür dieses zweistöckigen Hauses zeigt sich das gleiche Bild: Die Schlafzimmer sind überfüllt, die Kajütenbetten vollbesetzt. Mit weissen Laken versuchen die Bewohner ein wenig Privatsphäre zu schaffen. Platz für ihre Habseligkeiten gibt es keinen, kaputte Lampen flickt niemand, die Wände sind verschmiert.
Offiziell wohnen in der Asylunterkunft Holderbank 38 Männer, ein paar sind im Gefängnis. Sie kommen aus allen Teilen der Welt – Afghanistan, Somalia, Eritrea, Nigeria. Jetzt befinden sie sich in der Obhut des Kantons Aargau.
Zwei Drittel der Männer, die hier wohnen, dürfen nicht in der Schweiz bleiben. Sie haben einen rechtskräftigen Nichteintretens- oder negativen Asylentscheid erhalten. 13 befinden sich noch in einem laufenden Asylverfahren, einer ist anerkannter Flüchtling. Gelandet sind sie alle in dieser Problemliegenschaft, die auch schon wegen Drogenhandel und Diebstählen für Schlagzeilen sorgte.
Die Stimmung im Haus ist aufgekratzt. Einige spielen draussen mit einem Fussball, einer
guckt in einen alten Röhren-TV, andere schlafen. Einige Bewohner
wirken gesundheitlich angeschlagen, andere sind sichtlich betrunken oder
übernächtigt. Es gibt nichts zu tun.
Die Männer dürfen nicht arbeiten. Sie leben von 7.50 Franken Nothilfe pro Tag.
Patrizia Bertschi kennt die Umstände, unter denen die Bewohner leben, gut. Die Präsidentin von Netzwerk Asyl Aargau engagiert sich seit bald 30 Jahren für Flüchtlinge und besucht regelmässig Asylunterkünfte. In Holderbank war sie seit längerer Zeit nicht mehr.
Die Bilder stimmen Bertschi «traurig, wütend und vor allem machtlos». «Das Netzwerk Asyl fordert seit langem Standards für Asylunterkünfte, damit Menschen menschenwürdig wohnen können», sagt sie. «Und das sollte für alle Gruppen gelten – vom Asylsuchenden im Verfahren über vorläufig Aufgenommene bis zu Ausreisepflichtigen.»
Die sanitären Anlagen seien schon seit langem Thema, so wie der Standort und auch die Privatsphäre: «Wenn das ein Dauerzustand ist, schlägt es auf die Psyche», sagt Bertschi. Je länger jemand so leben müsse, umso schwieriger sei es für die jungen Männer, überhaupt noch Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Die Situation sei in anderen Unterkünften ähnlich. «Der Kanton schaut nicht nur in Holderbank weg», sagt Bertschi.
Warum macht das Staatssekretariat für Migration (SEM) keinen Druck auf die Kantone? Mit den Bildern aus Holderbank konfrontiert, sagt SEM-Sprecherin Céline Kohlprath: «Die Unterbringung ist Sache der Kantone, sobald die Asylbewerber zugeteilt sind», sagt sie und fügt an, dass «die Kantone verpflichtet sind, angemessene Unterkünfte bereitzustellen.»
Tun sollte das das Departement Gesundheit und Soziales von Frau Landammann Susanne Hochuli (Grüne). Dort reagiert man gereizt: Die Liegenschaften würden vom Reparaturdienst im Rahmen des Möglichen à jour gehalten, sagt Sprecher Balz Bruder und fügt an: «Das Objekt Holderbank gehört nicht zu den kantonalen Unterkünften, die unbefristet in Betrieb sein werden.» Eine Antwort auf die Frage, ob die Bewohner Schimmel- und Algen-Befall hinnehmen müssten, bleibt er schuldig.
Der Kanton befinde sich aufgrund der hohen Zahl zugewiesener Asylsuchenden in einer besonderen Lage. «Deshalb hat neben der Ausweitung der Anzahl Unterbringungsplätze eine Verdichtung in den bestehenden Infrastrukturen stattgefunden», sagt er.
Im Übrigen würden die Personen, die in kantonalen Unterkünften untergebracht sind, im Rahmen der Hausordnung verpflichtet, für Sauberkeit und Ordnung zu sorgen. Ob die Bewohner ihre 7.50 Franken Nothilfe pro Tag für Putzmittel ausgeben, ist fraglich.
Patrizia Bertschi sieht noch ein anderes Problem: «Die Situation ist zurzeit besonders angespannt, da es im Aargau sehr schwierig ist, Unterkünfte zu mieten oder aufzustellen», sagt sie. Unter vielen Gemeinden gäbe es immer noch die Wettbewerbe: «Wer kann eine Asylunterkunft verhindern» oder «Wer kann das Minimum an Menschen aufnehmen». Die Konsequenz daraus ist Holderbank.