
Von links: Laura Zimmermann, Franziska Barmettler (Operation Libero), Lea Schreier, Andrea Huber (Allianz der Zivilgesellschaft), Corinne Reber, Barbara Kammermann (Foraus).Bild: watson/emily Engkent
Die
Selbstbestimmungsinitiative der SVP mobilisiert die
Zivilgesellschaft. Ein Aspekt fällt besonders auf: Der Kampf gegen
die Initiative wird zu einem grossen Teil von Frauen geführt.
18.10.2018, 11:2319.10.2018, 06:13

Folgen
Frauen in der
Politik – ein kompliziertes Thema. Das weibliche Geschlecht ist in
den politischen Gremien nach wie vor schwach vertreten. Das
zeigt etwa die Debatte um die beiden frei werdenden
Bundesratssitze. Und Besserung scheint vorerst kaum in Sicht. Bei den
nationalen Wahlen in einem Jahr droht den Frauen sogar ein
Rückschritt um Jahrzehnte.
Einen Bereich
aber gibt es, in dem die Frauen tendenziell in der Überzahl sind:
Die Organisationen der Zivilgesellschaft, oder kurz NGOs. An einem
aktuellen Beispiel lässt sich dies besonders gut belegen: Der so genannten Selbstbestimmungsinitiative (SBI) der SVP, über die am 25.
November abgestimmt wird. Auf der Gegenseite findet man auffällig
viele Frauen.
Watson hat NGO-Vertreterinnen, die sich auf verschiedenen Ebenen gegen die Initiative engagieren, zum «Gipfeltreffen» geladen. Dabei
zeigte sich, dass das Thema an sich nicht «weiblich» ist. Trotzdem fühlen sich gerade Frauen davon betroffen. «Es geht
darum, die Werte und Rechte zu verteidigen, die wir uns hart
erkämpfen mussten», sagt Andrea Huber, Geschäftsführerin der «Allianz der Zivilgesellschaft», auch bekannt als Schutzfaktor M.
Schutzfaktor M
Andrea Huber ist die «Mutter Courage» im Kampf gegen die SVP. Die 50-Jährige
mobilisierte schon gegen die Initiative, als diese erst als
Drohkulisse existierte: «Das Ja zur Ausschaffungsinitiative 2010
war eine Zäsur. Ich wollte dafür sorgen, dass so etwas nicht noch
einmal passiert.» Als der damalige SVP-Präsident Toni Brunner in
einem Interview ankündigte, man prüfe eine Volksinitiative zur Kündigung
der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), musste sie
handeln.
In den USA hatte
sich Huber gegen die Todesstrafe engagiert, was ihr Bewusstsein für
die Grundrechte schärfte. 2014 gründete sie die Organisation
Schutzfaktor M (wie Menschenrechte). Sie veranstaltete Briefings für
Politiker und Journalisten und baute ein Netzwerk im Parlament auf.
Und sie organisierte Medienreisen an den Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg. «Wir waren der SVP immer
einen Schritt voraus», bilanziert sie mit Genugtuung.
Für den Kampf gegen
die Selbstbestimmungsinitiative konnte Andrea Huber 120
Organisationen an Bord holen. Schutzfaktor M nennt sich deshalb seit
Mai 2018 «Allianz der Zivilgesellschaft». Sie verfügt über eine
vierköpfige Geschäftsstelle in Bern, die ausschliesslich aus Frauen
besteht. Seit September gehört die 23-jährige Politikstudentin Lea
Schreier zum Team. «Ich habe Mühe mit dem Schweizbild der SVP»,
begründet sie ihr Engagement.
Am kommenden Montag
beginnt der Schlussspurt. «Wir werden zuspitzen und vereinfachen,
mit einem provokativen Video und Aktionen, die Aufsehen erregen»,
kündigt Andrea Huber an. Die plakative Kampagne sei ein Kontrapunkt
zum Softie-Auftritt der SVP: «Er ist ein Täuschungsmanöver. Die
SVP versucht so, ihr radikales Anliegen zu verbergen.»
Foraus
Am 5. September bot sich im Berner Käfigturm ein bemerkenswerter Anblick. An einem langen Tisch sassen lauter Frauen: Sechs Nationalrätinnen aus allen parlamentarischen Fraktionen mit Ausnahme der SVP sowie drei Vertreterinnen des Forums Aussenpolitik (Foraus): die stellvertretende Geschäftsführerin Darja Schildknecht, Barbara Kammermann und Corinne Reber.
Die beiden
Juristinnen präsentierten an der Medienkonferenz mit prominenter
Beteiligung eine Studie, die sie mit Foraus-Vorstandsmitglied Tobias
Naef verfasst hatten. Unter dem Titel «Nach ihr die Sintflut» zeigt das Papier die möglichen Folgen der
Selbstbestimmungsinitiative anhand von zehn Punkten. «Wir liefern
eine Informationsgrundlage für die Abstimmung», sagt Kammermann.

Foraus-Medienkonferenz mit Rosmarie Quadranti (BDP), Nadine Masshardt (SP), Kathrin Bertschy (GLP), Corinne Reber, Darja Schildknecht, Barbara Kammermann, Lisa Mazzone (GP), Christa Markwalder (FDP) und Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP).Bild: KEYSTONE
Der Thinktank Foraus
veröffentlichte bereits 2016 ein erstes Papier zur SBI. «Wir
wollten prägnanter und mit anderen Aspekten aufzeigen, welche Folgen
die Initiative haben kann», betont Corinne Reber. Ende Dezember
2017 organisierte das Autorenteam ein «Crowdthinking» mit
Foraus-Mitgliedern sowie Vertreterinnen und Vertretern aus
Wissenschaft und NGOs. Einfach war die Aufgabe nicht, denn «die
Initiative ist sehr schwammig formuliert», sagt Reber.
Beide Frauen haben
Völkerrecht studiert. Barbara Kammermann ist Gerichtsschreiberin am
Bezirksgericht Zürich, Corinne Reber arbeitet für eine
Anwaltskanzlei. Die Arbeit für Foraus erfolgte ehrenamtlich. «Die
Initiative widerspricht meinen juristischen Grundsätzen»,
begründet Kammermann ihre Motivation, Zeit und Energie in diesen
Kampf zu investieren. Und Reber erklärt: «In einem Land, das rechtsstaatliche Grundsätze und den Minderheitenschutz untergräbt – wie es die Schweiz bei Annahme der SBI tun würde – möchte man nicht leben.»
Operation Libero
Der erfolgreiche
Kampf gegen die Durchsetzungsinitiative machte die Operation Libero
schlagartig bekannt. Nach dem nicht ganz unproblematischen Ausflug in
die Medienpolitik mit der Kampagne gegen No Billag ist die
Organisation nun auf ihr gewohntes Terrain zurückgekehrt: Für das «Chancenland» Schweiz, gegen die SVP, im konkreten Fall gegen die
Selbstbestimmungsinitiative.
Das
Libero-Aushängeschild Flavia Kleiner hält sich heute eher im
Hintergrund. Gegen die SBI rücken andere ins Rampenlicht, allen
voran Co-Präsidentin Laura Zimmermann, die man bereits als «Veteranin» bezeichnen kann. Neu bei der Operation Libero ist
Franziska Barmettler, doch auch sie ist alles andere als eine
Anfängerin. Sie war Leiterin Politik bei Swisscleantech und
Mitinitiantin der zurückgezogenen Volksinitiative «Raus aus der
Sackgasse!» (Rasa).

Die SVP-Kampagne gibt sich handzahm.Bild: KEYSTONE
Weil 49 Prozent der
Schweizerinnen und Schweizer laut einer Studie nicht wüssten, was
Völkerrecht ist, hat die Operation Libero eine
Online-Informationsoffensive lanciert. «Es ist eine wahnsinnig
komplizierte Initiative mit vielen offenen Fragen», sagt Laura
Zimmermann. Über WhatsApp, den Facebook Messenger und ein
Kontaktformular auf der Website können die Bürgerinnen und Bürger
Fragen an das Team der Operation Libero stellen.
In den knapp sechs
Wochen bis zur Abstimmung werde man «Vollgas» geben, verspricht
Zimmermann. Mit besonderem Misstrauen verfolgt man bei der Operation
Libero die «Plüschtier»-Kampagne der SVP. «Diese Strategie ist
überraschend und sehr unehrlich», meint Franziska Barmettler. Für
Zimmermann ist diese «Verwirrungstaktik» der SVP gefährlich. Sie
vermutet, dass die Partei in der heissen Phase des Abstimmungskampfes
härtere Töne anschlagen könnte.

Das «Frauen-Panel» auf der watson-Redaktion.Bild: watson(emily Engkent
Für Franziska
Barmettler haben Frauen eher ein Gespür für Wertefragen als Männer: «Wenn gewisse Errungenschaften angegriffen werden, schliessen wir
unsere Reihen.» Laura Zimmermann erkennt ein Jahr nach der #Metoo-Bewegung eine Aufbruchstimmung: «Das Engagement der Frauen
fällt im Kontext der SBI erstmals auf. Das ist gut, aber es müsste
immer so sein.»
Vielleicht ist die
auffällige weibliche Präsenz bei den NGOs weniger eine Gender-
als eine Generationenfrage. Die hier vorgestellten Frauen sind mit
Ausnahme von Andrea Huber zwischen Anfang 20 und Mitte 30. Für sie
ist ein Engagement selbstverständlicher als für Vertreterinnen
früherer Generationen, die noch mit den klassischen Rollenbildern im
Kopf aufgewachsen sind.
Was auch immer
geschieht: Wenn die SVP-Initiative scheitert,
werden am 25. November alle Gegner feiern, unabhängig von Alter,
Herkunft und Geschlecht.
Wir erklären dir das institutionelle Rahmenabkommen
Video: Lea Senn, Angelina Graf
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