Schweiz
Strasse

Zwei Gotthard-Röhren beschädigt: Der Teufel trägt keine Schuld

Die Teufelsbruecke nach Goeschenen im Kanton Urii mit dem Felswandbild von Heinrich Danioth, aufgenommen am 29. Juni 2000. (KEYSTONE/ Martin Ruetschi)
Das Wandbild in der Schöllenenschlucht zeigt den Teufel mit dem Geissbock.Bild: KEYSTONE

Doppelter Ärger am Gotthard: Für einmal ist nicht der Teufel schuld

Am Gotthard hatte der Sage nach der Teufel seine Hand im Spiel. Die doppelte Havarie im Strassen- und im Eisenbahn-Basistunnel aber hat nur bedingt mit höherer Gewalt zu tun.
13.09.2023, 18:2514.09.2023, 08:15
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Der Gotthard ist ein nationaler Mythos, ein Bindeglied zwischen Nord und Süd. Seit dem Mittelalter, als die wilde Schöllenenschlucht passierbar gemacht wurde, ist er ein wichtiger Handelsweg. Eine Brücke über die Reuss soll der Sage nach vom Teufel erbaut worden sein. Als Preis habe er das erste Lebewesen verlangt, das die Brücke überquerte.

Die schlauen Urner schickten einen Geissbock hinüber, worauf der wütende Teufel die nach ihm benannte Brücke mit einem gewaltigen Stein zerstören wollte. Ein altes Mütterchen verhinderte dies, indem sie auf dem Stein das Kreuzzeichen machte. Unklar bleibt, warum der Teufel nicht einen anderen Felsbrocken holte, aber so ist das mit alten Sagen.

Ein grosses Transparent mit der Aufschrift "Nein zu 2x so viel Lastwagen; Nein zur 2. Gotthardroehre" haengt am Teufelstein beim Gotthard Nordportal in Goeschenen, am Samstag 5. September 20 ...
Mit einem Banner am Teufelsstein warb die Alpeninitiative für ein Nein zur zweiten Tunnelröhre in der Abstimmung am 28. Februar 2016.Bild: KEYSTONE

Der Teufelsstein steht noch heute neben der Autobahn in Göschenen. Er musste für ihren Bau verschoben werden. Denn der Mensch hat die Verkehrswege am mythischen Pass stetig ausgebaut und ihn mit mehreren Tunnelröhren durchbohrt. Nun wurden die beiden wichtigsten für den Strassen- und Schienenverkehr gleichzeitig stark beschädigt.

Man könnte meinen, der Teufel habe erneut seine Hand im Spiel gehabt. Der damalige Verkehrsminister Moritz Leuenberger (SP) hat dies in einer Rede vor 20 Jahren angedeutet:

«Immer, wenn die Menschen sich am Gotthard zu schaffen machten, hat sich der Teufel eingemischt, bei jeder Strasse, jedem Tunnel hat er sich seinen Teil geholt.»

Leuenberger verwies auf die 199 Arbeiter, die beim Bau des 1882 eröffneten ersten Eisenbahntunnels ums Leben kamen. Und auf den Brand im Strassentunnel im Oktober 2001, der elf Todesopfer und eine Sperrung während zwei Monaten zur Folge hatte. Bei der aktuellen Doppel-Havarie kamen immerhin keine Menschen zu Schaden.

Die Auswirkungen auf den Nord-Süd-Verkehr sind dennoch beträchtlich. Im Tessin, das sich mit der Vollendung der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) an Gotthard und Ceneri so richtig an den Rest der Schweiz angeschlossen fühlte (die Fahrt von Zürich nach Lugano dauert nur noch zwei Stunden), befürchtet man negative Folgen für Wirtschaft und Tourismus.

Den Teufel kann man dafür kaum verantwortlich machen. Letztlich sind beide Unglücksfälle eine Konsequenz der menschlichen Eingriffe in die Natur.

Strassentunnel

HANDOUT - Bauarbeiten an der defekten Decke im Gotthard-Strassentunnel in der Naehe des Nordportals bei Goeschenen am Dienstag, 12. September 2023. Der Gotthard-Strassentunnel ist seit Sonntag, 10. Se ...
Unter Hochdruck wird die defekte Zwischendecke entfernt.Bild: keystone

Seit Sonntagnachmittag ist die 1980 eröffnete Verbindung für den Verkehr gesperrt. Zuvor waren Betonteile in der Nähe des nördlichen Tunnelportals auf die Fahrbahn gefallen. Grund war ein 25 Meter langer Riss in einer Zwischendecke. Verkehrsminister Albert Rösti (SVP) stellte am Montag eine Öffnung des Strassentunnels bis Ende Woche in Aussicht.

Das Bundesamt für Strassen (Astra) bestätigte dieses «Ziel» am Dienstag in einer Mitteilung. Ursache für die Schäden seien «Spannungsumlagerungen im lokalen Gebirge». Wer durch den Tunnel fährt, verdrängt oder ignoriert die Felsmassen, die sich über ihnen auftürmen. Die fast 17 Kilometer lange Röhre ist ein Wunder der Ingenieurskunst.

Jetzt ist sie vielleicht ein Teil des Problems. «Klar ist aber auch, dass dem Berg mit den baulichen Massnahmen für die zweite Röhre einiges zugemutet wird», schrieb das Astra in seiner Mitteilung. Denn für den Bau des zweiten Strassentunnels «fanden und finden umfangreiche Ausbruchsarbeiten statt».

Erschwerend kommt hinzu, dass der Bundesrat gemäss CH Media schon 2010 zum Schluss kam, dass die Zwischendecke «teilweise schadhaft» sei und ersetzt werden müsse. Und 2013 hielt er fest, der Tunnel müsse zwischen 2020 und 2025 umfassend saniert werden. Nun geschieht dies erst ab 2029, wenn die zweite Röhre «voraussichtlich» in Betrieb ist.

Laut dem Astra sind die Schäden vom Sonntag «nicht auf den baulichen Zustand des Tunnels» zurückzuführen. Trotzdem drängt sich der Verdacht auf, dass bei der mehr als 40 Jahre alten Röhre das «Prinzip Hoffnung» galt. Und angesichts der laufenden Arbeiten am zweiten Tunnel in den nächsten Jahren weitere Vorfälle zu befürchten sind.

Basistunnel

Der mit 57 Kilometern längste Eisenbahntunnel der Welt wurde 2016 in Betrieb genommen. Keine sieben Jahre später ist er nur beschränkt befahrbar, nachdem ein entgleister Güterzug die Richtung Norden führende Röhre auf einer Länge von sieben Kilometern beschädigt hat. Die Aufräumarbeiten sind mehr als einen Monat nach dem Unglück noch im Gang.

In der intakten Röhre sind wieder Güterzüge unterwegs. Der Personenverkehr aber wird über die beschönigend Panoramastrecke genannte Bergroute geführt, mit um eine Stunde verlängerter Reisezeit und beschränkter Kapazität, denn der Scheiteltunnel von 1882 ist zu niedrig für Doppelstockzüge. Eine Rückkehr zur Normalität ist vorläufig nicht in Sicht.

Letzte Woche deuten die SBB an, dass an den Wochenenden wieder Personenzüge durch den Basistunnel fahren könnten. Dafür braucht es ein angepasstes Rettungskonzept, denn bei der Entgleisung wurde ein Evakuierungstor beschädigt. Peter Füglistaler, der Direktor des Bundesamts für Verkehr (BAV), sprach im «SonntagsBlick» von Murphys Gesetz.

Verunglueckte Gueterwagons stehen am Unfallort im Gotthard Basistunnel bei Faido anlaesslich einer Medienfuehrung an der Unfallstelle am Mittwoch, 6. September 2023 in Faido im Kanton Tessin. (KEYSTON ...
Bei 40 Grad und stickiger Luft müssen die entgleisten Waggons zerlegt und abtransportiert werden.Bild: keystone

Demnach ist alles schiefgelaufen, was schieflaufen konnte. Ein Radbruch, der offenbar zur Entgleisung führte, sei ein sehr seltenes Unglück, so Füglistaler. Die Behebung des Schadens wird Zeit beanspruchen. Eine beschränkte Inbetriebnahme der kaputten Röhre könnte Anfang 2024 möglich sein, hiess es vonseiten der SBB. Das lässt manches offen.

Mehr Sicherheit im Güterverkehr ist eine Aufgabe auf europäischer Ebene. Dennoch fragt man sich, ob die SBB die Reparatur nicht unnötig erschweren. Denn die bis zu 20'000 Betonschwellen, die ersetzt werden müssen, sind eine Massanfertigung. Man fragt sich, weshalb die SBB alles selber machen müssen, wie im Fall des «Neigezugs» FV Dosto.

Ob Murphy's Law oder die Hand des Teufels: Das doppelte Unglück am Gotthard wirft kein glanzvolles Licht auf die scheinbar perfekte Schweiz. Nun kursieren teilweise absurde Vorschläge wie ein Ausbau am San Bernardino. Allzu gross aber dürfte der Imageschaden nicht sein. Denn die Sperrung des Strassentunnels fällt nicht in die heikle Ferienzeit.

Und ohnehin kann die Schweiz notfalls umfahren werden. Das relativiert die mythische Überhöhung des Gotthards, zu der man bei uns manchmal neigt. Zum Beispiel, wenn gewisse Kreise postulieren, man solle die Nord-Süd-Achse blockieren, um die Europäische Union in die Knie zu zwingen. Der Gotthard mag wichtig sein, aber er ist nicht unentbehrlich.

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Spatenstich für die zweite Röhre beim Gotthard
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Spatenstich für die zweite Röhre beim Gotthard
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quelle: keystone / urs flueeler
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Video: sda
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28 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Piet69
13.09.2023 20:17registriert Dezember 2020
Arlbergtunnel wird auch saniert. Also fahren alle über den Pass.
Die StrassenVignette in der Schweiz sind im Vergleich zum Ausland viel zu billig! Vignette sollte Fr. 150 kosten und jeder Tunnel 10 bis 20 Fr. zusätzlich. Und das schreibe ich als Autofahrer!
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