Politisch ist die Schweiz für die Briten ein kleines Licht. Die Medien interessieren sich nicht für uns, ausser wir stimmen einer SVP-Initiative zu und werden zu Europas «Herz der Finsternis» erklärt. Am Montag aber tauchten mehrere britische Journalisten in Bern auf, um über einen eher trockenen Anlass zu berichten: die Unterzeichnung eines bilateralen Handelsabkommens.
Die Schweiz und das Vereinigte Königreich wollen sicherstellen, dass die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern weiter funktionieren, wenn die Briten am 29. März ohne Abkommen aus der Europäischen Union austreten sollten, wie der neue Wirtschaftsminister Guy Parmelin betonte. «Mind the Gap» nennt der Bundesrat die Strategie für den Fall eines No-Deal-Brexit.
BREAKING: UK and Switzerland sign agreement to continue tariff-free trade, worth more than £29bn last year. Delivering certainty for 🇬🇧 and 🇨🇭 businesses #FreeTradeUK pic.twitter.com/bCXXG0f0Tf
— Dr Liam Fox MP (@LiamFox) February 11, 2019
«Das Königreich ist unser sechstgrösster Absatzmarkt», betonte Parmelin die Notwendigkeit dieser Strategie. Bereits letztes Jahr einigte man sich in den Bereichen Strassentransport, Luftverkehr und Versicherungen. Im Dezember folgte ein Abkommen, das den Bürgerinnen und Bürgern der beiden Staaten den Status Quo im jeweils anderen Land (inklusive Aufenthalt) zusichert.
Nun unterzeichneten Parmelin und der britische Handelsminister Liam Fox das bislang umfangreichste Paket. Es umfasst einen grossen Teil der bestehenden Handelsabkommen mit der EU und transferiert diese in den Post-Brexit-Modus. Dazu gehören das Freihandelsabkommen von 1972 und die Übereinkunft über das öffentliche Beschaffungswesen.
Fox sprach im Anschluss von einem «enorm wichtigen Abkommen». Die Schweiz sei der siebtgrösste Absatzmarkt für britische Produkte, sagte er in Anlehnung an das Votum seines Schweizer Kollegen. Das neue Vertragswerk solle Kontinuität gewährleisten und sei andererseits «ein Vorspiel für unsere Ambitionen beim Handel mit anderen Staaten».
In diesem Punkt steht Liam Fox an der Heimatfront unter Druck. Bislang hat er nur wenige Abkommen unter Dach gebracht, mit Chile, Israel und den Färöer-Inseln. Kritiker werfen dem bekennenden Austrittsbefürworter vor, er jette ständig um den Globus und bringe kaum etwas zurück. Der Deal mit der Schweiz kommt für den konservativen Minister da wie gerufen.
Die Aussicht auf einen harten Bruch mit der EU sorgt in Grossbritannien ohnehin zunehmend für Unruhe. Dazu passt die Meldung vom Montag, wonach die britische Wirtschaft letztes Jahr das geringste Wachstum seit 2012 verzeichnet hat. Fox spielte in Bern einen Zusammenhang mit dem Brexit herunter und verwies auf andere Faktoren, etwas das gebremste Wachstum in China.
Gleichzeitig betonte er auf eine Frage des Korrespondenten von Sky News, die Briten wollten «die EU mit einem Deal verlassen». In diesem Fall gilt für die Schweiz bis zum Ende der bereits vereinbarten Übergangsphase der Courant normal. Die Vereinbarung vom Montag wäre die Grundlage für die künftigen Beziehungen, wenn der Brexit einmal endgültig geregelt ist.
Man muss aus Schweizer Sicht fast hoffen, dass der Worst Case nicht eintritt und sich London und Brüssel einigen können. Denn das neue Handelsabkommen enthält Lücken. Das betrifft etwa den Bereich, in dem es vereinfacht gesagt um die gegenseitige Anerkennung von Produkten geht. Hier konnten nicht alle Punkte aus dem bilateralen Vertrag mit der EU übernommen werden.
In den wichtigen Sektoren Pharma und Auto konnte man sich einigen, nicht aber in Bereichen wie der Maschinenindustrie. Beim Agrarabkommen konnte die Zulassung von Bioprodukten nicht endgültig geregelt werden. Guy Parmelin erwähnte zusätzlich den Veterinärbereich. Es könnte zu einem Unterbruch beim Handel mit Tieren und tierischen Produkten kommen.
Ein wichtiger Grund für diese Lücken ist die Tatsache, dass Grossbritannien bislang in die Strukturen der EU eingebettet war und von diesen profitieren konnte. «Nach dem Brexit müssen die Briten erst eigene Prüfstellen und Mechanismen aufbauen», sagte ein mit dem Dossier vertrauter Vertreter der Schweiz. Umso wichtiger wäre ein geordneter Brexit.
Zu den Chancen wollte der Insider keine Prognose abgeben. Selbst im vertraulichen Gespräch hinter verschlossenen Türen habe Handelsminister Fox dazu keine Aussagen gemacht. Vielleicht wollte er sich in dieser heiklen Frage gegenüber einem Drittstaat nicht exponieren. Oder er und seine Regierung sind schlicht ratlos, wie ein No-Deal-Brexit verhindert werden kann.
Die zweite Variante wäre keine Überraschung, schliesslich ist Premierministerin Theresa May erst letzte Woche einmal mehr mit leeren Händen aus Brüssel heimgekehrt, nachdem sie einmal mehr keine neuen Vorschläge präsentieren konnte. Der Brexit-Murks auch mit der Schweiz zeigt, was passiert, wenn man ein zumindest wirtschaftlich bewährtes Konstrukt mutwillig verlassen will.
Oder ein bewährtes Beziehungsnetz mit dem wichtigsten Handelspartner aufs Spiel setzt, möchte man mit Blick auf die penible Debatte in der Schweiz über das institutionelle Abkommen mit der EU anfügen. Ob SVP-Bundesrat Parmelin dies verstanden hat?