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Projet Roger: Aus der Krankenakte von E. Fässler

Projet Roger Krankenakte
Bild: watson
Projet Roger

Aus der Krankenakte von E. Fässler

Teil 8.
07.09.2025, 17:0807.09.2025, 17:08
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Projet Roger – Staffel 2!
Sei willkommen zur zweiten Staffel unserer völlig fiktiven Serie! In «Projet Roger» geht es um den stets etwas verbissenen Bürogummi Roger Fässler, der neben einer steilen Karriere auch die Liebe sucht, beide aber nicht unbedingt ihn. Zumindest war das in der ersten Staffel so. Jetzt aber winkt ein neuer Titel. Und Rita! Doch der Tod funkt ihm dazwischen und Roger Fässler muss sich stattdessen mit nichts Geringerem als dem Sinn und Zweck seines Daseins beschäftigen. Und inmitten dieser Grübelei wird ihm klar: Auch die gelungensten Firmenwerte bügeln die Fehler einer Mutter nicht aus.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

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Patientenstammdaten

Name: Esther Fässler
Geschlecht: weiblich
Geburtsdatum: 13.06.1952
Wohnort: Rorschach (SG)
AHV-Nummer: 756.6641.5988.34
Aufnahmedatum: 06.09.2025

Aufnahmebefund

Einweisungsumstände: Meldet sich als Walk-In Patientin auf der zentralen Aufnahme und bittet um stationäre Aufnahme aufgrund eines wiederkehrenden Derealisationserlebens.

Aufnahmegespräch:
Die Patientin gibt an, der Nebel sei seit dem Tag, an dem ihr Mann starb, wieder da. Die Welt erscheine ihr unecht und wie eine Kulisse, Zustand ist ihr bekannt, Selbsteinweisung aus denselben Gründen 1986 ins Psychiatrische Zentrum St. Kolumban (PZSK, damals noch Heil- und Pflegeanstalt Sankt Kolumban).

Anamnese

Substanzanamnese: Konsum von Cannabis, LSD, Psilocybin-Pilzen in ihren 20ern, aktuell ein Glas Wein pro Tag

Psychiatrische Anamnese: Erstmaliger stationärer Aufenthalt 1986 aufgrund einer Derealisationsstörung (gemäss ICD-10: F60.31). Die vom PZSK diagnostizierte, zugrunde liegende Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (gemäss ICD-10: F48.1) wurde aufgrund fehlender Krankheitseinsicht der Patientin nicht weiter behandelt, Entlassung erfolgte auf eigenen Wunsch und entgegen psychiatrischer Empfehlung ohne weiterführende Therapie.

Medikamentenanamnese: Während ihres Aufenthalts im PZSK Behandlung mit trizyklischen Antidepressiva.

Psychiatrischer Befund bei Aufnahme: Patientin ist wach und orientiert, ist sich ihrer Wahrnehmungsverzerrung bewusst, beschreibt Derealisationserleben, wirkt erschöpft, aber nicht ängstlich, Gedächtnis und Kognition unauffällig, Fremd- oder Selbstgefährdung liegt nicht vor.

Somatischer Befund bei Aufnahme: keine Auffälligkeiten, Allgemeinzustand gut, EZ normal, keine Anzeichen für eine neurologische Erkrankung, Intoxikation, Infektion oder organische Auslöser der Derealisation.

Soziale Situation bei Aufnahme: Patientin wohnt seit dem Tod ihres Ehemannes allein im Haus und lebt von ihrer Witwenrente.

Angaben von Familienangehörigen: Sohn M. Fässler gibt an, sich ausser einer mehrwöchigen Abwesenheit seiner Mutter in der Kindheit an keine besonderen Vorkommnisse zu erinnern, sie habe trotz ihrer Esoterik eigentlich immer gut funktioniert, manchmal vielleicht etwas hysterisch, aber welche Frau sei das nicht, Kontaktaufnahme zu R. Fässler bisher erfolglos, Ehemann kürzlich an Herzversagen verstorben.

Eintrittsdiagnose (gemäss ICD-10):

  • Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ F48.1
  • Isoliertes Derealisationssyndrom ohne Depersonalisationserleben F60.31

Eintrittsmedikation: Sertralin 25–50 mg

Procedere

  • Aufbau von Störungsverständnis und Therapiemotivation, Erarbeitung eines gemeinsamen Therapieauftrags
  • Exploration des Auslösers der Derealisation (Tod des Ehemanns? Vergl. mit früheren Auslösern, traumabezogene Dissoziation, Panikmechanismen)
  • Psychotherapeutische Einzelgespräche (Fokus: Realitätsprüfung, Ich-Stärkung)
  • Körper- und Wahrnehmungstherapie, achtsamkeitsbasierte Verfahren
  • Dialektisch-behaviorale Therapie bei BPS
  • Ev. medikamentöse Behandlung mit niedrig dosiertem Antidepressivum zur Stabilisierung angezeigt (SSRI)

Gesprächsprotokoll, Sitzung 1

Patientin: Esther Fässler
Geführt von: Dr. med. Z. Kaczmarek
Datum: 07.09.2025
Ort: Haus B, Station 2 für affektive und dissoziative Störungen, Raum 3

Ärztin: Können Sie mir beschreiben, wie sie sich gerade fühlen?
Patientin: Ich könnte, aber ich hab keine grosse Lust dazu.
Ärztin: Und wozu hätten sie Lust?
Patientin: Das ist das Problem. Ich weiss es nicht. Ich dachte, ich wüsste es, jetzt, nachdem Josef weg ist.
Ärztin: Wie meinen Sie das?
Patientin: Er war der unlebendigste Teil meines Lebens. Ich bin mir nicht sicher, ob er je echt war.
Ärztin: Sie meinen, weil er ihnen durch ihre Wahrnehmungsstörung als unwirklich erschienen war?
Patientin: Nein. Ich meine, dass er unwirklich war. Er sagte, was jeder hätte sagen können. Er tat, was jeder hätte tun können. Er war so dermassen inhaltsleer.
Ärztin: Sie meinen, sie fanden ihren Mann nicht besonders interessant?
Patientin: Nein, das meine ich nicht. Er war nicht nicht interessant. Er war gar nicht.
Ärztin: Aber sie wohnten doch fast über fünfzig Ehejahre hinweg mit ihm zusammen unter einem Dach?
Patientin: schweigt.
Ärztin: Woran ist Josef Fässler gestorben?
Patientin: Herzversagen.
Ärztin: Können Sie sich an den Tag erinnern, an dem es passiert ist?
Patientin: Nicht gut, es war der Tag, an dem der Nebel wiederkam.
Ärztin: Mit Nebel meinen sie die verzerrte Wahrnehmung, ihr Derealisationserleben?
Patientin: Ja.
Ärztin: Wie äusserte sich das?
Patientin: Josef sass in seinem Lounge Chair. Da sass er immer. Aber an diesem Tag war er noch farbloser als sonst.
Ärztin: Farblos?
Patientin: Ja. Wie aus einer Zeitung ausgeschnitten und auf den Sessel geklebt. Das ganze Wohnzimmer wirkte wie eine schlecht gemachte Collage. Und seine Stimme, sie kam auch von weit her. Sie sagte, dass ihm schwindelig sei. (Pause) Mein Risi Bisi bekam ihm nicht.
Ärztin: Sie haben vorher für ihn gekocht?
Patientin: Ich wollte, dass der Zeitungsmann verschwindet.
Ärztin: Mit Zeitungsmann meinen sie Josef Fässler?
Patientin: Ja.
Ärztin: Und verschwand er?
Patientin: Im Nebel. Im Rauch seiner Pfeife. Im Nichts.
Ärztin: Sie meinen damit, dass er starb?
Patientin: Stirbt etwas, was nie wirklich war? (Pause)
Sein Herz war aus Papier, zu schwach. Es hat mich nicht ertragen.
Ärztin: Wie meinen Sie das?
Patientin: Wie nennt man es, wenn ein Niemand verschwindet?
Ärztin: Verraten Sie es mir.
Patientin: Nicht Mord. (Pause) Wussten Sie, dass die Eibe der Baum der Ewigkeit ist?
Ärztin: Das wusste ich nicht.
Patientin: Es ist gut zu wissen.





Klinische Einschätzung

Verdacht auf ein Tötungsdelikt (mit Gift?), Patientin hat kein klares Geständnis abgegeben, ihren Ehemann ermordet zu haben, jedoch ein grundsätzliches Bedürfnis bezeugt, über das Geschehen reden zu wollen. Auslöser scheint ein komplexes Zusammenspiel von ehelichem Überdruss (er ist «dermassen inhaltsleer») und einem intensiven Derealisationserleben (er scheint unecht, «Zeitungsmann») zum Zeitpunkt der mutmasslichen Tat gewesen zu sein, das es weiter zu untersuchen gilt. Auch wird im Falle eines eindeutigen Geständnisses die Schuldfähigkeit der Patientin zu überprüfen sein: E. Fässler war gemäss der Diagnose F48.1 nicht wahnhaft, sondern lediglich wahrnehmungsgestört, sie war sich also bewusst, dass Josef Fässler echt war, auch wenn sie es aufgrund seiner angeblichen charakterlichen Formatlosigkeit und ihrer Derealisationsstörung nicht so empfand.

Zum aktuellen Zeitpunkt besteht weder akute Fremd- noch Selbstgefährdung. Weiteres Vorgehen in Prüfung.

Patientin zur weiteren Abklärung auf die Forensisch-psychiatrische Station überwiesen.

Hier geht's zur 7. Folge:

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