Die Menge macht das Gift. Während eine Prise Zynismus viel Alltägliches erträglich macht, scheint dieser Pendler-Typ ganz bewusst eine Überdosis Zynismus anzustreben.
Er verrät sich insbesondere durch abschätziges Lächeln bei skandalösen Verspätungen von sage und schreibe drei Minuten, nötige Kommentare bei nicht optimalen klimatischen Bedingungen in den Wagons oder ungläubiges Kopfschütteln bei jeglicher Wahrnehmung von potenziellem Fehlverhalten. Ob diese Haltung irgendjemandem in der Geschichte des Pendelns jemals irgendetwas gebracht hat, bleibt stand heute ungeklärt.
Auch wenn er äusserlich den Anschein erweckt, gar nicht so viel bei sich zu tragen, so offenbart sich der wahre Umfang seines Ballasts traditionell erst im prall gefüllten Pendlerzug.
Klassische Accessoires des Besetzers umfassen mindestens eine Tasche (= ein separater Sitz dafür), eine Jacke (= dito) plus ein weiteres Kleidungsstück – wie Pullover, Schal, Handschuhe, Haarreifen, Radiergummi – das ebenfalls den Luxus eines einzelnen Sitzes geniesst. Droht der Wagon jedoch zu bersten, räumt er seine Sachen gerne weg. Also «gerne» im Sinne von fluchend mit Todesblick.
Er ist das Abbild eines Bilderbuch-Misanthropen. Mit einem Blick, der sich ins Knochenmark bohrt, flutet er den Wagon mit inbrünstiger Grantigkeit.
Von Weltschmerz gepeinigt, gelingt es ihm nicht, diese seelische Tortur mit sich selbst auszumachen. In einem Akt mimischer und verbaler Katharsis verarbeitet er seine innere Pein und tränkt sein Umfeld in dunklem Unmut. Dies geschieht mittels angriffigen bis verletzenden Kommentaren gegen Diverses, Gestiken der Abschätzung, sowie Gesichtsausdrücken, die dem Hades direkt entspringen zu scheinen.
Während klar konstatiert werden muss, dass zwischenmenschliche Kommunikation per se eine gute Sache ist, missachtet dieser Typ mutwillig den Kontext der Kommunikation.
Gewieft, wie der Gesprächsfreudige in seinem Naturell nun mal ist, sät er die Saat potenzieller Konversation mittels beiläufigen Kommentaren um sich herum. Nicht selten treibt die Macht der Höflichkeit die Mitpendler dann in seine Fänge. Jegliches Eingehen auf die Kommentare wird als Anlass für eine semi-peinliche Konversation genutzt, welche er so lange ausdehnt, wie es ihm gerade passt. Es ist davon auszugehen, dass er sich am Unbehagen seiner Gesprächspartner labt, sich daran nährt.
Wiederholt sich das Aufeinandertreffen mit demselben Gesprächsfreudigen, folgt schnell der Übergang zum vierten Typen, dem Gspänli. Ab nun besteht eine Bindung, die mit einem gewissen Grad an Verpflichtung verbunden ist.
Bezeichnend für das Zug-Gspänli ist das asymmetrische Verständnis der Beziehung. Während der normale Pendler davon ausgeht, dass das semi-peinliche Gespräch eine Ausnahmeerscheinung war, empfindet das Gspänli bei «zufälligem» Wiedersehen bereits eine starke Verpflichtung, die Konversation erneut aufzugreifen.
Auch wenn es ein zweischneidiges Schwert sein mag, aber Scham kann durchaus eine Tugend sein. Mindestens in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Nicht, dass der Grüsel keine Scham hat, aber ... okay, er hat keine. Gar keine.
Wenn die Füsse gelüftet werden müssen, dann werden sie gelüftet. Wenn es ihm nach Döner gelüstet, so wird er gleichermassen lustvoll wie schlampig gefuttert. Wenn das vollgerotzte Taschentuch seinen Weg in den Abfalleimer nicht finden will, dann sei es so. Und Deodorant ist ohnehin fakultativ.
Manchmal muss er noch die letzten Überbleibsel seiner ach so wichtigen Arbeit zu Ende bringen (gerne etwas mit hohen Geldbeträgen und wichtigen Kunden, die aber keinen Plan von gar nichts haben). Manchmal gestaltet er einfach sein Privatleben um. Vorzugsweise im Zug.
Es bedarf einer bunten Fantasie, die Beweggründe dieses Typen nachvollziehen zu können. Ebenfalls nicht der Tugend der Scham frönend, ist es ihm jedenfalls ein Vergnügen, Intimitäten aus seinem Berufs- und Privatleben lautstark mit seinem pendelnden Umfeld zu teilen.
Eine Welt ohne Musik ist etwa so aufregend wie die letzte Bachelor-Staffel. Die Musik macht die Welt reicher, zweifelsohne. Meine Musik jedenfalls. Und nicht unbedingt deine, die mit 140 Dezibel deinen Kopfhörern entweicht.
Auch wenn das richtige Lied im richtigen Moment einem wahren Segen gleicht – 20 Minuten lang Vollgas Trommelfell-Beschallung, sodass sich einem links und rechts bereits von der Vorstellung her ein neckischer Tinnitus ankündigt? Die superlative Ausprägung dieses Typs: Der Böxli-Terrorist. Weiche von uns!
Der Spreizer ist beinahe ausschliesslich männlich. Jap, jetzt hab ich es gesagt.
Ein Sitz im Wagon hat eine gewisse Breite. Diese Breite ist auf einen durchschnittlichen Körperbau angepasst. Das macht soweit Sinn. Was hingegen weniger Sinn macht, ist, dass der Spreizer durch das Spreizen seiner Schenkel die Breite seines Oberkörpers quasi verdoppelt.
Sollte jemals die tief philosophische Frage, was denn eigentlich Zeit ist, an den Gestressten gestellt werden, wäre die Antwort etwas zwischen «Geld» und «kostbar». Er braucht keinen Herzschlag, solange seine Uhr tickt.
Klar, sollen sie doch, wie sie wollen, denn jedem das Seine und so. Aber spätestens bei bei nervösen Zuckungen, sobald der Zug auch nur fünf Sekunden länger als gewohnt steht oder bei der anschliessenden Vergewaltigung des Türöffnungs-Knopfs (dem sagt man so, okay?), ist es des Guten genug. Diese perverse Anbetung der Zeiteffizienz vergiftet die Luft, imfall.