Fast sieben Monate nach dem Super Bowl Mitte Februar beginnt in der Nacht auf den morgigen Freitag die NFL-Saison wieder. Dann empfängt Meister Kansas City die Baltimore Ravens (2.20 Uhr). Dass den Fans des American Football auch in diesem Jahr keine Langeweile droht – obwohl Patrick Mahomes und Co. in den letzten beiden Jahren unschlagbar schienen –, schrieben wir schon nach dem Finalgewinn der Chiefs gegen die San Francisco 49ers.
Nach einer spannenden «Off-Season» mit vielen Veränderungen in den Kadern und auf den Trainer-Positionen gilt dies weiterhin. Langeweile bleibt in der NFL ein Fremdwort. Dies liegt einerseits an den Fragezeichen bei den Kansas City Chiefs, die als erstes Team der Geschichte drei Super Bowls in Serie gewinnen wollen. Tight End Travis Kelce – der wichtigste Passempfänger für Mahomes – wird Anfang Oktober 35 und zeigte schon während der letzten Saison Alterserscheinungen.
Noch kann Kelce als Lieblings-Anspielstation des 28-jährigen Quarterbacks aber niemand ablösen. Neuzugang Marquise Brown fehlt zu Saisonbeginn verletzt und dürfte diese Rolle mit Blick auf die Vergangenheit kaum erfüllen. Rookie Xavier Worthy hätte wohl das Potenzial dazu, ist wie jeder NFL-Neuling aber kein sicherer Wert.
Dazu kommen die Unruhen um Rashee Rice, der im letzten Jahr eine starke erste Saison gespielt hatte, Ende März aber einen Unfall verursachte, in den fünf weitere Autos involviert waren. Der 24-Jährige war mit über 190 Kilometer pro Stunde unterwegs und stellte sich der Polizei. Eine Sperre droht ihm aktuell nicht, die Liga will erst den Gerichtsprozess abwarten, wodurch eine allfällige Sperre gegen Rice wohl nicht mehr in dieser Saison verhängt würde.
Ausserdem verliess in L'Jarius Sneed ihr bester Cornerback die Chiefs. Dieser war dafür verantwortlich, die gegnerischen Star-Receiver zu decken. In der letzten Saison hatte die Defensive noch besonders grossen Anteil am Erfolg, kann sie ohne Sneed erneut so stark sein?
Mit Mahomes und Trainer-Genie Andy Reid hat Kansas City aber weiterhin das beste Duo der Liga auf diesen Positionen. Mit Steve Spagnuolo ist auch für die Defensive ein Mastermind zuständig. Darauf, dass sich die Chiefs im Vergleich zur Vorsaison stark verschlechtern, sollte der Rest der NFL also nicht hoffen. Das muss die Konkurrenz aber auch nicht – denn es gibt erneut einige hervorragende Teams.
Allen voran muss da natürlich der Super-Bowl-Verlierer genannt werden. Trotz grossem Verhandlungs-Drama mit Wide Receiver Brandon Aiyuk und Offensive Tackle Trent Williams konnten die San Francisco 49ers beide Spieler halten. So kann der vorläufige Ausfall von Rookie-Receiver Ricky Pearsall, der bei einem versuchten Raubüberfall angeschossen wurde, das Spital aber wieder verlassen konnte, zumindest sportlich aufgefangen werden. Auch sonst kann das Team von Trainer Kyle Shanahan weiterhin auf alle wichtigen Spieler der Vorsaison zählen.
Dazu gehören neben Runningback Christian McCaffrey, Allzweckwaffe Deebo Samuel und Tight End George Kittle auch die Defensivspieler Nick Bosa oder Fred Warner. Das grösste Fragezeichen scheint weiterhin Quarterback Brock Purdy zu sein. Der 24-Jährige konnte die Zweifel an seinen Qualitäten trotz starker Leistungen in seiner bisherigen Karriere nicht beseitigen. Experten und Fans fragen sich gleichermassen, inwiefern er schlicht von den Spielern um ihn herum sowie vom System des Trainers profitiert.
In der NFC ist San Francisco aber erneut klarer Favorit auf den Super-Bowl-Einzug – steht aber auch unter Druck. Ein weiteres Jahr ohne Titel wäre für das Team mit diesem Talent-Level nicht nur eine grosse Enttäuschung, sondern fast schon ein Versagen.
Ebenfalls Chancen auf einen Triumph im Super Bowl rechnet sich der Auftaktgegner der Chiefs aus. NFL-Fans dürfen sich also gleich zu Beginn (Freitag, 2.20 Uhr) auf einen echten Leckerbissen freuen. Lamar Jackson gehört unter anderem aufgrund seiner Athletik und Stärke bei Läufen zu den besten Quarterbacks der NFL, hat aber auch als Passgeber seine beste Saison hinter sich und wurde nicht zuletzt deshalb zum MVP gewählt.
In den Playoffs blieb er diese Leistungen bisher noch schuldig, doch ist auch mit den Baltimore Ravens zu rechnen – obwohl sie mit Mike Macdonald das Genie hinter ihrer starken Defensive verloren haben. Der 37-Jährige ist neuer Cheftrainer in Seattle. Die wichtigsten Spieler konnten jedoch gehalten werden und die ohnehin grandiose Offensive wurde mit Derrick Henry verstärkt. Der Runningback-Tank dürfte den Verteidigungen neben Quarterback Jackson zusätzliche Sorgen bereiten.
Noch vor wenigen Jahren hätte es für Stirnrunzeln gesorgt, dass die Detroit Lions als Titelkandidat gelten. Doch im letzten Januar gewann das Team aus Michigan erstmals seit 32 Jahren ein Playoff-Spiel und führte im Halbfinal bis tief ins dritte Viertel hinein. Verrückt ist bei den Lions, wie jung die Leistungsträger abgesehen von Quarterback Jared Goff (29) noch sind.
Runningback Jahmyr Gibbs (22), der sich die Rolle mit Routinier David Montgomery (27) teilt, Wide Receiver Amon-Ra St. Brown (24), Tight End Sam LaPorta (23) und Defensiv-Star Aidan Hutchinson (24) dürften alle noch besser werden. Die Lions sind also gekommen, um zu bleiben. Zumal dem Team von Cheftrainer Dan Campbell auch Offensivkoordinator Ben Johnson trotz vieler Angebote anderer Teams, die einen neuen Head Coach suchten, erhalten geblieben ist. Weil Johnson wohl kaum ein weiteres Jahr in untergeordneter Rolle bleiben wird, herrscht in Detroit dennoch eine gewisse Dringlichkeit.
Beim Finalisten der Saison 2022/23 ist vieles neu. Die Offensive um Quarterback Jalen Hurts und die Wide Receiver A. J. Brown und DeVonta Smith wurde um Runningback Saquon Barkley verstärkt. Zwar muss der Verlust der zurückgetretenen Center-Legende Jason Kelce aufgefangen werden, doch ist man zuversichtlich, dass man in Cam Jurgens intern eine gute Lösung gefunden hat. Ausserdem wurden sowohl der Offensiv- als auch der Defensivkoordinator nach der enttäuschenden letzten Saison ersetzt. Können Kellen Moore und Vic Fangio ihre jeweiligen Mannschaftsteile wieder auf das Niveau der vorletzten Saison heben, gehören die Eagles zu den heissen Anwärtern auf einen Titel.
Auch das Team aus Ohio blieb in der letzten Saison hinter den Erwartungen zurück. Dies lag jedoch an der Verletzung von Quarterback Joe Burrow – in seiner Abwesenheit spielten die Cincinnati Bengals aber überraschend gut. Bleibt der verletzungsanfällige 27-Jährige gesund und kann seine Topleistungen abrufen, kann Cincinnati jeden schlagen und wie 2021/22 in den Super Bowl einziehen.
Das Team um Burrow, Receiver Ja'Marr Chase und Co. war zeitweise gar Angstgegner der Kansas City Chiefs. Chase befindet sich aber noch im Vertragsstreit mit seinem Team. Ausserdem ist die Gesundheit des Spielmachers auch aufgrund der schwachen O-Line ein grosses Fragezeichen. Der Verlust von Offensivkoordinator Brian Callahan könnte ebenfalls ins Gewicht fallen.
Eigentlich sollten die Buffalo Bills zu den grossen Favoriten zählen. Quarterback Josh Allen gehört zu den Besten auf seiner Position, doch hat das Team von Trainer Sean McDermott mit unter anderem Receiver Stefon Diggs sowie den Safetys Jordan Poyer und Micah Hyde viel an Substanz verloren. Sowohl offensiv als auch defensiv könnte ein Rückschritt folgen, weshalb Buffalo auch bei den Buchmachern in die zweite Reihe der Titelkandidaten zurückgerutscht ist.
In der letzten Saison gab es zwei Quarterbacks, die in ihrem ersten Jahr als Stammspieler nicht nur bei den Fans ihrer Teams für Begeisterungsstürme sorgen konnten. Einer davon war Jordan Love von den Green Bay Packers. Nachdem er drei Jahre von Aaron Rodgers gelernt hatte, wusste er spätestens ab der Mitte der Saison zu brillieren. In den Playoffs lief Love gegen Dallas zur Hochform auf und musste sich mit Green Bay im Viertelfinal auch gegen San Francisco nur knapp geschlagen geben. Die Packers verfügen auch sonst über viel Talent und haben in der schwächeren NFC zumindest Aussenseiterchancen auf den Einzug in den Super Bowl.
Der zweite neue Superstar war C. J. Stroud. An zweiter Stelle von den Houston Texans gedraftet, machte er gemeinsam mit Trainer DeMeco Ryans und Offensivkoordinator Bobby Slowik aus einem der schlechtesten NFL-Teams einen Playoff-Viertelfinalisten. Nun verstärkt Stefon Diggs die talentierten Wide Receiver um Nico Collins und Tank Dell, was die Offense noch gefährlicher machen könnte. Die Defense war auch dank Will Anderson, er geht ebenfalls in seine zweite Saison, grundsolid und könnte sich weiter verbessern.
Aaron Rodgers ist einer der besten Quarterbacks der Geschichte, fällt neben dem Platz aber beispielsweise mit Verschwörungstheorien immer wieder negativ auf. Zuletzt gab es bereits erste Berichte über schlechte Stimmung bei den New York Jets wegen des 40-Jährigen, der die letzte Saison fast komplett verletzt verpasste.
Solange Rodgers gute Leistungen zeigt und die Jets Erfolg haben, sollte sich das Team mit talentierten Spielern wie Receiver Garrett Wilson, Runningback Breece Hall und einer hervorragenden Defense um Cornerback Sauce Gardner zusammenraufen können. Gelingt dies aber nicht, droht das Franchise zu implodieren. Zumal auch Trainer Robert Saleh und General Manager Joe Douglas unter Erfolgsdruck stehen.
Auch bei America's Team herrschte in den letzten Jahren selten Ruhe. Besitzer Jerry Jones ist gleichzeitig General Manager und trotz deutlicher Kritik von Experten und Cowboys-Fans überzeugt von sich und seinen Entscheiden. Zuletzt verärgerte er Star-Receiver CeeDee Lamb aber fast so sehr, dass dieser Reissaus nehmen wollte, doch konnte der 25-Jährige mit dem zweitgrössten Vertrag für einen Spieler seiner Position der Geschichte (4 Jahre, 136 Millionen Dollar) gerade noch beschwichtigt werden.
Quarterback Dak Prescott ist aber noch immer ohne Vertrag über diese Saison hinaus und dürfte damit kaum zufrieden sein. Ausserdem geniesst Trainer Mike McCarthy gerade nach dem wiederholten Versagen in den Playoffs kein hohes Ansehen mehr. Auch in Dallas ist Chaos und Drama also vorprogrammiert. Denn die bei den Cowboys traditionell hohen Erwartungen sind mit dem aktuellen Kader kaum zu erfüllen.
Caleb Williams und Jayden Daniels – die beiden im Draft vom letzten April ersten beiden ausgewählten Spieler – bekommen von Beginn weg die Schlüssel ihrer Franchise in die Hand gedrückt. Besonders Williams gilt als eines der grössten Talente der NFL-Geschichte, ihm wird gar zugetraut, die Chicago Bears auch dank der starken Wide Receiver D. J. Moore, Keenan Allen und Rome Odunze – ebenfalls Rookie – in die Playoffs zu führen.
Daniels erinnert aufgrund seiner Laufstärke und seines spektakulären Spielstils viele an Lamar Jackson. So dürften die Spiele der Washington Commanders jeweils Must-See-TV sein. Spannend dürfte auch Bo Nix bei den Denver Broncos zu beobachten sein. Zwar wurde der 24-Jährige erst an 12. Stelle gedraftet, doch schwärmte Trainer Sean Payton bereits von seinem neuen Schützling.
Der an 3. Stelle gedraftete Drake Maye dürfte zu Beginn der Saison bei den New England Patriots hingegen noch auf der Bank sitzen. Ebenso ergeht es Michael Penix Jr. bei den Atlanta Falcons. Ihm steht Kirk Cousins im Licht. Nummer-9-Pick J. J. McCarthy von Minnesota verpasst seine Rookie-Saison nach einem Meniskusriss komplett.
Dank Cousins machen sich auch die Falcons Hoffnungen darauf, erstmals seit der Saison 2017/18 wieder die Playoffs zu erreichen. Der frühere Minnesota-Quarterback, der sich in der letzten Saison die Achillessehne riss, soll auch Wide Receiver Drake London und Tight End Kyle Pitts helfen, endlich ihr Potenzial auszuschöpfen. Mit Raheem Morris hat Atlanta auch einen neuen Trainer, dazu kommt in Bijan Robinson einer der stärksten Runningbacks der Liga.
Auch die Los Angeles Chargers erlebten nun mehrere enttäuschende Saisons in Serie und entliessen Trainer Brandon Staley nach drei Jahren. Er wurde durch College-Champion Jim Harbaugh von Michigan ersetzt. Die Hoffnung beim Team um den talentierten Quarterback Justin Herbert ist dementsprechend gross, dass endlich der Erfolg einkehrt.