«Crouch, bind, set!» Der Schiedsrichter, der per Mikrofon für alle Zuschauer gut hörbar ist, gibt den Ball für einen weiteren Scrum, das sogenannte Gedränge frei. Immer wieder ist die Anweisung an diesem Vormittag im Deodoro-Stadion, etwa 30 Bus-Minuten vom Olympia-Park in Barra entfernt, zu hören.
Erstmals seit 1924 dürfen die harten Jungs und Mädels wieder an Olympischen Spielen teilnehmen. Je zwölf Männer- und Frauenteams nehmen am Turnier teil. Dasjenige der Frauen endete mit dem Triumph der Australierinnen. Jenes der Männer beginnt einen Tag später mit einem Klassiker: Australien trifft auf Frankreich.
In Rio wird allerdings nicht die «richtige» Form des Rugbys gespielt, sondern quasi die «Light-Version»: Rugby Sevens. Auf beiden Seiten stehen nur je sieben Feldspieler auf dem Rasen (sonst 15). Und die Spiele dauern nur je 2 x 7 Minuten (sonst 2 x 40 Minuten).
Auch deshalb bekommen die Zuschauer an diesem Dienstagmorgen im schmucken Deodoro-Stadion innert dreier Stunden sechs Rugby-Duelle zu sehen. Durch die kurze Spieldauer und den reduzierten Personalbestand auf dem Feld entwickeln sich stets temporeiche, intensive Spiele, in denen es viele Trys (Versuche) zu bejubeln gibt.
Wer auf das Stadion-Gelände tritt und sieht, wie sich die Teams auf einem benachbarten Rasenplatz aufwärmen, der fühlt sich irgendwie an ein Grümpelturnier erinnert. Die Atmosphäre neben und im Stadion ist sehr stimmungsvoll. Alle Teams haben ihre Fangruppen mitgebracht.
Es ist eine Art grosses Rugby-Familientreffen unter olympischer Flagge. Während die Franzosen die Australier zum Auftakt der Spieleserie überraschend deutlich 31:14 besiegen, ist die Arena noch ziemlich leer. Erst nach und nach pilgern die grösseren Anhänger-Truppen auf die Tribünen.
Während die Zuschauer auf die Partie zwischen Südafrika und Spanien warten, werden sie durch eine Anleitung auf dem grossen Bildschirm zum Samba-Tanzen animiert – was irgendwie nicht so richtig zu diesem Sport für die ganz harten Männer passen will.
Wobei: Da im 7er-Rugby mehr Wert auf Schnelligkeit und Wendigkeit gelegt wird, sind die Athleten nicht ganz so massig wie bei den «schweren Jungs» – aber zweifellos immer noch unheimlich kräftig und gut durchtrainiert.
Nachdem die südafrikanischen «Springboks» die chancenlosen Spanier mit einer 24:0-Packung vom Feld geschickt haben, wird's lauter im Stadion. Die Briten sind in der Arena, in der bereits viele Argentinien-Fans sitzen, offensichtlich unbeliebt. Sie werden bei jedem Ballbesitz leidenschaftlich ausbuht, während Aussenseiter Kenia lautstark unterstützt und dessen einziger erfolgreicher Versuch frenetisch bejubelt wird. Das ändert aber nichts am klaren 31:7-Sieg Grossbritanniens.
Es geht Schlag auf Schlag. «Jetzt kommt der berühmte Haka», freut sich wohl der eine oder andere Zuschauer, als die Neuseeländer zusammen mit Gegner Japan den Platz stürmen (ja, der Einmarsch sieht eher wie ein Platzsturm aus).
Doch die Enttäuschung ist gross: Das Programm ist so dicht gedrängt, dass kein Platz bleibt für das weltberühmte Ritual der «All-Blacks». Ohne ihren Kampftanz funktionieren die Neuseeländer offensichtlich mehr schlecht als recht und kassieren eine sensationelle 12:14-Niederlage gegen die Japaner, die diesen Sieg wie den Gewinn der Goldmedaille feiern.
Dass auch die Rugby-Anhänger hart gesotten sind, zeigt sich daran, dass die Welle durch das Stadion schwappt, wenn sich unten auf dem Feld einer der Spieler vor Schmerzen krümmt und behandelt werden muss. Gehört halt einfach dazu in diesem Sport. Hart zur Sache geht's auch beim Duell zwischen Argentinien und den USA.
Nicht nur unten auf dem Rasen, sondern auch auf der Tribüne – zumindest akustisch. Plötzlich herrscht Fussball-Atmosphäre in Deodoro. Die «Gauchos» treiben ihre Spieler mit Gesängen leidenschaftlich an. Die US-Fankolonie schreit sich «USA, USA!» aus dem Leib. Am Ende jubeln die Argentinier über einen Last-Minute-17:14-Sieg.
Auch die vielen Brasilien-Fans freuen sich, als ihre Mannschaft gegen Fidschi mit einem erfolgreichen «Try» in Führung geht. Doch die Freude währt nicht lange. Die Insulaner, die als Geheimfavoriten auf den Olympiasieg gelten, machen mit dem krassen Aussenseiter kurzen Prozess und punkten ohne Unterlass.
40:12 steht es am Ende, was der guten Stimmung im Stadion jedoch keinen Abbruch tut. Die Rugby-Familie feiert sich selbst – ob Sieg oder Niederlage. Ein erfrischender Kontrast zum sonst oft so vom verbissenen Ehrgeiz geprägten Olympia-Alltag.