Schwingen ist in der Schweiz längst keine Randsportart mehr, sondern wird immer beliebter. Zu Tausenden pilgern die Fans Jahr für Jahr an die regionalen und kantonalen Schwingfeste oder auf den Brünig, die Schwägalp, den Stoos oder zum Schwarzsee an die Bergfeste. Das wichtigste aller Schwingfeste ist und bleibt das Eidgenössische, doch auch der Unspunnen-Schwinget hat einen ganz besonderen Stellenwert.
Damit auch du weisst, worum es genau geht und wie das Volksfest im Berner Oberland abläuft, nehmen wir dich hier mit auf einen kleinen Crashkurs. Also los!
Der Unspunnen-Schwinget findet nur alle sechs Jahre statt, stets im Jahr nach einem Eidgenössischen (wird alle drei Jahre durchgeführt). Seit 1981 zählt der Unspunnen-Schwinget wie das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest und der Kilchberger Schwinget zu den eidgenössischen Anlässen. Es ist das geschichtsträchtigste der drei Schwingfeste.
Erstmals wurde der Unspunnen-Schwinget 1805 im Rahmen des Unspunnenfests ausgetragen, das all zwölf Jahre und heuer erst zum 10. Mal überhaupt stattfindet. Damals, zur Zeit des politischen Umbruchs nach dem Franzosen-Einfall 1798, wurden von der Stadtbevölkerung die ersten landesweiten Alphirtenfeste organisiert.
Die althergebrachte Volkskultur der Bauern sollte zur Versöhnung von Stadt und Land dienen und zur Restauration der stadtbernischen Vorherrschaft führen. Ohne Erfolg: Nach dem zweiten Fest 1808 brachen immer wieder Unruhen aus, worauf das Fest erst ab 1905 wieder durchgeführt wurde. Seither treffen sich bei Interlaken Schwinger, Steinstösser, Hornusser, Fahnenschwinger, Alphornbläser, Jodler, Alphirten und Trachtenleute zum grössten Folkloreanlass des Jahres.
» Hier geht's zum Programm des Unspunnenfests
Bis und mit 2006 fand der Unspunnen-Schwinget unweit der Ruine Unspunnen statt, wegen des steigenden Publikumsinteresses wurde er 2011 auf die Höhematte im Herzen Interlakens verlegt. Hier wurde auch für den diesjährigen Event ein Stadion für rund 15'000 Zuschauer erstellt.
Bereits beim ersten Unspunnenfest von 1805 wurde ein Wettbewerb im Steinstossen ausgetragen. Dabei wurde ein Stein mit einem Gewicht von 184 Pfund gestossen. Seit 1905 wird ein 83,5 Kilogramm schwerer Stein verwendet. Den Rekord hält seit 2004 Markus Maire, der den Stein auf 4,11 Meter hievte.
Berüchtigt wurde der Unspunnenstein aber aus anderem Grund: Weil er bereits zweimal gestohlen wurde. Erstmals 1984 von jurassischen Separatisten, die ihn 2001 mit zwölf eingemeisselten Europasternen, dem Bélier-Emblem sowie dem Datum der EWR-Abstimmung wieder zurückgaben. Doch die Freude über das Wiederauftauchen währte nicht lange: Denn 2005 wurde der Stein erneut gestohlen. Als «Ersatz» wurde am Tatort ein Pflasterstein mit einem aufgemalten Jura-Wappen zurückgelassen. Seit dem ersten Diebstahl wird mit einem Replikat gestossen.
Zurück zur sportlichen Hauptattraktion, zum Unspunnen-Schwinget: Ein Kampf beim Schwingen wird «Gang» genannt. Die Dauer ist nicht genau festgelegt. Sie kann zwischen vier (Regionalfest) und 16 Minuten (Schlussgang beim Eidgenössischen) variieren. Die beiden Kontrahenten reichen sich vor Beginn des Kampfes die Hand und greifen sich dann gegenseitig an die Schwingerhose. «Zusammengegriffen» wird auf einem 7 bis 14 Meter durchmessenden, mit Sägemehl gepolsterten Kreis.
Durch das Anbringen von «Schwüngen» wird in der Folge versucht, den Kontrahenten auf den Rücken zu zwingen. Wer den Gegner mit beiden Schulterblättern oder mindestens zwei Dritteln des Rückens auf das Sägemehl drücken kann und dabei mindestens eine Hand an der Hose des Unterlegenen hat, gewinnt den Kampf.
Gibt's bis zum Ablauf der Gangdauer keinen Sieger, wird der Gang als «gestellt» und somit unentschieden gewertet. Gewichtsklassen gibt es keine. Nicht erlaubt sind Halsgriffe, Kopfstösse oder der Druckaufbau durch Hebelwirkung gegen Gelenke.
Nach der Entscheidung wischt der Sieger dem Verlierer als Ausdruck der Fairness das Sägemehl vom Rücken. Das Duell wird mit einem abschliessenden Händedruck abgeschlossen.
Der Sieger wird von einem Platzkampfrichter im Sägemehl und zwei Kampfrichtern am Tisch geleitet und anschliessend bewertet. Pro Gang werden dem Sieger und dem Verlierer Noten verteilt. Dabei wird die Notenskala 8,25 bis 10,00 verwendet. Der Schwinger mit der höchsten Gesamtpunktzahl nach acht Gängen wird am Ende Schwingerkönig (siehe Wettkampfverlauf).
Für diverse Vergehen wie Passivität, absichtliche Verzögerungen oder gefährliche Griffe kann der Kampfrichter dem Schwinger eine Viertelnote abziehen. Erst wird allerdings eine Ermahnung ausgesprochen, dann eine Verwarnung, erst danach kommt es zum Notenabzug.
Vor einem Schwingfest ist kein Spielplan erhältlich, wie dies beispielsweise bei einem Tennisturnier der Fall ist. Es gibt also keine Auslosung, stattdessen bestimmt das Kampfgericht die Einteilung der insgesamt sechs Gänge.
Vor dem Wettkampf wird allerdings nur der erste Gang eingeteilt. Die Einteilung erfolgt nach der Qualifikation der Athleten, oft lässt man dabei die aktuell stärksten Schwinger gegeneinander antreten. Danach erfolgt die Einteilung der Gänge anhand der bereits erhaltenen Punktzahl.
Schwinger aus den gleichen Teilverbänden sowie Schwinger aus den gleichen Klubs werden zunächst nicht gegeneinander eingeteilt. Gegen Ende des Schwingfests kann es dann aber durchaus dazu kommen.
Um den Festsieg kämpfen im Schlussgang die beiden Schwinger mit der höchsten Punktzahl nach fünf Gängen. Da aber auch die restlichen Schwinger den sechsten Gang absolvieren, kann es vorkommen, dass am Schluss keiner der beiden Schlussgang-Schwinger, sondern ein dritter Schwinger Unspunnen-Sieger wird. Kränze gibt es beim Unspunnen-Schwinget keine zu gewinnen.
Sonntag, 27. August:
SRF zwei überträgt den Unspunnen-Schwinget ab 07.20 Uhr durchgehend live.
Schwinger erhalten keine Preisgelder, sondern können sich am Gabentisch bedienen. Traditionellerweise gibt’s dort Treicheln oder Bauernmöbel. Mittlerweile gehören aber auch Laptops oder iPhones zur Auswahl.
» Hier geht's zum Gabentisch 2017
Auf den Sieger wartet traditionsgemäss ein prächtiger Stier als Lebendpreis. Diesmal Siegermuni «Gottlieb». Meist behält der Unspunnen-Sieger ihn allerdings nicht, sondern verkauft ihn weiter.
Um den Gegner zu bezwingen, gibt es über 300 Variationen von Griffen und Schwüngen. Hier die gebräuchlichsten:
Der Kurzzug ist der am meisten angewandte Schwung. Man macht Körperfinte nach links, um anschliessend mit dem linken Bein zwischen die Beine des Gegners zu gelangen. Mit festem Griff folgt eine Drehung nach rechts. Spezialist: Samuel Giger, Joel Wicki.
Das eigene Bein geht sprungartig hinter das diagonal liegende Bein des Gegners. Danach wird der Oberarm fixiert und mit wuchtigem Druck nach vorne vervollständigt. Bei korrekter Ausführung ist dieser Schwung ein Garant für Maximalnoten. Spezialisten: Matthias Siegenthaler.
Der Brienzer ist eine der effektivsten Waffen für Schwinger mit körperlichem Nachteil. Der Angreifer fasst Griff über die Schulter am Gurt des Gegners. Er hängt mit dem Bein beim Gegner ein, packt mit der anderen Hand dessen Oberarm. Er hebt das Bein an und leert nach vorne rund ab. Spezialist: Matthias Sempach.
Mit einer ruckartigen Bewegung des eigenen Gesässes nach links wird der Gegner über das eigene Hinterteil auf den Rücken gedreht. Wichtig zur Fixierung bei diesem Schwung ist der Griff mit der linken Hand an den rechten Oberarm des Gegners. Spezialist: Armon Orlik.
Der Bur ist der am häufigsten angewandte Schwung im Bodenkampf. Mit dem linken Bein wird das Knie des Gegners fixiert. Anschliessend wird mit der rechten Hand im Spalt bis zum Gurt an der Schwingerhose gegriffen, wodurch die Bewegungsfähigkeit des Gegner eingeschränkt wird. Danach wird der Gegner mit Hilfe der rechten Hand, verbunden mit einer Drehbewegung, am Boden überdrückt.
Der Angreifer hakt entweder mit seinem linken Bein am rechten des Gegners oder umgekehrt ein. Mit gleichzeitigem Vorwärtsdruck aus dem Oberkörper wird der Gegner rücklings aus dem Gleichgewicht gebracht und auf den Boden gedrückt. Spezialisten: Christian Stucki, Daniel Bösch.
Der Angreifer attackiert den Gegner mit einem Gammen, klemmt dann das gegnerische Bein mit den eigenen Beinen ein und hakt nachher übers Kreuz mit dem anderen Bein ein. Dadurch ist der Gegner in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt und kann sich kaum mehr ausdrehen. Spezialist: Kilian Wenger.