«Le roi est mort, vive le roi»; mit dieser Heroldsformel wird in Frankreich bis 1824 der neue König ausgerufen. Ganz so dramatisch ist es bei Gottéron nicht. Aber mit Christian Dubé ist im Juni nach fast einem Jahrzehnt ein Alleinherrscher mit durchaus royalem Selbstverständnis abberufen worden. Allerdings gibt es einen Unterschied zur französischen Monarchie: Der neue Sportchef hat zwar das Ende der Regierungszeit von «König Dubé» verkündet, aber den neuen König erst für 2026 angekündigt.
Das führt zur kuriosen Situation, dass Gottéron nach der Absetzung des alten Königs sportlich erst einmal von einem Zwischen-König regiert wird. Sein Name: Patrick Émond. Er war letzte Saison Assistent von Christian Dubé und ist sozusagen vom Prinzen zum König befördert worden. Sportchef Gerd Zenhäusern, ein schlauer Walliser, war zuvor Büro-Assistent von Christian Dubé gewesen. Ein Büro-Assistent, der als erste Amtshandlung nach der Beförderung zum Sportchef seinen Chef feuert, und ein neuer Trainer, der schon weiss, dass er am Ende der Saison gehen muss: Das alles passt wunderbar zur Hockey-Traumfabrik Gottéron.
Hier spielt das wahre Leben. Aber das Publikum will auch auf dem Eis unterhalten sein. In der sportlichen Führungsetage mag es eine Zwischensaison sein. Auf dem Eis aber muss es rocken und rollen, wenn wieder jedes Spiel in einem ausverkauften Stadion zelebriert werden soll. Für die alternden Leitwölfe Julien Sprunger (38), Raphael Diaz (38) und Ryan Gunderson (39) ist es womöglich das letzte Hurra ihrer Karriere. Die Motivation wird gross sein und es wäre ein Fehler, den «Zwischen-König» an der Bande und seine Mannschaft zu unterschätzen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Christian Dubé kann Patrick Émond Playoff. Er hat Servette im Frühjahr 2021 in den Final geführt. Und bereits im November 2021 den Job verloren. Er kann auch Entlassung.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Benotung: 1 bis 10.
Christian Dubé hat in den sozialen Medien mutmasslich unfreiwillig einen Einblick in sein Seelenleben gegeben, als er – als Gottéron-Trainer noch in Amt und Würden – ein Bild mit dem Spruch «I’m the Best, Fuck the Rest» veröffentlichte. Womit wir sofort beim Thema sind. Dem Kanadier fehlte es nie an Selbstvertrauen, aber auch nie an Selbstironie. Seine Zuversicht war ansteckend. Für die Fans, die Chefetage, die Chronistinnen und Chronisten, die Sponsoren und eigentlich alle, die rund um Gottéron etwas zu sagen haben. Deshalb hat er neun Jahre als Sportchef und zuletzt viereinhalb Spielzeiten zusätzlich als Trainer Gottéron geprägt.
Man mag kritisieren, dass es Christian Dubé auch mit der teuersten Mannschaft der Klubgeschichte nie über den Halbfinal hinausgebracht hat. Aber er hat Gottéron eine Seele gegeben und letzte Saison waren zum ersten Mal in der Geschichte sämtliche Spiele ausverkauft. Nur einer hat sich von seinem Charisma nicht blenden lassen: sein Assistent im Büro. Der schlaue Walliser Gerd Zenhäusern. Seine erste Amtshandlung nach der Beförderung zum Sportchef (er sollte Christian Dubé durch diese Amtsübernahme entlasten): Er hat den Trainer Christian Dubé gefeuert. Die Nachfolgeregelung ist allerdings nicht ohne Risiko. Patrick Émond ist zwar auch Frankokanadier. Aber ansonsten der Gegenentwurf zu seinem modebewussten Vorgänger: Ein freundlicher und bescheidener Hockey-Nerd, der es ganz und gar nicht mag, im Mittelpunkt zu stehen. Ein Gentleman, der es unanständig fände, sich selbst zu überhöhen. 2019 hat ihn Chris McSorley zum Cheftrainer befördert, er führte Servette in seiner zweiten Saison 2021 in den Final und musste im November seinen Job Jan Cadieux überlassen.
Yves Sarault, als rauer Leitwolf 2004 mit Bern und 2007 mit Davos Meister, ist nun sein Assistent und wird das tun, was sein Chef nicht kann und mag: bei Bedarf toben, dass die Wände wackeln. Alles gut und recht und weise und logisch. Aber diese Trainerlösung ist ein Kuriosum, das es in unserem Hockey noch nie gegeben hat: Patrick Émond weiss nicht nur bereits bei seinem Amtsantritt, dass er im nächsten Frühjahr gehen muss. Er weiss auch schon, wer dann sein Nachfolger wird: der Schwede Roger Rönnberg.
Das bedeutet: Es bleibt den Spielern nur noch eine Saison, um nach Lust und Laune zu spielen, dem Spektakel zu frönen, Eishockey zu spielen, statt zu arbeiten. Im Sommer 2025 wird der Hockey-Frühling zu Ende gehen und es kommt unter dem schwedischen Trainer der taktische Winter mit kühlem Schablonenhockey. Gottérons Trainerlösung ist eine Walliser Schlaumeierei, die allerhöchsten Unterhaltungswert hat. Auf dem Eis und wahrscheinlich auch neben dem Eis.
Auch eine Rückenoperation hat Reto Berra nichts von seinem Leistungsvolumen eingebüsst. Er ist und bleibt auch mit bald 38 Jahren einer der Top-Goalies in dieser Liga. Aber es wäre riskant, den doppelten WM-Silberhelden und HCD-Meister von 2009 wieder so stark zu forcieren wie letzte Saison und erneut in 41 Spielen mehr als 1000 Pucks abwehren zu lassen. Sage mir, ob Bryan Rüegger dazu in der Lage ist, Reto Berra für mindestens 20 Partien zu entlasten, und ich sage dir, ob Reto Berra im Frühjahr immer noch in Bestform sein wird.
Nur 124 Gegentore – weniger waren es seit dem Qualifikationssieg von 2012/13 nie. Und doch gibt es Anlass zur Sorge: Die Verteidigungsminister sind Graubärte geworden: Ryan Gunderson ist inzwischen 39, sein Abwehrpartner Raphael Diaz wird im Januar gleich alt. Keiner kann in den defensiven Schuhen dieser beiden Leitwölfe stehen. Aus Biel kommt zwar Yannick Rathgeb. Aber wird an der offensiven und nicht an der eigenen blauen Linie patrouillieren. Mehr als 140 Gegentore? Es wäre keine Überraschung.
Was für eine offensive Herrlichkeit: 175 Tore. Nicht nur der beste Angriff der Liga. Es sind sogar so viele wie nie mehr seit 1994/95 (177), als mit Slawa Bykow und Andrej Chomutow zwei der besten Stürmer der Welt für die unvergesslichen russischen Flugjahre sorgten. Gibt es Grund zur Sorge? Nein.
Es mag zwar sein, dass Chris DiDomenico (35), Marcus Sörensen (32) und Julien Sprunger (38) ein wenig in die Jahre gekommen sind. Aber das offensive Personal ist geblieben und unter dem freundlichen neuen Gentleman-Trainer wird es mehr offensive Freiheiten geben. Allerdings gilt: Die Offensive entscheidet Spiele, aber die Defensive und die Torhüter die Meisterschaft.
Präsident Hubert Waeber ist es als erstem Präsidenten der Klubgeschichte gelungen, die Emotionen dauerhaft von den Büros aufs Eis zu verlagern. Das ist in dieser Hockey-Traumfabrik eine wahre Meisterleistung. Die Kombination aus klugem Management und emotionalem Hockey zinst in einem Rekord: Zum ersten Mal in der Geschichte unseres Hockeys ist es einem Klub gelungen, ein Stadion zu 100 Prozent auszulasten. Die wirtschaftliche Basis ist so stabil wie nie in der Klubgeschichte (seit 1937) und es fehlt nur die sportliche Krönung.
Aber wenn es einen Klub gibt, der ohne Meistertitel glücklich sein kann, dann ist es Gottéron. Wovon sollen die leidenschaftlichen Fans denn träumen, wenn sie einmal Meister geworden sind? Eben. Der neue Sportchef Gerd Zenhäusern hat unser Hockey zum Start gleich mit einer Walliser Schlaumeierei in der Trainerfrage bereichert. Kein Problem: Führt diese unkonventionelle Lösung nicht zum Erfolg, dann wird die Unterhaltung eine vortreffliche sein. Und um gute Unterhaltung geht es bei Gottéron in erster Linie. Oder?
Eine Saisonvorschau von Eismeister Zaugg mit Rang-Prognosen zu allen Teams folgt kurz vor dem Saisonstart.
Idee, Konzept und Inhalt: Klaus Zaugg. | Redaktionelle Betreuung: Adrian Bürgler, Olivier Meier. | Technische Umsetzung: Nicole Christen, Carlo Natter, Philipp Reich, Jelle Schutter. | Spielerportraits: nationalleague.ch.