Meister im April 2023, Champions-League-Sieger im Februar 2024. Dazwischen eine miserable Qualifikation und schon am 9. März das Saisonende nach dem Scheitern im Play-In gegen Biel: Innerhalb eines Kalenderjahres fliegt Servette so hoch wie noch nie in seiner Klubgeschichte und fällt auf den 10. Rang. So tief wie nie mehr seit 2006 (Platz 11).
Es gibt Gründe für dieses Wechselspiel zwischen Euphorie und Depression. Die Zusatzbelastung durch die Champions League (total 13 Spiele mehr als beispielsweise der ZSC); gesundheitliche Sorgen von Schlüsselspielern (Lennström, Miranda, Richard, Rod); die «Mission Impossible», Henrik Tömmernes und Linus Omark zu ersetzen. Die liederliche Verfassung der Torhüter. Und natürlich auch der «Meisterblues», der sich weder in Noten noch in Statistiken messen lässt, aber den Meistern immer und immer wieder zu schaffen macht.
Am schlimmsten beim SC Bern. Dort wird seit fünf Jahren Meisterblues gespielt. Vor Servette verpassten schon der SCB (2014 und 2020) und die ZSC Lions (2019) als Titelverteidiger die Playoffs. Die Liga ist inzwischen so ausgeglichen, dass Genügsamkeit rasch bestraft wird. Trainer Jan Cadieux warnte oft und immer wieder auch laut, aber seine Worte verhallten offensichtlich ungehört. Sollte es sich um einen Göschenen-Airolo-Effekt handeln – seine Worte gehen bei den Spielern bei einem Ohr rein und beim anderen gleich wieder raus –, dann sollte er sich seines Jobs nicht zu sicher sein.
Meister hin und Champions League-Sieger her. Nun denn: Die Batterien sind nach dem frühen Saisonende frisch geladen, neue und bessere Ausländer sind gekommen (Michael Granlund und Michael Spacek). Die Mannschaft hat genug Talent, um sogar die ZSC Lions herausfordern zu können. Sofern Robert Mayer die Magie des Frühjahres 2023 wieder findet. Ist das nicht der Fall, dann kann ihm Jan Cadieux beim Abschied den Wintermantel schenken.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Benotung 1 bis 10.
Jan Cadieux war als Spieler nicht so talentiert wie sein Vater Paul-André Cadieux und musste sich seine Karriere (über 650 NL-Einsätze) hart erarbeiten. Das mag erklären, warum es ihn manchmal so ärgert, wenn Spieler das Eishockey nicht als Berufung sehen und mit der gleichen Hingabe bei der Sache sind wie er während seiner ganzen Karriere.
Er kann in der Kabine ziemlich stur und unversöhnlich sein und bei Bedarf toben wie einst Chris McSorley. Aber alles mit feinem Gespür. Er ist er ein smarter, versierter Coach, der sich von ganz unten (Gottéron-Nachwuchs, Ticino Rockets) nach oben gearbeitet und erst während seiner dritten Saison als Assistent bei Servette am 10. November 2021 als Nachfolger von Patrick Emond zum Cheftrainer befördert worden ist. Seither hat er alle Erwartungen weit, weit übertroffen und Servette 2023 den ersten Titel und 2024 den Triumph in der Champions League beschert.
Da ist es wahrlich leichtgefallen, über die verunglückte Qualifikation und die verpasste Playoff-Qualifikation in der vergangenen Saison gnädig hinwegsehen. Aber eine zweite ähnlich durchzogene Qualifikation könnte trotz allen Verdiensten Emotionen im Umfeld wecken, die ihn in Bedrängnis bringen könnten.
Die zwei grossen Fragen vor der letzten Saison waren: Erstens: Welchen Robert Mayer wir 2023/24 zu sehen bekommen? Zweitens: Ist Gauthier Descloux robust genug, um die Saison durchzustehen? Robert Mayer war – um es etwas boshaft zu sagen – nur eine Karikatur seiner besten Tage und Gauthier Descloux brachte es gerade mal auf 14 Einsätze. Also musste Sportchef Marc Gautschi mit Jussi Olkinuora einen ausländischen Torhüter herbeirufen.
Nun vertraut er erneut auf Robert Mayer und Gauthier Descloux. Unfreiwillig freiwillig: Robert Mayer hat einen Vertrag bis 2027 und Gauthier Descloux bis 2026. Wie wenig Sportchef Marc Gautschi von seinen zwei Schweizer Goalies hält, zeigte sich früh: Bereits 23. September hat er mit dem Finnen Antti Raanta einen ausländischen Goalie verpflichtet. Ein Ausländer, der im Spätherbst seiner Karriere steht und zwei Schweizer, die wissen, dass ihnen weder der Sportchef noch der Trainer vertraut – eine reichlich riskante Mischung auf der wichtigsten Position. Einerseits: Kein anderes Team der Liga geht bei den Goalies ein so grosses, eigentlich unverantwortlich hohes Risiko ein. Andererseits: No risk, no fun!
155 Treffer kassierte Servette. Mehr als Ambri und die Lakers (je 151) und 15 mehr als in der vorangegangenen Meistersaison. Mit den defensiven helvetischen Titanen Tim Berni, Roger Karrer und Simon Le Coultre und mit dem finnischen Weltmeister und Olympiasieger Sami Vatanen. Es gibt eine versöhnliche Erklärung: Es ist nicht gelungen, Henrik Tömmernes zu ersetzen. Zumal sein Nachfolger Theodor Lennström verletzungsbedingt nur 17 Spiele bestreiten konnte.
Es gibt aber noch eine andere, zutreffendere Erklärung: Wir können es kurz und bündig auf den Punkt bringen: Mit Robert Mayer und Gauthier Descloux in der letztjährigen Form war es gar nicht möglich, eine stabilere Defensive aufzubauen. Sage mir, ob Robert Mayer und Gauthier Descloux erneut Lottergoalies sind und ich sage dir, wie es um Servettes Verteidigung steht.
Eine Mittelachse, die rockt und rollt und zaubert: Josh Jooris, Markus Granlund, Sakari Manninen, Marc Antoine Pouliot, Tanner Richard und Michael Spacek. Kein anderes Team ausserhalb der NHL hat so viele so hochkarätige Mittelstürmer und so viel Talent und Erfahrung hat es auf der Mittelachse in unserem Schweizer Eishockey noch gar nie gegeben.
Letzte Saison war die Torproduktion auf 140 Treffer geschrumpft. Selbst Ambri war offensiv besser (153 Tore). Nun darf erwartet werden, dass Servettes offensive Feuerkraft sogar jene aus der Meistersaison (185 Tore) übertreffen und wie 2022/23 die grösste der Liga sein wird. Eine Anmerkung sei erlaubt: Die Offensive entscheidet Spiele. Aber die Defensive und insbesondere die Torhüter entscheiden die Meisterschaft.
Ist Sportchef Marc Gautschi ein wenig im Ruhm der Meistersaison 2022/23 gefangen? Ein wenig schon. Möglicherweise hätte eine Erneuerung nach der historischen Meisterfeier und eine Trennung beispielsweise von Valtteri Filppula und Daniel Winnik sowie die Verpflichtung einer neuen Nummer eins und die Zurückstufung von Robert Mayer zur Nummer 2 geholfen.
Aber wer trennt sich denn schon freiwillig von meisterlichen Helden? Niemand. Marc Gautschi hat Servettes Meisterteam gebaut und es halt nicht schnell und mutig genug umgebaut. Das ist Kritik auf hohem Niveau. Geld ist bei Servette längst kein Problem mehr seit die Stiftung von Rolex-Gründer Hans-Wilsdorf-Stiftung den Klub alimentiert. Selbst Rollenspieler wie Luca Hischier oder Alessio Bertaggia werden weit über Marktwehrt bezahlt.
Es gibt eigentlich nur ein Problem: Die Infrastruktur. Die Arena ist 1961 für die WM in Genf gebaut worden und galt damals als modernste Europas und noch in den 1970er Jahren freuten sich alle Teams des Landes, dort auftreten zu dürfen. Inzwischen ist sie die schäbigste der Liga. Eine urbane Valascia. Aktuell gibt es ein Arena-Projekt für 140 Millionen Franken, ein Fassungsvermögen für 8500 Zuschauer und eine Fertigstellung bis 2028. Aber Genf ist eine Stadt, die Hockeystadien plant. Nicht baut. Aber das ist nicht die Schuld des Managements von Hockey-Servette.
Eine Saisonvorschau von Eismeister Zaugg mit Rang-Prognosen zu allen Teams folgt kurz vor dem Saisonstart.
Idee, Konzept und Inhalt: Klaus Zaugg. | Redaktionelle Betreuung: Adrian Bürgler, Olivier Meier. | Technische Umsetzung: Nicole Christen, Carlo Natter, Philipp Reich, Jelle Schutter. | Spielerportraits: nationalleague.ch.