Partien zwischen Heinz Ehlers Langnau und Kari Jalonens SCB sind taktisch die besten der Liga. Sie mahnen an eine über hundertjährige Geschichte aus dem oberen Emmental.
Zwei Bauern spielen in der Altjahrswoche (den Spengler Cup gibt es noch nicht) eine Partie Mühle um ein Kalb.
Sie unterbrechen das Spiel nur, um den Stall zu besorgen und kurz zu schlafen. Das Zimmer mit dem Mühlespiel schliessen sie jeweils sorgfältig ab. Damit auch die Hauskatze die Steine auf dem Brett nicht verschieben kann.
Beide sind so konzentriert bei der Sache, dass die Partie nach vier Tagen immer noch unentschieden steht. Sozusagen 0:0. Keiner bringt eine Mühle zustande. Das Spiel endet, als die zornige Bäuerin mit dem Teppichklopfer ins Zimmer tritt und die Steine vom Brett wischt.
So ungefähr müssen wir uns taktisch eine Direktbegegnung der Teams von Heinz Ehlers und Kari Jalonen, das Berner Derby also, vorstellen.
Die Mischung aus Raum- und Manndeckung macht ein unberechenbares Spiel berechenbar. So wie den vorerwähnten Bauern keine Mühle, so gelingt in diesem Derby vorerst weder dem SCB noch Langnau ein Tor. Es ist angerichtet für ein 0:0 nach Verlängerung und Entscheidung im Penaltyschiessen.
Aber Thomas Rüfenacht verdirbt alles: Simon Moser kassiert für einen verspäteten Check zwei Minuten, Thomas Rüfenacht reklamiert und wird zusammen mit Simon Moser auf die Strafbank verbannt (17.). Mit fünf gegen drei Feldspielern bricht Langnau den Bann. 1:0.
Dem SCB wird es nicht mehr gelingen, die Partie zu drehen. Das viel grössere spielerische Potenzial genügt gegen einen taktisch so schlauen Gegner nicht. Weil die Intensität fehlt. Trainer Kari Jalonen mag Thomas Rüfenacht hinterher nicht kritisieren. Es ist nicht seine Art, Niederlagen zu «personalisieren». Das verbale Donnerwetter folgt später hinter verschlossener Tür. Garantiert.
Die Langnauer haben taktisch perfekt gespielt. Kari Jalonen, der sich sonst nicht über den Gegner äussert, lobt Langnaus starke Leistung ausdrücklich. Hat je ein Trainer aus so wenig so viel gemacht wie Heinz Ehlers? Wahrscheinlich nicht.
Das System ist in Langnau wahrhaftig grösser als der Einzelspieler. Dieses Erfolgsgeheimnis zeigt sich im ungewöhnlichsten «Doppelpack» der Liga. In Langnau funktioniert die doppelte Torhüterlösung bereits in der vierten Saison.
Zwei Torhüter sind zwar in Mode gekommen. Bei allen zwölf Teams sind in dieser Saison schon zwei Goalies eingesetzt worden. In der Torhüterstatistik sind bereits 24 verschiedene Goalies aufgeführt.
Aber zwei gleichwertige, gleichberechtigte, gleichrespektierte Goalies hat nur Langnau mit Damiano Ciaccio (29) und Ivars Punnenovs (24). Bei allen anderen Teams gibt es eine klare Hierarchie.
Niemanden kommt es in den Sinn Pascal Caminada, Elien Paupe, Niklas Schlegel, Stefan Müller, Noël Bader, Ludovic Waeber oder Sandro Aeschlimann auf die gleiche Stufe zu stellen wie Leonardo Genoni, Jonas Hiller, Lukas Flüeler, Elvis Merzlikins, Melvin Nyffeler, Reto Berra oder Tobias Stephan.
Und in Ambri gilt Benjamin Conz als Nummer eins vor Daniel Manzato, in Genf ist Robert Mayer gerade dabei, seinen Status als Nummer eins gegen Gauthier Descloux zu verlieren und in Davos ist Arno Del Curtos «Doppeltorhüter-Strategie» mit Gilles Senn und Joren van Pottelberghe soeben krachend gescheitert.
In Langnau aber stehen zwei Torhüter auf gleicher Höhe. Seit dem Wiederaufstieg von 2015 ist Damiano Ciaccio 80 und Ivars Punnenovs 95 Mal eingesetzt worden (hin und wieder kamen in einer Partie beide zum Zuge). Diese Saison haben sie eine Fangquote von über 93 Prozent. So spielt es gar keine Rolle, dass Ivars Punnenovs gerade wegen einer Muskelblessur für ein paar Spiele aussetzen muss. Nun spielt halt Damiano Ciaccio ein paar Partien mehr und er hat soeben die Siege gegen die Lakers (2:0) und den SCB (3:1) festgehalten. Seine Fangquote gegen den SCB: 96,00 Prozent.
Oder wie Sportchef Marco Bayer sagt: «Wir haben zwei Torhüter, die uns in jedem Spiel die Chance auf den Sieg geben.» Er sei sehr froh, dass er nun auch den Vertrag mit Damiano Ciaccio bis 2021 verlängern konnte. Ivars Punnenovs hatte bereits letzte Saison bis 2021 prolongiert – ohne Ausstiegsklausel.
Warum funktioniert in Langnau, was an allen anderen Orten nicht möglich ist? Trainer Heinz Ehlers, der wohl beste «taktische Sozialist», spielt eine wichtige Rolle. Aber es gibt noch einen Grund: Damiano Ciaccio, der Sizilianer mit Schweizer Pass und Ivars Punnenovs, der lettische Nationalgoalie mit Schweizer Lizenz, sind so unterschiedliche Typen, dass sie harmonieren.
Wer Damiano Ciaccio begegnet, schaut sich im Raum um, ob nicht irgendwo ein Schlagzeug steht oder eine Gitarre an der Wand hängt. Der Sizilianer hat das lange Haar mit einem Knoten gebändigt und sieht aus wie ein Rockmusiker. Er wirkt introvertiert und spricht mit der leisen Melancholie eines Desperados. Im Kasten der SCL Tigers ist er am Ort seiner Bestimmung angelangt. Er weiss: Einen besseren Job findet er als Hockeyprofi nicht mehr.
Die Konkurrenz durch den fünf Jahre jüngeren Ivars Punnenovs stört ihn nicht. Er ist vielmehr froh, kann er die Belastung teilen. Wohl wissend, dass ihm sein Konkurrent Atempausen ermöglicht. Alle 50 Qualifikationsspiele bestreiten? Das wäre wohl zu viel.
Seine Persönlichkeit prägt seine Spielweise: Der unkonventionelle Stilist lauert oft tief im Netz auf den Puck und nervt die Stürmer mit seiner Ruhe. Ein unerschütterlicher, grosser, wehrhafter und erstaunlich flinker Blocker (191 cm, 89 kg), der viel Fläche abdeckt. Seine Ruhe überträgt sich auf seine Vordermänner.
Wer Ivars Punnenovs begegnet, schaut sich um, ob irgendwo im Raum ein Koffer steht. Der freundliche, extrovertierte, wissbegierige junge Mann mahnt an einen Abenteurer auf der Durchreise. Langnau ist noch nicht der finale Ort seiner Bestimmung. Das Dorf im Emmental ist eher sein Ausgangspunkt zu einer Reise in die ganz grosse Hockeywelt. Von hier aus hat Martin Gerber im Alter von 27 Jahren Schweden und Amerika erobert und ist Dollarmillionär geworden – warum sollte dies nicht auch Ivars Punnenovs gelingen, wenn er sich bewährt wie Martin Gerber?
Er weiss um sein Potenzial. Er hat ein gesundes Selbstvertrauen, eine fordernde Art und ist nicht zufrieden, wenn er nicht spielen darf. Aber er akzeptiert die Konkurrenz durch Damiano Ciaccio. Wohl wissend, dass ein gleichwertiger Konkurrent ihm nützt, ihn fordert und fördert. In Langnau kann er sich weiterentwickeln, noch besser werden. Bis er so gut ist, dass er in die NHL oder zu einem der Titanen der Liga wechseln kann.
Seine Persönlichkeit spiegelt sich in seinem Stil: Er kommt weiter aus seinem Kasten heraus als Damiano Ciaccio, spielt herausfordernder, aggressiver und strahlt Energie aus, die sich auf seine Vorderleute überträgt. Der Abstieg mit den Lakers hat ihn mental gestärkt. Er lässt sich seither nicht mehr beirren.
Damiano Ciaccio kommt auch aus einer anderen Kultur. Sein Vater ist aus Sizilien in die Schweiz eingewandert und hat mit einem eigenen Gipser- und Malergeschäft in La Chaux-de-Fonds eine Existenz aufgebaut. Eishockey kommt in der DNA der Familie nicht vor.
Damiano Ciaccio gilt früh als grosses Talent und zwecks Förderung wechselt er im Novizenalter zu Fribourg-Gottéron. Doch dort ist für ihn der Weg in die NLA durch Titanen wie Sébastien Caron und Cristobal Huet verbaut und so kommt er via La Chaux-de-Fonds schliesslich mit den SCL Tigers doch noch unter dramatischen Umständen in die NLA. Erst steigt er 2013 mit den Emmentalern in die NLB ab, kehrt für ein Jahr nach La Chaux-de-Fonds zurück, wechselt wieder nach Langnau und wird im Frühjahr 2015 zum Aufstiegshelden. Die Schmach von 2013 ist getilgt.
Ivars Punnenovs hat den lettischen Pass und zählt nicht als Ausländer, weil er schon als Junior in der Schweiz gespielt hat. Mit 14 verlässt er seine Heimat und zog auf Vermittlung von Harrijs Witolinisch von Riga zu den Oberthurgauer Pikes um.
Er kommt aus einer hockeyverrückten Familie. Sein Grossvater war in der Sowjetunion Hockeyschiedsrichter und sein Vater wäre, wenn es seine berufliche Laufbahn ermöglicht hätte, gerne Hockeyspieler geworden. Ivars Punnenovs hat einmal erzählt, sein Vater habe alles getan, um dafür ihm eine Hockeykarriere zu ermöglichen. Die WM 2006 in der Heimatstadt Riga habe er aus nächster Nähe verfolgt. «Unser Juniorentrainer war zuständig für die Eisreinigung während der Werbepausen. So durfte ich die Spiele hinter dem Plexiglas verfolgen und während der Werbepausen mit der Schaufel aufs Eis.»
Zwei Torhüter, zwei völlig verschiedene Biographien. Damiano Ciaccio und Ivars Punnenovs sind nicht Freunde. Aber sie respektieren und helfen sich gegenseitig. Konkurrenten in einer Schicksalsgemeinschaft, die auf der Strasse ihrer sportlichen Karriere ein Stück weit gemeinsam gehen.
Ein Traumpaar im Tor. Das ist der entscheidende Grund für Langnaus beste Saison seit dem Wiederaufstieg.
Noch gewinnen sie eher, weil sie mit ihrem defensiven Mühlespiel ein Tor weniger kassieren als der Gegner. Und nicht, weil sie ein Tor mehr erzielen. Aber gegen den SCB haben wir in der Schlussphase den Tanz eines offensiven Traumpaares gesehen.
Die Art und Weise, wie der leidenschaftliche Vorkämpfer Chris DiDomenico bei einem Zweierbreak den Puck mit der Genauigkeit eines Landvermessers auf den Stock von Harri Pesonen zaubert und wie der leichtfüssige, smarte finnische Leitwolf direkt am grossen Leonardo Genoni vorbei zum 3:1 ablenkt – das ist so grosse Klasse, dass wir davon ausgehen können, dass die beiden im Duett diese Saison noch oft skoren werden.