Gaukler? Ja, es ist die treffende Bezeichnung. Gaukler steht für Künstler, die ihre Fertigkeiten an Jahrmärkten auf fester oder in Stadien auf rutschiger Unterlage dem Publikum präsentieren.
Ursprünglich stand die Bezeichnung «Gaukler» für Zauberkünstler. Dazu zählte man einst, als das Wort erfunden wurde und es das Hockey als Teil der Unterhaltungsindustrie noch nicht gab, auch Artisten, Akrobaten, Seiltänzer, Jongleure, Tanzbären-Flüsterer, Falkner, Bauchredner, Löwenbändiger, Feuerschlucker, Possenreisser, Schlangenbeschwörer, Komödianten, Quacksalber, Marktschreier, Clowns, Taschenspieler, fahrende Musikanten, Fakire, Wahrsager, Schnorrer, Schlangenmenschen, Hypnotiseure oder Kartenleger (Aufzählung nicht vollständig).
Und nun mal ganz ehrlich und unter uns Pfarrerstöchtern: kennen wir nicht alle ein paar Stars oder Trainer oder Manager, auf die eine oder gar mehrere der vorher erwähnten «Berufs-Bezeichnungen» ein wenig zutrifft?
Wenn sich im Februar die Qualifikation dem Ende zuneigt, schlägt öfters die Stunde der Gaukler. Die Titanen – beispielsweise Zug oder der SC Bern – können sich nun Niederlagen leisten oder nehmen sie durch hartes Konditions- und Krafttraining im Hinblick auf die längst gesicherten Playoffs in Kauf.
Wenn sie gegen leidenschaftliche Aussenseiter antreten müssen wie beispielsweise Ambri, die um jeden Puck und jeden Punkt kämpfen, riskieren sie eine Niederlage. Oder auch gegen Miserable wie die Davoser, die um die Wiederherstellung der Ehre kämpfen.
Kein Wunder also, haben wir gerade in Zug einen unvergesslichen «Abend der Gaukler» erlebt. Und was für einen! Zug kassiert im ersten Drittel vier Tore. Zwei während der gleichen Ambri-Strafe in Überzahl mit einem Time-Out dazwischen. Und schuld sind auch Titanen wie Raphael Diaz.
Nach Tiefenbohrungen im Archiv findet der gewissenhafte Chronist erst am 21. November 2014 ein Heimspiel der Zuger mit vier Gegentreffern im ersten Drittel. 0:4 stand es damals gegen Lugano in der ersten Pause und am Ende gar 1:7. Auch wenn der Chronist sich bei seinen historischen Recherchen geirrt haben sollte – es gibt noch eine aktuelle Statistik: in den letzten 29 Partien haben die Zuger im Startdrittel nie mehr als einen Gegentreffer kassiert. Wahrlich, ein «Abend der Gaukler».
Ambri dürfen wir rühmen, loben und preisen. Wie wir das in dieser Saison so oft getan haben. Dieser Sieg ist ein weiterer Schritt hin zu einem Wunder, hin zu den Playoffs. Mit dieser Mannschaft die Playoffs zu erreichen ist die grössere Leistung als mit Zug oder Bern oder Lugano oder den ZSC Lions die Meisterschaft zu gewinnen.
Doch nichts tut der Chronist lieber als schmähen und kritisieren. Und ist dieses 3:6 gegen Ambri nicht ein Steilpass zu harscher Kritik? Eine wunderbare Gelegenheit, den Zugern in belehrendem Ton zu verkünden, so gehe das dann in den Playoffs nicht. Nun müsse man über die Bücher und so weiter und so fort.
Aber so ist es nicht. Trainer Dan Tangnes kommt dieser «Abend der Gaukler» ganz tief in seiner Hockeyseele gelegen. Das darf er natürlich nicht sagen. Niemand darf das sagen.
Aber es ist, wie es ist. Der Trainer einer Spitzenmannschaft mag im Morgenrot vor den Playoffs solche Pleiten. Er will ja, dass seine Jungs aufmerksam zuhören und kapieren, dass es nur mit allerhöchster Konzentration, strikter Disziplin, hellwachen Sinnen und brennenden Herzen möglich ist, in den Playoffs zu bestehen. Aber wenn sie im Laufe der letzten vier Monate fast immer gewonnen haben, die Playoffs längst gesichert sind und es vorübergehend keinen Menschen kümmert, ob sie gewinnen oder verlieren – dann hören sie dem Trainer nicht mehr so richtig zu. Und denken: Ach, erzähl doch was du willst, wir wissen schon wie es geht.
Nichts ist so lehrreich wie so ein «Drittel der Gaukler», wie dieses 0:4 nach 8 Minuten und 40 Sekunden, dieser kurzzeitige totale Systemausfall. Nach so einem Schockerlebnis hebt dann wieder jeder aufmerksam den Kopf wie ein Hund im Roggenfeld wenn der Chef doziert. Zugs Trainer darf zufrieden sein: seine Jungs haben sich noch während des Spiels wieder zusammengerissen, immerhin noch die Ehre gerettet und «nur» 3:6 verloren.
Ach, gäbe es doch mehr solche «Abende der Gaukler.» Und ein bisschen mehr Zug und weniger SCB. Diese beiden Teams dominieren ja die Qualifikation nach Belieben. Am Samstag wird in der Direktbegegnung möglicherweise eine Vorentscheidung um den Qualifikationssieg fallen. Zu Gunsten der Berner. Es wäre für den SCB der dritte Qualifikations-Sieg in Serie.
Nie mehr seit den Zeiten des «Grande Lugano» unter John Slettvoll fab es einen Trainer, der so sehr alles im Griff und unter Kontrolle hat wie der grosse, grosse Kari Jalonen in Bern. Da sind taktische Ingenieure und Präzisionsmechaniker, fleissige und grimmige Handlanger und keine Gaukler an der Arbeit.
Meistens ist nach fünf Minuten bereits klar, wie ein SCB-Spiel verlaufen wird, alles ist vorhersehbar und nie war Eishockey im 21. Jahrhundert während den langen Wochen der Qualifikation berechenbarer (oder dürfen wir sagen langweiliger?).
Aber genau das macht die Berner zu himmelhohen Titelfavoriten. An dieser Einschätzung wird auch eine Derby-Niederlage am Samstag, den 2. März 2019 in Langnau nichts ändern.
Typisch, dass der taktisch stählerne SCB in Davos oben eben nicht verloren hat wie die Zuger daheim gegen Ambri. Sondern einmal mehr als Sieger vom Eis gegangen ist (4:3). Obwohl Leonardo Genoni einen kuriosen Treffer kassierte. Aber er personifiziert eben die SCB-Qualitäten: er liess sich nicht aus der Ruhe bringen und sicherte den 9. Auswärtssieg in Serie ab.
Hie und da eine kleinere oder grössere Prügelei ist das einzige Showelement, das der SCB mit Duldung des Trainers zur Unterhaltung des werten Publikums vorsätzlich beizusteuern pflegt.
Diesem wahrhaft grossen SCB zuzusehen ist wie ein altes Telefonbuch lesen. Nun kommt noch dazu, dass «Kari der Grosse» alles so sehr im Griff hat, dass hinterher auch noch alle so reden, als würden sie nur alte Telefonbücher statt Claas Relotius, Tom Kummer, Erich von Däniken oder T.C. Boyle lesen.
Wenn wir ehrlich sind, dann erhoffen wir uns bei jedem Spiel einen «Abend der Gaukler» wie soeben in Zug. Es endet ja nicht so dramatisch und verstörend wie das gleichnamige Filmdrama von Ingmar Bergmann aus dem richtigen Leben.
Eishockey ist schliesslich nur ein Spiel. Oder?