Ja, die «Hand Gottes» hat Ambri den Sieg gestohlen. Eine «Hand Gottes»? Der Begriff hat im Fussball sogar Legendencharakter.
Am 22. Juni 1986 erzielt Diego Maradona im WM-Viertelfinal gegen England das 1:0 (Schlussresultat 2:1) mit der Hand (was der Schiedsrichter übersieht) und sagt hinterher, die «Hand Gottes» sei im Spiel gewesen. Er gewann mit Argentinien auch den WM-Titel.
Nun hat das Publikum ausgerechnet in Langnau eine defensive Hockey-Version der «Hand Gottes» gesehen.
19 Sekunden vor Schluss des ersten Drittels – es steht noch 0:0 und das Spiel steht wahrlich auf des Messers Schneide – hat Ambris WM-Silberheld Michael Fora freie Schussbahn. Nichts mehr steht zwischen ihm und dem Tor. Er drückt blitzschnell ab.
😱Ein Save nicht von dieser Welt! Auch dank Ciaccio sind die #SCLTigers gut im Playoffrennen!#NationalLeague #SCL #MyHockey #BigSave pic.twitter.com/lLYmiwvj61
— MySportsCH (@MySports_CH) 16. Februar 2019
Da kommt fast wie aus dem Nichts die Fanghand von Damiano Ciaccio und fängt den Puck auf. Die Handbewegung bringt für Sekundenbruchteile 6000 Frauen, Männer und Kinder zum Schweigen. Den einen bleibt der Torjubel im Halse stecken. Den anderen der Entsetzensschrei.
Diese Szene wird ein tapferes, starkes Ambri bis zum Ende des Spiels, bis zu einer bitteren Niederlage verfolgen. Denn Langnaus Defensivsystem, perfekt wie auf dem Reissbrett eines Ingenieurs entworfen, kann eigentlich nur ausgehebelt werden, wenn es a) gelingt, in Führung zu gehen (was die «Hand Gottes» verhindert hat), oder b) Leitwolf Christopher DiDomenico zu provozieren (was Ambri nie versuchte).
Wie entscheidend diese Szene war, zeigt ein Blick zurück: Gut 24 Stunden vorher spielt Langnau in Zug. Damiano Ciaccio kassiert den ersten Treffer direkt aus dem Bully heraus zum 0:1-Rückstand für seine Mannschaft. «So ein Tor hatte ich zuvor während meiner Karriere noch nie kassiert», sagt er hinterher selbstkritisch. Und seine Nationalliga-Karriere dauert immerhin schon länger als 400 Partien.
Dieser erste Treffer war für Langnau letztlich der Anfang vom Ende (einer 2:4-Niederlage). Es wäre den Emmentalern wahrscheinlich gegen Ambri gleich ergangen, wenn sie das erste Tor kassiert hätten.
Der 30-jährige italienisch-schweizerische Doppelbürger hat wohl zugegeben, dass dieser erste Gegentreffer in Zug ein Karriereflop war. Aber er legt am nächsten Abend auch Wert auf die Feststellung, dass die Heldentat gegen Ambri nicht einmalig sei. «Solche Paraden sind mir vorher auch schon gelungen.»
Was unterscheidet einen grossen von einem guten Torhüter? Die Fähigkeit, Flops wegzustecken. Gegen Zug wehrte er bloss 86,71 Prozent der Schüsse ab. Gegen Ambri waren es 96,43 Prozent. So gesehen ist Damiano Ciaccio ein grosser Goalie. Und darüber hinaus der Schlussmann mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis in unserer Liga: Er ist die einzige Nummer eins, die weniger als 300'000 Franken verdient. Seit der Verletzung von Ivars Punnenovs hat Damiano Ciaccio ja bewiesen, dass er tatsächlich eine Nummer eins in der höchsten Liga sein kann.
Es war für Ambri halt einfacher, ein wildes Derby gegen Luganos Operetten-NHL-Kandidaten Elvis Merzlikins (80 Prozent Fangquote) zu gewinnen, als Langnaus «Hand Gottes» zu überwinden.
Wichtigster Einzelspieler neben Damiano Ciaccio war nicht Doppeltorschütze Eero Elo. Sondern Chris DiDomenico. Weil er, im Gegensatz zur Partie in Zug (14 Strafminuten) die Nerven nicht verlor und lediglich eine Zweiminutenstrafe kassierte.
Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, einen Leitwolf an die Leine zu nehmen. Die Zuger hatten gegen Langnaus Topskorer am Freitag den Weg der Provokation gewählt und 4:2 triumphiert.
Die Langnauer wählten die sanfte Verison: Sie neutralisierten Ambris Liga-Topskorer Dominik Kubalik im Kollektiv. Will heissen: nicht durch gezielte Aktionen auf den Mann. Sondern durch Aufmerksamkeit, Organisation und Disziplin im Kollektivspiel. Ambris bester Stürmer blieb immer wieder im gut gestaffelten gegnerischen Defensiv-Dispositiv hängen. Der fliegende tschechische Flügel bekam zu wenig Zuspiele und es fehlten ihm die freien Räume für seine Tempovorstösse. Die Langnauer stellten ihm den Strom ab.
Die taktische Rechnung von Heinz Ehlers ist also wieder einmal in jeder Beziehung aufgegangen: Sein flamboyanter Leitwolf Chris DiDomenico behielt diesmal die Nerven, der gegnerische Topskorer blieb wirkungslos, und als es schien, als könnte Ambri dem grossen Taktiker doch einen Strich durch die Rechnung machen, da half eben die «Hand Gottes».
Zu den grössten Leistungen Heinz Ehlers gehört die Zähmung, die Integration von Chris DiDomenico in die Mannschaft. Der eher wortkarge und jeder Form von Polemik abholde Erfolgstrainer bringt es auf den Punkt: «Ja, Chris DiDomenico ist ein schwieriger Spieler für den Trainer. Aber eben auch für die gegnerische Mannschaft …»
Zu den ausländischen Arbeitnehmern gibt es noch eine Anmerkung: Die SCL Tigers sind die einzige Mannschaft, die in dieser Saison in allen Spielen vier Ausländer einsetzen konnten. Weil sie von allem Anfang an fünf unter Vertrag hatten. «Das ist für eine Mannschaft wie Langnau sehr, sehr wichtig», sagt Heinz Ehlers. «Bern oder Zug können es sich leisten, zwischendurch mit drei Ausländern zu spielen, wir nicht.» Er habe damals in Lausanne die Playoffs trotz Punktgleichheit mit dem SCB (der anschliessend Meister wurde) nicht geschafft und den Job verloren, weil er in 21 Spielen mit zwei oder drei Ausländern antreten musste.
Eigentlich will Langnaus kluger Präsident Peter Jakob nächste Saison Geld sparen und nicht mehr von allem Anfang an fünf Ausländer beschäftigen. Doch im Verwaltungsrat gibt es starke und zahlungskräftige Opposition gegen diese fatale Sparidee.
Eigentlich ist es ja ganz einfach: Sportchef Marco Bayer hat bereits drei Ausländer unter Vertrag: Chris DiDomenico (bis 2020 plus Option), Harri Pesonen (bis 2021) und Robbie Earl (bis 2022, er kommt vom EHC Biel). Er könnte jetzt einfach auch die Verträge von Eero Elo und Aaron Gagnon verlängern und er hätte die fünf Ausländer, die der Trainer als unbedingt notwendig erachtet.
Das ist vorerst Spekulation. Kehren wir einmal noch kurz zur Gegenwart zurück. Theoretisch ist Langnau noch nicht zum zweiten Mal nach 2011 für die NL-Playoffs qualifiziert. Praktisch hingegen schon. Heinz Ehlers wird nach der Partie von den Chronisten (Chronistin war keine da) auf die nahenden Playoffs angesprochen. Er wehrte sich dagegen, schon konkret darüber zu sprechen. Aber immerhin liess er sich die Aussage entlocken, dass Langnau, was auch kommen werde, gegen jeden Gegner eine Chance habe. «Wir haben damals in Lausanne gegen die ZSC Lions und gegen den SCB das Viertelfinale erst im siebten Spiel verloren.»
Da dürfen wir ohne zu polemisieren schon sagen: Erreichen die Emmentaler im Viertelfinale unter Heinz Ehlers die gleiche Leistungsstärke wie damals Lausanne gegen die ZSC Lions und den SCB, dann wäre Biel der perfekte Gegner. Die Seeländer wären für die Langnauer ein «Freilos» fürs erste NL-Halbfinale der Klubgeschichte.