Weiterhin nordisch schlafen oder «räble»? Der SCB ist das weichste Team der Liga
Es geht hier in erster Linie um eine sachliche Analyse und weniger um Polemik. Wer nicht viel Zeit hat und es doch ein wenig polemisch mag, möge lediglich die zweite Hälfte dieser Ausführungen studieren, die mit dem Hinweis «Beginn der Polemik» markiert ist.
Die sachliche Analyse: In den letzten zwei Jahren hat gerade noch ein einziger skandinavischer Trainer den Playoff-Halbfinal erreicht: Dan Tangnes scheiterte 2024 mit 0:4 gegen die ZSC Lions. Seither haben ein Kanadier (Marc Crawford) und zwei Schweizer (Jan Cadieux und Marco Bayer) die Titel geholt.
Diesen Trend gegen das nordische Systemhockey gibt es auch auf internationalem Niveau. Zwischen 2016 und 2022 erreichten Finnland oder Schweden bei jeder WM den Final. 2017 und 2018 holte Schweden den Titel, 2019 und 2022 Finnland. Die Finnen, die das defensive Schablonenhockey zur Perfektion und darüber hinaus entwickelt hatten, sind 2022 auch Olympiasieger geworden.
Aber seither sind die Skandinavier im Final nicht mehr vertreten. Die Schweiz (zweimal), Deutschland, Kanada, Tschechien und die USA spielten 2023, 2024 und 2025 um den Titel.
Zufälligkeiten spielen auch eine Rolle. Und doch: Es ist ein Trend. Das Eishockey hat sich verändert. Es ist weniger taktisch, weniger berechenbar geworden. Ja, wir erleben immer mehr so etwas wie das Ende des nordischen «Schablonen-Zeitalters». Und bei dieser Behauptung dürfte es sich nicht um einen so fundamentalen Irrtum handeln wie bei Francis Fukuyamas weltberühmter Einschätzung aus dem Jahre 1989. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus hatte der Politikwissenschaftler das Ende der Geschichte («End of History») und damit das Ende ideologischer Konflikte und Kriege überhaupt und den Sieg der Demokratie verkündet.
Der Finne Kari Jalonen war in Bern 2017 und 2019 der letzte ganz grosse «Schablonen-Meister». Die Berner waren nicht viel talentierter als ihre Gegner. Sie waren taktisch schlauer und disziplinierter. Taktik frisst Talent.
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Kein Wunder, dass im wertkonservativen SC Bern der taktische nordische Wunderglaube immer noch tief verwurzelt ist. Dieser inzwischen fast blinde und naive Glaube lebte fort im finnischen Trainer Jussi Tapola. Er ist zweimal hintereinander im Viertelfinal gescheitert und durfte trotzdem weitermachen. Nun ist er bereits nach neun Partien gefeuert worden. Noch bevor die Blätter aus den Bäumen fallen. Schneller hat es in der Neuzeit nur Chris McSorley 2022 in Lugano nach acht Runden erwischt.
Natürlich spielt die Taktik nach wie vor eine Rolle. Wildes «Firewagon-Hockey» nach dem Motto «Run & Gun» funktioniert nicht mehr. Blinder offensiver Eifer schadet und Forechecking ohne taktischen Verstand kostet zu viel Energie. Eine gut organisierte Defensive und ein Titan im Tor sind nach wie vor unerlässlich. Jedes erfolgreiche Team wird immer eine Prise Kari Jalonen oder Jussi Tapola in seiner DNA haben.
Wer mutig auf den Zehenspitzen steht – agiert und nicht bloss reagiert –, ist im Vorteil. Wer sich auf sein System verlässt und passiv wird, ist verloren. Offensive nach Schema macht berechenbar. Folgerichtig ist der SCB aktuell die offensiv schwächste Mannschaft der Liga.
Das alles macht die Arbeit des Trainers noch anspruchsvoller. Die Cheftrainer kehren zurück zu den Ursprüngen ihres Berufes. Im Vordergrund stehen Einfühlungsvermögen, Motivationsfähigkeit und ein kühler Verstand, um im Pulverdampf der Hektik während eines Spiels den Durchblick nicht zu verlieren und die Emotionen zu kontrollieren. Sie sind wieder mehr Bandengeneräle als Taktiklehrer (den Job machen die Assistenten). Ende der betont sachlichen Analyse, Beginn der Polemik.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
-
Er ist
-
Er kann
-
Erwarte
Das Hockey-Motto in Bern hiess in jüngster Zeit immer mehr: Nordisch schlafen mit Jussi. Der SCB ist aktuell zum ersten Mal in seiner Geschichte die harmloseste, weichste Mannschaft der Liga: bisher 47 Strafminuten (5,2 pro Spiel). Dazu ein etwas polemischer Vergleich: Das böseste Team der höchsten Frauenliga ist der SC Langenthal. Mit 44 Strafminuten in 7 Partien (6,2 pro Spiel). Es ist, wie es ist: Der SCB ist weicher als das «böseste» Frauenteam. Und Langenthals Strafbank-Königin Luana Birnstiel hat bei zwei Spielen weniger bereits gleich viele Strafminuten verbüsst wie der SCB-Operetten-Bösewicht Marc Marchon.
Und wer ist am «bösesten»? Richtig geraten: Tabellenführer Lausanne mit 120 in 11 Spielen und Verfolger Davos mit 119 Minuten in 10 Spielen auf dem Sündenbänklein. Hiermit soll nicht etwa «Prügelhockey» das Wort geredet werden. Sondern dynamischem Powerhockey, das halt nur mit einer Prise Härte durchgesetzt werden kann.
Womit wir bei der Frage sind: Wie muss der nächste SCB-Trainer «funktionieren»? Ganz einfach: Die Berner brauchen einen klassischen Bandengeneral wie beispielsweise Lausannes Geoff Ward oder HCD-Trainer Josh Holden. Es ist eine bittere Ironie der Hockey-Geschichte (oder eher die Folge der Inkompetenz der Berner Sportabteilung), dass nach der Amtsenthebung von Johan Lundskog mit Toni Söderholm ein noch schlimmerer «Schablonier» ohne jedes Charisma verpflichtet wurde – dabei hätten die Berner damals Geoff Ward haben können.
Das Problem: In Bern scheut die Sportabteilung starke Persönlichkeiten mit Charisma wie der Teufel das geweihte Wasser. Weil es im SCB keine Streitkultur mehr gibt.
Nun mag man einwenden: Aber die Lakers sind doch mit Johan Lundskog, einem Schablonen-Trainer ohne Charisma, das Überraschungsteam der Saison. Richtig. Aber es gibt immer eine Ausnahme, die eine Regel bestätigt.
Der SCB kommt mit freundlichen Taktik-Trainern nicht mehr aus dem Mittelmass heraus. Für das, was der SCB braucht, in den Büros, an der Bande und auf dem Eis, gibt es den wunderbaren berndeutschen Ausdruck «räble». Was so viel bedeutet wie poltern, rattern oder rumpeln. Es kann sich auf Geräusche beziehen oder auch auf die Kommunikationskultur.
Haben die Berner den Mut zum «Räble», um nach der Amtsenthebung des Trainers auf nächste Saison auch zwei oder drei weiterlaufende Spielerverträge aufzulösen (da es hier um sachliche Berichterstattung und nicht um billige Polemik geht, nennt der Chronist keine Namen)? Haben sie den Mut, in der Sportabteilung alles in Frage zu stellen (zu «räblen») und den Mut zu Investitionen auf dem Transfermarkt, damit es bald auch dort «räblet»? Und schliesslich und endlich: Die Forderung, der SCB möge rauer zur Sache gehen als Langenthals Hockey-Frauen, ist nicht polemisch. Sie ist mehr als berechtigt.
Früher war Marc Lüthi ein Hexenmeister des «Räblens» und feuerte einmal unmittelbar nach Spielschluss einen Meistertrainer. Weil es zu wenig «geräbelt» hatte. Nun ist er altersmilde geworden und für seinen neuen Führungsstil gibt es auch einen wunderbaren berndeutschen Ausdruck: «tüüssele». Was so viel bedeutet wie sehr vorsichtig sein und ja nirgendwo anecken.
Kurzum: Sage mir, ob es beim SCB mindestens so «räblet» wie bei Langenthals Frauen – und ich sage dir, wie es um den SCB in den nächsten Jahren stehen wird. Ende der Polemik.
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