Nicht nur Klotens Präsident Hans-Ueli Lehmann wäre entzückt. So dürfte er sich das Hockey-Paradies vorstellen. Die Arena gut gefüllt, das Spektakel gross und die Kosten berechenbar. Löhne werden keine bezahlt. Jeder Spieler verdient lediglich 60 Dollar Spesen in der Woche. Es gibt also kein Gezänk um Lohn und am Ende der Saison droht auch kein Abstieg. Juniorenhockey in Kanada ist eine schöne, heile Sportwelt. Es ist allerdings ein Paradies mit gewissen Schatten.
In Städten ohne Konkurrenz durch Profisportarten wie in Halifax sind Juniorenteams ein gutes Geschäft. «Aber die Konkurrenz um die Dollars, die für die Unterhaltung ausgegeben werden, wird immer grösser», sagt Scott McIntosh. Er ist Kommunikationsdirektor der Halifax Mooseheads, dem Team von Nico Hischier. «Wir haben in Halifax eine gute Fanbasis. Aber das ist bei weitem nicht in allen Städten so.»
Eishockey ist Kanadas Nationalsport. So ist es in der Verfassung festgeschrieben. Deshalb beschäftigt sich ab und an auch die Politik mit Hockey. Die Junioren werden, wie in der NHL, per Draft den Teams in den drei Ligen zugeteilt. Das führt dazu, dass die Buben mit 16 ihr vertrautes Umfeld verlassen und bei Gastfamilien leben müssen. Oft mehr als tausend Kilometer weg von daheim.
Nur wenige können später als Hockey-Profi ihren Lebensunterhalt verdienen. Jene, die nach der Juniorenzeit mit leeren Händen dastanden – ohne Profivertrag, ohne Ausbildung – fanden sich im Leben nicht mehr zurecht. Die Zahl dieser gescheiterten jungen Menschen wurde immer grösser. Die Entwicklung löste in den 1990er Jahren eine landesweite Debatte aus.
Heute ist das Problem gelöst. Die Juniorenteams sind dazu verpflichtet, für den Schulbesuch der Spieler zu sorgen und alle Kosten für die Ausbildung zu tragen. Darüber hinaus muss jedem, der nach der Juniorenzeit keinen Profivertrag hat, eine Ausbildung vermittelt und bezahlt werden.
Für die Spieler aus Europa – wie Nico Hischier – sind Sprachkurse obligatorisch. Hischier nimmt Englisch-Kurse. «Aber ich will noch ein zweites Fach belegen. Was, weiss ich allerdings noch nicht.»
Nico Hischier wohnt bei einer Gastfamilie, Heimweh hat er nicht. Bis Weihnachten war seine Schwester da. Sie machte ebenfalls einen Sprachkurs. Auch seine Eltern und seine Freundin waren schon zu Besuch. Die Theorieprüfung hat er zwar, aber Autofahren darf er vorerst nur dann, wenn sein Mitfahrer das Billett schon seit zwei Jahren hat. «Das ist kein Problem, ich fahre sowieso nicht selber. Ich kann mit einem Teamkollegen zum Training fahren.»
Sein Tag ist strukturiert. Am Vormittag Englischkurse, am Nachmittag Training. Das zieht sich, mit Vorbesprechung, Training, Spezialtraining, Nachbesprechung vom frühen Nachmittag bis mindestens um 18.00 Uhr hin. Die Jungs werden betreut, beschäftigt, gefordert und gefördert. Hier verkommt keiner mit Jassen und Gamen.
Inzwischen offerieren immer mehr Teams ihren Spielern Ausbildungszuschüsse, die über die vorgeschriebene Unterstützung hinausgehen und arbeiten mit örtlichen Universitäten zusammen um noch bessere Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen. Auch die Mooseheads. Sie haben den Ruf, eines der bestgeführten und grosszügigsten Juniorenteams in Nordamerika zu sein.
Dieser «Hockey-Sozialstaat» ist bitter nötig. Trotz der Popularität des Nationalsports wollen immer weniger Kanadier Hockey spielen. Die Zahl der registrierten Spieler ist seit 2013 um fast 100'000 auf rund 640'000 zurückgegangen. «Die Kinder zum Eishockey zu bringen, kostet Geld. Wir spüren die Konkurrenz von weniger gefährlichen und günstigeren Sportarten wie Fussball», sagt Scott MacIntosh. Es sind die gleichen Klagen, die wir auch in der Schweiz hören.
So sind ausländische Junioren hoch willkommen. Jedes Team darf zwei nicht-nordamerikanische Spieler verpflichten, die über das Draft-System verteilt werden. Die Mooseheads gehören zu den bestorganisierten Junioren-Hockey-Unternehmen. Halifax' General Manager Cam Russell hat Nico Hischier in Europa entdeckt. «Wir können uns zwar keine permanenten Scouts in Europa leisten», sagt Russell, «aber wir haben mit Bobby Smith (eine NHL-Legende – die Red.) einen sehr grosszügigen Teambesitzer. Er erlaubt uns jedes Jahr eine Europareise. Ich werde im Februar wieder in der Schweiz sein.»
Auf einer dieser Reisen hat er Nico Hischier entdeckt. «Ich habe ihn zum ersten Mal bei der U18-WM in Zug gesehen und mir war sofort klar, wie gut er ist. Wir haben ihn später auch in Visp beobachtet und mit seinen Eltern gesprochen.»
Cam Russell sagt, die Verpflichtung europäischer Spieler sei heikel. «Manche Teams machen sich nicht die Mühe einer Reise vor Ort und draften einen Europäer nur nach Statistiken, ohne ihn vorher zu kontaktieren und erleben dann eine böse Überraschung, weil der Spieler nicht nach Nordamerika wechseln will.»
Für Nico Hischier war, nachdem Halifax die Rechte an ihm gesichert hatte, noch nicht klar, ob er auch tatsächlich ins kanadische Juniorenhockey wechseln wird. Die Entscheidung sei nicht leicht gewesen. «Es hat mir in Bern sehr gut gefallen und es war letztlich ein 50:50-Entscheid. Ich habe mich für Halifax entschieden, weil ich mich hier mit viel Eiszeit und Verantwortung besser entwickeln kann. Beim SCB könnte ich in der NLA nicht diese Rolle spielen.»
General Manager Cam Russel ist sehr am Schweizer Eishockey interessiert. Er hat nur gute Erfahrungen mit Schweizern gemacht. Drei Jahre lang war Timo Meier ein Star seines Teams und wurde 2015 ein Erstrundendraft (Nr. 9/San José). Er hat viele Fragen. Aber auf die Gegenfrage, an welchen Schweizern er denn interessiert sei, geht er nicht ein. «Betriebsgeheimnis. Das würde ich nicht einmal meiner Frau verraten …»