Noch vor dem Spiel sagt einer der meist bestraften ehemaligen Spieler der Nationalliga erwartungsfroh, Lugano werde «böse» sein. Provozieren. Mit allen Mitteln den Sieg anstreben. Aber Lugano ist nicht «böse» und wird bloss sechs Strafminuten verbüssen. Davon zwei wegen zu vielen Spielern auf dem Eis.
Lugano spielt zwar voller Energie und Leidenschaft. Aber smart und konzentriert. Am Ende wird es ein perfektes Spiel mit sehr tiefer Fehlerquote. Zum ersten Mal in den Playoffs 2018 gelingt den ZSC Lions nicht ein einziges Tor.
Die Zürcher sind nach dem Spiel selbstkritisch. Verteidiger Christian Marti moniert unter anderem fehlende Härte («wir waren zu soft»). Andere sagen, man sei zu passiv gewesen. Die Rede ist von zu vielen Fehlern. Das, was halt nach so einer Niederlage erzählt wird. Dabei war es einfach das typische Verhalten von Spielern, die gewinnen möchten, aber nicht unbedingt müssen.
Dazu gehört die Erwartung, dass der Gegner, der sich keine weitere Niederlage leisten kann, mit allen Mitteln «kommen» wird. Daraus ergibt sich der logische Vorsatz, sich ja nicht provozieren zu lassen, ja keine Fehler zu machen, ja diszipliniert zu sein. Musterschüler-Hockey. Das ist es, was die ZSC Lions gespielt haben. Gutes, solides Musterschüler-Hockey.
Lugano ist nicht in die Falle getappt wie so viele Mannschaften, die unbedingt gewinnen müssen. Die sich keine weitere Niederlage leisten können. Lugano hatte die Emotionen und die Leidenschaft unter Kontrolle und brachte genau die richtige Härte ins Spiel. Nicht zu viel, nicht zu wenig und gerade genug, um einen starken Gegner in Schach halten zu können.
Wir können auch sagen, dass es einer dieser verhexten Abende war. Bei einer Mannschaft läuft alles schief. Bei der anderen werden Märchen geschrieben.
ZSC-Trainer Hans Kossmann ersetzt auf der Ausländerposition den Kanadier Drew Shore, der beim 5:4 n.V. im Hallenstadion ein Tor und zwei Assists produziert hat, durch Pascal Pelletier – und der ist in Lugano eine offensive Nullnummer. ZSC-Trainer Hans Kossmann lässt seinen jungen Verteidiger Tim Berni (18) ruhen und bringt erstmals in diesem Finale den Veteranen Mathias Seger (40) – und der muss mit einer -2-Bilanz vom Eis.
Bei Lugano werden hingegen Märchen geschrieben. Die Legende Raffaele Sannitz (34), schon 2001 dabei, erzielt das wegweisende 1:0. Alessio Bertaggia, der Bub der Lugano-Legende Sandro Bertaggia, entscheidet die Partie mit dem 2:0. Am Samstag hatte er alleine vor Torhüter Lukas Flüeler noch den Siegestreffer vergeben.
Die ZSC Lions waren von den Hockey-Göttern verlassen, die am Samstag noch geholfen hatten. Sie waren viel besser, als sie sich selber nach dem Spiel gesehen haben und als sie von den enttäuschten Kritikern aus dem Züribiet gemacht worden sind. Die Niederlage ist mehr den Qualitäten des Gegners als den eigenen Schwächen geschuldet.
Aber der alles entscheidende Faktor, auf den wir uns eigentlich beschränken können und der eigentlich alles, was der Chronist bis zu dieser Zeile geschrieben hat, unnötig macht, ist ganz banal und ist nach dem Spiel viel zu wenig gewürdigt worden: Die Leistung von Torhüter Elvis Merzlikins (24). Selbst die «Curva Nord», die kreativste, heisseste Fankurve der Hockeywelt, feiert ihn nur einmal ausgiebig. Als er den alleine anstürmenden Ronalds Kenins stoppt.
Der athletische, flinke, reflexschnelle, emotionale Riese (191 cm/83kg) hat wahrscheinlich den besten wichtigen Match seiner Karriere gespielt. Und das hat dazu geführt, dass spätestens bei Spielmitte allen im Stadion und insgeheim wohl auch den Zürchern klar wird: Heute können wir fünf Stunden spielen und es fällt kein Tor.
Es gibt diese Tage, an denen ein Torhüter einfach alles hält. Und wenn er doch an einen Puck nicht mehr herankommt, dann stehen ihm die Hockeygötter bei. Wie beim Pfostenschuss von Pius Suter beim Stande von 0:0. Aber Trainer Hans Kossmann sagt, dass selbst eine 1:0-Führung wahrscheinlich nicht vorentscheidend gewesen wäre. Am Ende steht es ja 3:0.
Nur mit einem «guten» Elvis Merzlikins hätte Lugano dieses Spiel gegen die starken ZSC Lions nicht gewonnen. Es brauchte einen grossen, einen magischen Elvis Merzlikins. Er hielt die Hockeygötter davon ab, zu würfeln.
All die klugen Analysen über dieses dritte Finalspiel, über die smarte, disziplinierte Spielweise Luganos, über die Passivität der Zürcher, über die Energie, die das Publikum auf die Mannschaft übertragen hat und weiss ich noch was alles, wären Makulatur, wenn Elvis Merzlikins nicht auf den Kopf gestanden wäre.
Er hat 29 Pucks pariert. Die ZSC Lions haben die Partie mit 29:21 Torschüssen dominiert. Gegen diese starken ZSC Lions in einem so wichtigen Spiel alle Pucks zu halten – das ist wahrlich eine grossartige Leistung. Wer es ein bisschen polemisch mag, kann diese Partie, kann alle weiteren Spiele dieser Finalserie auf einen Satz zuspitzen: «Elvis Merzlikins gegen die Zürcher».
Wenn wir also wissen wollen, ob Lugano am Mittwoch im Hallenstadion gewinnen und die Serie zum 2:2 machen kann, dann müssen wir bloss fragen: Kann der lettische Nationalgoalie mit Schweizer Lizenz noch einmal so auf dem Kopf stehen wie am Montagabend? Ist er jetzt so «heiss», dass er diese Finalserie zu entscheiden vermag? Oder wird es im Hallenstadion wieder ein Würfelspiel wie am letzten Samstag beim 5:4 n.V. ?
Das wissen nur die Hockeygötter.