«Druflege» ist ein berndeutsches Wort, das Marc Lüthi ganz und gar nicht mag. «Druflege» bedeutet nämlich draufzahlen. Also Geld verlieren. Seit 16 Jahren sorgt «Chole Marc» als Manager dafür, dass sein SC Bern nicht «drufleit».
Es muss schon etwas Aussergewöhnliches passieren, dass Marc Lüthi ganz offiziell im Hockeygeschäft «drufleit». Heute Abend ist es soweit. Der SC Bern spielt in der Champions Hockey League gegen Sparta Prag um den Einzug ins Halbfinale und Marc Lüthi verliert Geld. Die Saisonkartenbesitzer geniessen bis und mit Halbfinal freien Eintritt und Marc Lüthi seufzt: «Mir lege druf».
Wie beispielsweise der FC Basel hat auch der SCB den europäischen Wettbewerb budgetiert. Basel kann vor dem ersten Spiel zweistellige Millionenbeträge erwarten. Der SCB geht hingegen von Verlusten aus. «Wir verdienen nur Geld, wenn wir den Final erreichen», sagt Lüthi. Die Klubs bezahlen die Reisekosten (Flüge plus Hotel) selber.
«Wenn die Reisen zu den Auswärtsspielen nicht mit Bus oder Linienflug möglich sind, dann werden Charterflüge notwendig und es ist unmöglich, vor dem Final schwarze Zahlen zu schreiben.» Um das Abenteuer Champions League zu finanzieren, habe man Reserven geschaffen. Reserven im Budget eines Sportunternehmens? Das ist ungewöhnlich. «Nein», entgegnet Marc Lüthi. «Wir sind, wenn es um die Rechnungsführung geht, kein Sportunternehmen. Wir sind ein richtiges Unternehmen.»
Zum ersten Mal in diesem Jahrhundert nimmt der SCB den europäischen Klubwettbewerb ernst. Auf, dass die grossen alten Zeiten wieder aufleben! In den 70er-Jahren, als Bern mit den Meistertiteln 1974, 1975, 1977 und 1979 zum ersten Mal gross und mächtig war, sorgte es auch für europäische Schlagzeilen. Im Hinspiel des damaligen Europacups werden die Kölner Haie (mit Weltstars wie Erich Kühnhackl) mit 7:3 zerzaust. Im Rückspiel führt der SCB nach dem ersten Drittel 2:1, nach 40 Minuten führen aber die Kölner 6:2 und der Rückstand aus dem Hinspiel ist aufgeholt. Die Partie endet 8:4, das Penaltyschiessen gewinnen die Kölner. Zum dritten Mal scheitern die Berner in der zweiten Runde am Deutschen Meister.
Nun ist der SCB wieder daran, eine europäische Rolle zu spielen. «Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, gegen Teams aus Norwegen oder der Slowakei Pflichtspiele zu verlieren» sagt der SCB-Manager, der auch Mitbesitzer des Klubs ist. Wohl wahr. Den Ruf, das Bayern München des Hockeys zu sein, muss man sich auch auf dem Eis im internationalen Vergleich erarbeiten.
Und so hat der SCB-Chef die sportliche Prioritätenliste neu geschrieben. «Die Champions Hockey League kommt für uns erstmals gleich nach der Meisterschaft an zweiter und nicht bloss an dritter Stelle.» Was war vorher an zweiter Stelle? «Der Cup.» Der auf den dritten Platz der Prioritätenliste abgerutschte Schweizer Cup ist für den SCB nach einer Niederlage gegen das NLB- Schlusslicht Ticino Rockets vorbei – und vergessen. Marc Lüthi: «Diese Niederlage interessiert mich noch so viel wie ein umgekipptes Velo in Peking.»
Doch der wahre Grund für die neue europäische Begeisterung ist der Trainer. Marc Lüthi bemerkt so nebenher: «Der Kari legt Wert auf diese Spiele.» Er meint damit natürlich nicht das einstige Stadtoriginal Dällebach Kari. Sondern seinen Trainer Kari Jalonen.
Der SCB war zwar in den letzten Jahren durchaus erfolgreich: Meister 2013, Cupsieger 2014, Meister 2016. Aber in dieser Zeit hat der SCB dreimal den Trainer gewechselt: Von Antti Törmänen zu Lars Leuenberger zu Guy Boucher und wieder zurück zu Lars Leuenberger. Deshalb hat Lüthi entschieden, mit einem grossen europäischen Trainer auch im sportlichen Bereich nach Stabilität zu streben. Aber der grosse Kari Jalonen blamiert sich nicht mit Niederlagen gegen slowakische oder norwegische Teams. Marc Lüthi musste ihm zusichern, den europäischen Wettbewerb ernst zu nehmen. Sonst hätte der grosse finnische Bandengeneral das sportliche Kommando in Bern nicht übernommen.
Champions League ist also, wenn beim SCB nicht Lüthi, sondern der Trainer das letzte Wort hat. «Nicht nur Kari legt grossen Wert auf die Champions League», präzisiert Lüthi. «Auch unsere Spieler sind richtig heiss auf diese Spiele. Deshalb gestatten wir Kari Jalonen, in der Champions League Vollgas zu geben.»
Wie wichtig für Jalonen die Champions League ist und wie wichtig Jalonen für Lüthi, mag eine Episode zeigen. Gestern ist dem SCB-Trainer vom finnischen Staatspräsidenten am finnischen Unabhängigkeitstag der höchste Verdienstorden verliehen worden. Deshalb spielt der SCB erst heute Abend. «Kari wollte wegen der Champions League nicht zu diesem Empfang gehen», verrät Lüthi. «Das kam für uns nicht in Frage. Damit er bei dieser Ordensverleihung dabei sein kann, haben wir das Spiel auf den Mittwoch verschoben.»
Heute Morgen ist Kari Jalonen wieder nach Bern zurückgeflogen. Es ist ein kluger Entscheid von Marc Lüthi, seinen Trainer für eine Ehrung durch das finnische Staatsoberhaupt zu beurlauben. Sport hat in Finnland eine noch viel grössere Bedeutung als bei uns. Was eine Anekdote illustrieren mag. Als Leichtathlet Paavo Nurmi, der grösste finnische Sportler aller Zeiten, seinen 70. Geburtstag feierte, wollte ihn das Staatsradio ausführlich interviewen. Nurmi sagte, dass nur der Staatspräsident würdig sei, ihn zu interviewen. Also liess der die Regierungsgeschäfte liegen, eilte ins Radiostudio und befragte den selbstbewussten Sportstar.
Wird Kari Jalonen mit dem SC Bern Meister, dann sollte er zumindest ein Radio-Interview mit dem Stadtberner Kultreporter Albi Saner mit dem Hinweis verweigern, nur Marc Lüthi sei würdig, ihn als SCB-Meistertrainer zu interviewen.