Gehen wir 30 Jahre zurück in der Zeit. 14. Februar 1988. Saddledome zu Calgary. Die Schweiz spielt die erste Partie des olympischen Eishockeyturniers gegen den späteren Silber-Gewinner Finnland. Patrick Fischer ist zu diesem Zeitpunkt 12 Jahre alt.
Wir gewinnen 2:1. Sensationell. Unglaublich. Verrückt. Ich sehe heute noch den Siegestreffer von Köbi Kölliker vor mir. Wir haben Finnland besiegt! Dabei waren wir noch vor weniger als einem Jahr bei der B-WM in Norwegen kläglich gescheitert. Wir hatten den Wiederaufstieg 1989 verpasst und waren bei der WM 1990 im eigenen Land in Bern und Fribourg nicht dabei. Wir waren nur Zaungäste, wenn um Titel gespielt wurde.
Der Exploit gegen Finnland bleibt vorerst einmalig. In der letzten Partie – es wird um Platz 7 gespielt – verlieren wir gegen die USA sang- und klanglos 4:8. Immerhin reicht es zum 8. Schlussrang.
Die Vorbereitung auf dieses olympische Turnier war aufregend gewesen. Mit Trainingslager in Alaska. In Fairbanks. Mit einer Kanterniederlage gegen das lokale Hockeyteam der «Alaska Gold Kings». Eine Mannschaft aus wilden heimischen Hockey-Rock’n’Rollern.
Die Vorstellung, dass die Schweiz je um eine Medaille oder gar um einen WM-Titel spielen wird oder das Schweizer je in der NHL Millionen verdienen werden, existierte bis zum diesem 14. Februar 1988 gar nicht. Sie war für mich unvorstellbar.
Aber nach diesem 2:1 gegen Finnland denke ich zum ersten Mal, dass es vielleicht doch möglich sein könnte, eines Tages die Titanen herauszufordern. Aber wohl nicht mehr zu meinen Lebzeiten.
Im Rückblick sehen wir: Im Februar 1988 hat in der kalten kanadischen Prärie die helvetische Hockey-Revolution begonnen. An der Bande steht mit dem Emmentaler Simon Schenk ein eidgenössischer Nationaltrainer. Es ist das erste Zeichen einer neuen Zeit. Einer Revolution eines neuen Selbstverständnisses unserer Hockeykultur. Wir trauen einem Schweizer das Amt des Nationaltrainers zu. Wir sind auch dazu fähig.
Von diesem 2:1 gegen Finnland bis zum WM Finale von 2018 gibt es eine direkte Verbindung. Aber keine gerade Linie. Die helvetische Hockey-Revolution verläuft nicht schnurgerade. Es gibt viele Windungen, Irrungen und Wirrungen. Viele Krisen und Abstürze.
Zwischendurch ist der Verband sogar beinahe Pleite. Wir steigen noch zweimal aus der WM ab – 1993 in München und 1995 in Schweden. Wir kehren erst am grünen Tisch als Organisator der WM 1998 in die A-WM zurück.
Aber der Glaube an das Unmögliche geht nach diesem 2:1 gegen Finnland nicht mehr ganz verloren. Im Laufe der 1990er Jahre geht mir in einem NHL-Stadion durch den Kopf: da könnten doch unsere Jungs auch mithalten. Es ist ein Spiel im Januar in Montréal.
Es sind aufregende Jahre mit Krisen und Triumphen. Nach und nach wird aus einem Traum Wirklichkeit. 1997 der Erstrunden-Draft von Michel Riesen. 1998 der WM-Halbfinal. 2001 der Sieg über Russland bei der WM in St.Petersburg. 2006 der Triumph beim olympischen Turnier gegen die kanadischen NHL-Profis.
Parallel dazu entwickelt sich unser Klubhockey. Der Verband legt ein Nachwuchsförderungsprogramm auf, das international kopiert wird. Am 3. Januar 1998 besiegen die Schweizer bei der U20-WM in Helsinki die Tschechen im Bronzespiel 4:3. Die Junioren halten jetzt mit den Titanen mit.
2006 wird Mark Streit der erste Feldspieler, der sich in der NHL durchsetzt und später in New York der erste Schweizer Captain. Zehn Jahre später haben die Schweizer die NHL erobert und im Sommer 2017 wird Nico Hischier der erste Nummer-1-Draft. Die vorläufige Krönung ist die Silber-WM von 2013. Der Aufstieg in die Weltelite ist gelungen.
Aber noch einmal folgt eine Zeit der Wirrungen und Irrungen. Sie führt letztlich dazu, dass Patrick Fischer im Herbst 2015 zum Nationaltrainer berufen wird. Er ist gerade in Lugano gefeuert worden. Nationaltrainer Glen Hanlon hat das Handtuch geworfen und niemand ist da, um das Amt zu übernehmen. Auf eine ähnliche Art und Weise ist Simon Schenk 30 Jahre vorher im Herbst 1985 Nationaltrainer geworden.
Wir haben seit der Amtsübernahme von Patrick Fischer noch einmal die Irrungen und Wirrungen der letzten 30 Jahre im Zeitraffer erlebt. Das Scheitern 2015 in Moskau, die Diskussionen um sein vorzeitige Vertragsverlängerung, die Hoffnung nach dem Viertelfinale vor einem Jahr in Paris, dann der Absturz beim olympischen Turnier – und nun der WM-Final 2018.
Keine andere wichtige Sportart hat sich in der Schweiz in den letzten 30 Jahren so aus der Bedeutungslosigkeit zur Weltspitze entwickelt und eine solche Revolution erlebt. Auch nicht der Fussball. Dass die Schweiz je bei der Fussball-WM den Final erreichen wird, ist eher unwahrscheinlich.
Folgen wieder Irrungen und Wirrungen? Die Hoffnung auf einen dauerhaften Hockey-Frühling ohne Rückschläge wie nach 2013 sind berechtigt. Der internationale Eishockey-Verband IIHF hat für die nächsten fünf Jahre den WM-Beginn um eine weitere Woche zurück verschoben. Die nächste WM beginnt in der Slowakei erst am 10. Mai.
Für die Schweiz ist diese Woche Gold wert. Wir haben von allen Titanen am wenigsten Spieler in der NHL. Die Russen, Schweden, Finnen, Amerikaner, Kanadier oder Tschechen haben unabhängig vom Verlauf der Stanley-Cup-Playoffs genug NHL-Profis für ein WM-Team.
Aber wir sind auf unseren wenigen NHL-Profis angewiesen. Wir haben nur einen Verteidiger wie Roman Josi, nur einen Mirco Müller, erst einen Nino Niederreiter, noch nicht zwei Sven Andrighettos und schon gar nicht drei Timo Meiers. Diese eine Woche mehr Zeit erhöht für uns die Wahrscheinlichkeit, dass ein paar unserer NHL-Stars das WM-Team verstärken können.
Wir sind im neuen Zeitalter des Talentes und des Selbstvertrauens bei der WM auf unsere NHL-Stars angewiesen. Nach der Silber-WM von 2013 haben wir 2014 beim olympischen Turnier und bei der WM 2014 die Viertelfinals verpasst. 2019 werden wir als WM-Finalist die Viertelfinals nicht mehr verpassen.