Lara Gut, herzliche Gratulation, was haben Sie gedacht, als Sie am Sonntag nach dem zweiten Lauf des Riesenslaloms über die Ziellinie fuhren?
Lara Gut: «Vor dem Start wurde mir bewusst, dass ich mich zu diesem Zeitpunkt in der Saison noch nie so gut gefühlt habe wie jetzt. Ich wusste auch, dass Viktoria (Rebensburg) ein grossartiger Lauf gelungen ist. Im Ziel sah ich, dass ich mit recht grossem Rückstand Zweite bin, und glaubte schon, nur Vierte zu werden, da noch zwei Fahrerinnen folgten. Dennoch fühlte ich mich nach der Ziellinie glücklich, denn es war nicht immer einfach, den Fokus zu behalten.»
Das ist Ihnen selbst am letzten Renntag gelungen?
«Ich war ganz einfach gut drauf. Aber mir kam bis nach dem Rennen nie in den Sinn, dass ich den Gesamtweltcup schon gewonnen habe. Ich werde auch im Sommer nicht jeden Tag daran denken.»
Im Moment aber schon, oder nicht?
«Um den Gesamtweltcup zu holen, muss man viele Rennen fahren und gewinnen. Das war der Plan Anfang Saison und dieser Plan ging auf. Mir ist auch klar, dass Geschichten und Emotionen wichtig sind. Als Athlet ist es während der Saison das Wichtigste, sich auf das Skifahren zu konzentrieren. Ich wollte auch nicht riskieren, im letzten Rennen noch einen Kreuzbandriss zu erleiden. Jetzt aber ist es Ende Saison und die Kugel ist da, nun können wir darüber reden.»
Also: Sind Sie erleichtert, den Gesamtweltcup gewonnen zu haben?
«Nein, es ist keine Erleichterung, vielmehr Freude.»
Als Sie auf dem Podest die grosse Kristallkugel überreicht erhielten, war das so, wie Sie es sich zuvor erträumt hatten?
«Ich habe nie von dieser Kugel geträumt. Mein Plan war wirklich, Rennen für Rennen zu nehmen. Aber natürlich ist es cool, diese Kristallkugel zu erhalten. Alle haben ja schon vor Wochen immer wieder gesagt, dass ich sie kriege. Doch nun werde ich ein bisschen Zeit brauchen, um das Ganze zu fassen. Dass das normal ist, darüber habe ich schon mit Anna (Fenninger) und Tina (Maze) gesprochen.»
Sie haben in diesem Winter Siege in vier verschiedenen Disziplinen feiern können. Was war der Schlüssel zu Ihrem Erfolg?
«Jahrelange harte Arbeit und das richtige Team um einen herum. Es gibt keinen grossen Unterschied zu früher, es müssen halt einfach die Details passen – und das taten sie in diesem Winter wohl besser. Aber es geht auch darum, einen Schritt nach dem anderen zu machen, und irgendwann hast du dann die Möglichkeit, um so etwas Grosses zu kämpfen. Aber ich habe nicht wirklich viel geändert, es war mehr eine Entwicklung.»
Wie wichtig war der Materialwechsel?
«Wohl entscheidend und damit auch richtig. Ich bin am ersten Tag auf die Ski gestanden und habe gemerkt, wie gut sich das anfühlt. Klar brauchte es danach Anpassungen, aber die Basis war bereits sehr gut. Auf dieser konnte man aufbauen.»
In den Medien war viel von einem Duell zwischen Ihnen und Lindsey Vonn die Rede. Nahmen Sie es auch als solches war?
«Nein, überhaupt nicht. Sowohl Lindsey wie ich haben immer wieder betont, dass es vielmehr ein Kampf gegen die Zeitmessung und nicht etwa gegen eine andere Person ist. Es geht bei jedem Rennen nur darum, so schnell wie möglich ins Ziel zu kommen. Aber klar, es war ein spannender Winter, zwischen uns ging es immer sehr knapp zu und her. Das ist für die Medien wie fürs Publikum gut.»
Haben Sie Gratulationen erhalten, über die Sie sich besonders freuen?
«Ich freue mich über alle Gratulationen, die von Herzen kommen. Ich fühlte mich in diesem Winter selten alleine, so wie dies Spitzensportler manchmal passieren kann. Es gibt nur wenige, die sich in einer ähnlichen Situation befinden wie ich, und die mich verstehen könnten.»
Wie wichtig war das Schweizer Team als Ganzes?
«Neben meiner Familie und meinem Umfeld fand ich auch die nötige Ruhe im Team. Es war unter Hans (Flatscher) die wohl beste Saison. Wir alle konnten in Ruhe arbeiten und uns verbessern.»
Welches war Ihr schönster Moment in diesem Winter?
«Schön ist, dass ich die Saison gut überstanden habe, denn wir haben im Verlauf des Winters einige Fahrerinnen durch Verletzungen verloren.»
Gab es einen schwierigsten Moment?
«Immer dann, wenn ich nicht das tat, was ich kann.»
Wie meinen Sie das?
«Es kam ab und zu vor, dass ich nach links und rechts schaute. Auch, dass ich über Weltcup-Punkte nachdachte. Doch sobald ich mich wieder auf meine Leistung konzentriert habe, dann kamen auch wieder Podestplätze und tolle Fahrten. Mein Fokus muss also auf dem Skifahren liegen. Nur das kann ich beeinflussen, die Punkte hingegen nicht. Das ist mein Rezept, auch wenn das langweilig tönt.»
Sie standen in dieser Saison nach 13 Rennen auf dem Podest. Geht es noch besser?
«Man versucht immer, sich zu verbessern, schneller und konstanter zu werden. Vor zwei Jahren hatte ich zwar mehr Siege, aber weniger Podestplätze. Deshalb war dies jetzt meine beste Saison, umso mehr mit dem Sieg in der Gesamtwertung. Aber schauen wir, was nächstes Jahr passiert.»
Beispielsweise finden im Februar 2017 in St.Moritz die Weltmeisterschaften statt. Sie haben die Messlatte hoch gelegt.
«Zuerst einmal muss ich mich qualifizieren, danach schauen wir dann, was geschehen wird. Aber klar gefällt mir St.Moritz, es ist immer cool, hier zu sein. Bei Sonnenschein natürlich erst recht. Aber bis zur WM bleibt mir noch etwas Zeit.»
Was kommt als Nächstes?
«Ich werde für eine Woche in die Ferien verschwinden. Etwa in zehn Tagen geht es zurück auf Schnee. Ab dann versuche ich wieder, besser zu werden. Denn darum geht es im Sport.» (sda/syl)