Die Erwartungen an die Blockchain sind hoch. Sie soll Mittelmänner jeglicher Art ausschalten: Beispielsweise die Bank, die eine Überweisung überprüft oder den Notar, der einen Grundbucheintrag beglaubigt. Die Technologie soll anstelle des vertrauenswürdigen Dritten sicherstellen, dass Transaktionen korrekt durchgeführt werden.
Noch steckt die Blockchain in den Kinderschuhen. Es handelt sich dabei um die Technologie hinter Bitcoin. Dieses Zahlungssystem samt gleichnamiger virtueller Währung hat sich ab 2008 als Folge der Finanzkrise entwickelt.
Die Blockchain-Technologie basiert auf einer verteilten Datenbank. Neue Informationen werden regelmässig in Blöcken zusammengefasst, in einer Abstimmung unter den Teilnehmern validiert, mittels Kryptographie versiegelt und mit den vorherigen Datensätzen verkettet.
Diese Kette von Transaktionsblöcken wird anschliessend auf allen Computern in einem globalen Netzwerk abgespeichert. Dadurch können Informationen nachträglich kaum mehr verändert werden – denn dafür müsste ein Angreifer den Grossteil der überall auf der Welt verteilten Kopien gleichzeitig ändern können. Zugang erhalten die Nutzer über spezielle Software.
Wie bei Bitcoin wurde die Blockchain-Technologie bislang vor allem in der Finanzwelt genutzt, um Zahlungen durchzuführen und zu protokollieren. «Bitcoin ist quasi die Blockchain 1.0», sagt Mathias Bucher, Blockchain-Dozent der Luzerner Fachhochschule HSLU und Mitgründer eines Blockchain-Startups.
Derzeit arbeiten Programmierer, Jungunternehmer und Forscher an einer Blockchain 2.0, die mehr Funktionen bietet und Schwächen von Bitcoin ausmerzen soll. Ihre Anwendungsmöglichkeiten gehen weit über ein Zahlungssystem hinaus.
«Die Blockchain wird einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaft herbeiführen», sagt Bucher. Sie ermögliche, dass Menschen direkt miteinander Geschäfte machen könnten, ohne sich vorgängig vertrauen zu müssen oder einen Umweg über Intermediäre gehen zu müssen.
Auch Thomas Puschmann, Leiter des Fintech Innovation Lab an der Universität Zürich, glaubt an einen solchen Umbruch: Gerade durch die Konvergenz mit anderen Technologien wie der Cloud werde die Blockchain die Wirtschaftswelt wie ein Tsunami überrollen.
Mit der Blockchain können sämtliche Transaktionen nachvollzogen werden. Das eröffnet eine Reihe von Möglichkeiten. So kann beispielsweise der Weg eines Impfstoffes von der Produktion bis zum Patienten verfolgt werden, der Weg eines Diamanten von der Mine bis zum Schmuckstück.
Zusätzlich können auch Programme auf der Blockchain ausgeführt werden, die sogenannten Smart Contracts (intelligente Verträge). Ein Beispiel dafür sind Autoleasing-Verträge. Die Verträge sind auf der Blockchain hinterlegt, die Zahlungen werden dort registriert und auch das Auto ist über das Internet mit der Blockchain verbunden. Somit würde es möglich werden, das Auto zu blockieren, wenn ein Leasingnehmer die monatlichen Raten nicht bezahlt.
Auch in der öffentlichen Verwaltung bietet die Blockchain Möglichkeiten: Beispielsweise kann sie für E-Voting eingesetzt werden.
Zahlreiche Jungunternehmen arbeiten daran, solche Ideen in die Praxis umzusetzen – auch in der Schweiz. Das Startup Nexussquared will diese Entwicklung beschleunigen und berät andere Blockchain-Startups. Derzeit handle es sich bei den meisten Anwendungen noch um Experimente, sagt Gründer Daniel Gasteiger. Einzelfälle würden programmiert und getestet. «Ab 2017 werden wir aber mehr Anwendungen live sehen.»
Doch es gibt auch skeptische Stimmen. Im Unterschied zu den bereits sehr sicheren und günstigen herkömmlichen Technologien müsse die Blockchain «den Nachweis erst erbringen, dass sie ein noch besseres Verhältnis zwischen Sicherheit und Effizienz erzielt», sagte Thomas Jordan, Chef der Schweizerischen Nationalbank (SNB) kürzlich an einem Vortrag.
Noch ist die Technologie nicht ausgereift, es gibt noch zahlreiche Aufgaben zu lösen. So müsse ein weniger energieintensiver Absicherungsmechanismus gefunden werden, sagt HSLU-Dozent Bucher. Heute braucht dieser Mechanismus viel Rechenleistung. Auch die Sicherheit der Smart Contracts und den Schutz der Privatsphäre gelte es zu verbessern.
Weiter müssen gemeinsame Standards definiert werden, wie Puschmann vom Fintech Innovation Lab ergänzt. Beispielsweise gebe es noch keine einheitliche Programmiersprache für Smart Contracts.
Und nicht zuletzt müssen noch zahlreiche rechtliche Aspekte geregelt werden, wie Gasteiger von Nexussquare ergänzt. Zwar sind in der Schweiz neue Regelungen für Fintech geplant. Es gebe aber noch weitergehende offene Fragen, sowohl bei Fintech als auch anderen Gebieten. «Zum Beispiel: Wer ist verantwortlich, wenn beim Tracking von Impfstoffen etwas schiefläuft?»
Dazu komme, dass die Blockchain-Technologie per Definition länderunabhängig eingesetzt werde. Deshalb werde es noch Jahre dauern, bis solche Fragen geregelt seien.
Viele der Probleme sind allerdings leichter lösbar, wenn statt einer öffentlichen Blockchain eine private verwendet wird. Beispielsweise kann ein Unternehmen mit seinen Zulieferern und Abnehmern ein Netzwerk bilden, Aussenstehende haben dann keinen Zutritt. Die beschränkte Zahl der Teilnehmer vereinfacht das Ganze. Zudem treiben gerade Grossunternehmen solche Anwendungen voran, da sie ihr Bedürfnis nach Prozessoptimierung erfüllen können.
In einem ersten Schritt werden sich Blockchain-Anwendungen daher auf der Unternehmensebene durchsetzen. Darin sind sich Bucher und Puschmann einig. Bis zum grossen Wirtschaftsumbruch hingegen könne es noch zehn Jahre dauern. «Derzeit befinden wir uns wahrscheinlich an einem Höhepunkt des Hypes», sagt Puschmann.
Er erwartet, dass in den nächsten zwei, drei Jahren ein «Tal der Desillusionierung» folgt. Dann werde vielen Tüftlern klar werden, dass sich doch nicht alles ganz so einfach realisieren lasse. Langfristig werde es aber zu einem radikalen Umbau der Wirtschaft kommen. (sda)