Wirtschaft
Schweiz

Biodiversität in der Schweiz: So steht es um unsere Flora und Fauna

Biodiversität
Postkartenidylle, aber die Biodiversität leidet in der Schweiz.Bild: Shutterstock

9 Punkte, die zeigen, wie es um die Biodiversität in der Schweiz steht

Am 22. September stimmen wir über die Biodiversitätsinitiative ab. Aber wie steht es eigentlich um die Biodiversität in der Schweiz? Diese neun Punkte helfen dir weiter.
03.09.2024, 07:5403.09.2024, 15:52
Mehr «Wirtschaft»

Die weltweite Biodiversität nimmt seit Jahren ab. Rund eine Million Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen daher vom sechsten Massenaussterben. Die Biodiversität steht durch die Landnutzung und den Verlust der Lebensräume sehr stark unter Druck. Nun kommt der rasche Klimawandel dazu. Beide Krisen wirken sich direkt auf die Lebensgrundlagen der Menschen aus.

Vor wenigen Tagen äusserten sich über 100 Forscherinnen und Forscher über die «beunruhigende Lage der Biodiversität in der Schweiz». Mit raschen und griffigen Massnahmen solle deren Schutz und Förderung gesichert und verstärkt werden.

Doch wie steht es bei uns um die Biodiversität? Diese neun Punkte zeigen den Zustand und die Entwicklungen in der Schweiz.

Dieser Artikel wurde erstmals für die 15. globale Biodiversitätskonferenz (COP 15) in Montreal im Dezember 2022 publiziert. Vor der Abstimmung der Biodiversitätsinitiative wurde er aktualisiert.

Der aktuelle Stand

Den aktuellen Stand publizierte das Bundesamt für Umwelt (BAFU) letztmals 2023 im Bericht «Biodiversität in der Schweiz: Zustand und Entwicklung». Kurz zusammengefasst gilt: Je höher die für einen Standort typische Biodiversität ist, desto höher sind die Qualität und Stabilität der Ökosystemleistungen.

Im Vorwort steht dort: «Die Basis ist am Bröckeln. Denn die Qualität, Quantität und Vernetzung vieler Lebensräume reichen nicht mehr aus, um die Biodiversität unseres Landes langfristig zu erhalten. Dies zeigt sich besonders deutlich in den Roten Listen der gefährdeten Lebensräume: Fast die Hälfte der 167 bewerteten Lebensraumtypen sind bedroht.»

In den letzten Jahren wurden zahlreiche Massnahmen ergriffen, um die Biodiversität zu fördern, nicht nur in den Schutzgebieten, sondern auch ausserhalb davon. Ohne diese Anstrengungen wäre der Zustand der Biodiversität in der Schweiz deutlich schlechter.

Rote-Listen-Kategorien der Lebensräume

Anteil der Rote-Liste-Kategorien über alle Lebensräume (Total) und für die einzelnen Lebensraumbereiche
Bild: BAFU, Biodiversität in der Schweiz 2023

Die Fläche, Qualität und Vernetzung vieler ökologisch wertvoller Lebensräume haben seit 1900 stark abgenommen – Hauptursache dafür ist die nicht nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen.

Der Zustand der Alpen, Moore, Gewässerlebensräume, Wälder und Agrarlandschaft hat sich in den letzten Jahren verändert. In der Agrarlandschaft wirkt sich beispielsweise die derzeitige landwirtschaftliche Praxis mit ihren hohen Stickstoff- und Pflanzenschutzmitteleinträgen negativ auf die Artenvielfalt aus. Das Grünland wird immer monotoner, insbesondere im Mittelland.

Gegenüber anderen Ökosystemen ist der Zustand der Wälder insgesamt gut. Die natürliche Waldverjüngung setzt sich durch und die Biodiversität ist hoch. Rund 40 Prozent der Schweizer Arten halten sich vorwiegend im Wald auf, wachsen dort oder sind irgendwann vom Wald abhängig.

Anteil der Waldarten für verschiedene Organismengruppen

Bild
Bild: BAFU

Weniger rosig sieht es bei den Gewässern aus (siehe auch unten). Lebensräume in den Alpen geraten unter Druck und Siedlungsgebiete können Chancen und Risiken beinhalten. Allgemein gilt festzuhalten, dass Generalisten auf dem Vormarsch sind und Spezialisten weniger werden. Die Situation für bedrohte Arten hat sich grundsätzlich nicht verbessert.

Anteil gefährdeter Tiere in der Schweiz

Die Flächen- und Qualitätsverluste bei den Lebensräumen spiegeln sich in den Roten Listen der gefährdeten Arten wider. Für diese Listen wurden bisher ein Fünftel (10'844) aller bekannten in der Schweiz vorkommenden Arten (ca. 56'000) bewertet: 35 % dieser Arten sind als ausgestorben oder gefährdet eingestuft.

Die Schweiz findet sich beim Anteil gefährdeter Tierartengruppen (Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien, Fische) auch bei den Daten der OECD weit vorne, in allen Kategorien im vordersten Teil. Die OECD hat von 31 Ländern die Anteile in den erwähnten fünf Bereichen erfasst.

Die Schweiz belegt dabei immer mindestens Rang drei. Während der Anteil bei Säugetieren, Vögeln und Fischen knapp unter 40 Prozent liegt, sind es bei Reptilien knapp 70 und bei Amphibien gar über 70 Prozent.

Wo die Schweiz noch wild ist

In den Alpen finden sich die meisten Wildnisgebiete von hoher bis sehr hoher Qualität. In diesen Räumen überwiegen natürliche Prozesse und es gibt weder Siedlungen noch Infrastrukturen. Diese Situation führt dazu, dass in weiten Teilen des Alpenraums eine relativ intakte ökologische Infrastruktur existiert.

wo die schweiz noch wild ist
Bild: WSL

Die Schutzgebiete sind in der Regel gut vernetzt und wenig isoliert. Dies soll auch so bleiben: 2020 hat der Bundesrat das Landschaftskonzept Schweiz verabschiedet und darin ein Qualitätsziel für hochalpine Landschaften festgelegt.

Die Nutzung der Alpweiden hat sich in den letzten Jahrzehnten stetig verändert, indem die gesömmerten Tiere immer mehr auf die guten Flächen konzentriert werden. Dies führt lokal zu einer intensiveren Nutzung, während auf anderen Weideflächen die Nutzung abnimmt oder gar ausbleibt.

Überall dort, wo die landwirtschaftliche Nutzung aufgegeben wird, breitet sich der Wald aus. Dabei geht Kulturland verloren, das vor Jahrhunderten dem Wald mühsam abgerungen wurde.

Hier ist die Artenvielfalt am grössten

Um die Lage der verschiedenen Arten zu beurteilen, benötigt es Beobachtungen im Feld. Diese werden von den faunistischen und floristischen Daten- und Informationszentren der Schweiz (Infospecies) verwaltet und ausgewertet.

Durch diese Beobachtungen können Angaben zur Verbreitung verschiedener Arten gemacht werden. Es zeigt sich dabei, dass die schwer zugänglichen Gebiete in den Bergen natürlich weniger gut abgedeckt sind. Aber auch im Mittelland wäre teilweise mehr möglich.

Ebenfalls auffallend: Je mehr ein Gebiet untersucht wird, desto eher wird die höchste Kategorie der beobachteten Arten (violett) erreicht.

Die Vogelarten des Waldes zeigen insgesamt eine Zunahme. Der Anteil an gefährdeten Brutvogelarten des Waldes ist mit 15 % deutlich tiefer als im gesamtschweizerischen Durchschnitt, der bei 40 % liegt. Die Bestandstrends von Vogelarten, die auf Tot- und Altholz angewiesen sind (v. a. Spechte), verlaufen positiv.

Artenvielfalt im Wald gemäss Swiss Bird Index

Artenvielfalt im Wald gemäss Swiss Bird Index der Vogelwarte
Sempach (SBI) für den Wald
Der SBI zeigt bei den Waldvögeln seit 1990
Artenvielfalt im Wald gemäss Swiss Bird Index (SBI) der Vogelwarte Sempach für den Wald. Der SBI zeigt bei den Waldvögeln seit 1990 insgesamt steigende Bestände.Bild: Vogelwarte Sempach

Biodiversität im Wald

In unseren Wäldern leben attraktive und spektakuläre Käferarten, die massgeblich an der Zersetzung von Holz und damit am Nährstoffkreislauf beteiligt sind. Sie sind auf Ressourcen angewiesen, die sich nur langsam erneuern und selten im Wirtschaftswald sind: alte, absterbende Bäume mit dicken, toten Ästen und Höhlen; stehende tote, dicke Bäume; am Boden liegende Stämme und dicke Äste. Von grösster Bedeutung sind Mikrohabitate an den lebenden Bäumen, die den Käfern als Schutz-, Brut-, Überwinterungs- oder Nahrungsstätten dienen.

Die Biodiversität im Wald ist ausserhalb der für die Forstwirtschaft interessanten «Optimalphase» am höchsten:

Die Biodiversität im Wald ist ausserhalb der für die Forstwirtschaft interessanten «Optimalphase» am höchsten.
Im Schweizer Wirtschaftswald fehlen lichte sowie biomassereiche, struktur- und totholzreiche Stadien der Waldsukzession.Bild: BAFU / Biodiversität in der Schweiz 2023

Bäume mit Höhlen, Stammverletzungen, Totholz in den Baumkronen, Wucherungen oder einem Bewuchs mit Efeu bieten Lebensraum für eine Vielzahl spezialisierter Arten. Insgesamt wurden fast 50 Typen von Baummikrohabitaten beobachtet. Doch die einheimischen totholzbewohnenden Käferarten der Schweiz sind stark bedroht, wie die Erhebungen zur entsprechenden Roten Liste gezeigt haben: Rund 46 % der 256 eingestuften Käferarten sind gefährdet, weitere 18 % potenziell gefährdet.

Rote Liste der Schweiz

Rote Listen zeigen den Gefährdungsgrad von Arten. Im Auftrag des BAFU werden diese durch Fachleute nach Kriterien der Weltnaturschutzunion IUCN erarbeitet und aktualisiert (hier gibt es die Übersicht beim BAFU).

Anzahl Arten mit Gefährdungseinschätzung für verschiedene Organismengruppen.
Anzahl Arten mit Gefährdungseinschätzung für verschiedene Organismengruppen.Bild: Hotspot 46/2022

In der Schweiz wurden bisher 56'000 verschiedene Arten nachgewiesen. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass mindestens 29'000 weitere mehrzellige Arten in der Schweiz leben. Für rund 20 Prozent (10'844 Arten) der nachgewiesenen Arten existiert eine Gefährdungseinschätzung. Das hört sich zunächst nach nicht sehr viel an, ist aber auch im Vergleich mit anderen Ländern deutlich mehr. 35 Prozent davon gelten als gefährdet oder ausgestorben.

Damit eine Art auf die Rote Liste kommt, müssen Kriterien wie «abnehmende Populationsgrösse», «kleines Verbreitungsgebiet» oder «kleine Zahl fortpflanzungsfähiger Individuen» erfüllt sein. Danach wird in Kategorien aufgeteilt. In drei davon gilt die Bezeichnung als Rote-Liste-Art.

Anteil der gefährdeten und der ausgestorbenen Arten in verschiedenen Organismengruppen, Stand 2022. Von den 10'844 bewerteten Arten gelten 35 Prozent als gefährdet oder ausgestorben (Rote Linie: Durch ...
Anteil der gefährdeten und der ausgestorbenen Arten in verschiedenen Organismengruppen, Stand 2022. Von den 10'844 bewerteten Arten gelten 35 Prozent als gefährdet oder ausgestorben (Rote Linie: Durchschnitt über alle Arten). In Klammern: Anzahl bewertete Arten.Bild: Hotspot 46/2022

Auen, Moore und Trockenwiesen massiv zurückgegangen

Das Forum für Biodiversität Schweiz, Akademie der Naturwissenschaften (SCNAT) publizierte vor einigen Jahren mit der Broschüre «Biodiversität in der Schweiz» Informationen zum Wandel der Biodiversität in der Schweiz seit 1900.

Darin zeigen zwei Karten, wie sich die Trockenwiesen und -weiden der Schweiz um 1900 bis zum Jahr 2010 verändert haben. 95 Prozent der Flächen gingen in diesem Zeitraum verloren. Seit 1990 betrug der Rückgang allein 30 Prozent.

2010 standen rund 21'000 Hektaren der Trockenwiesen und -weiden unter Schutz. Allerdings nimmt die Qualität der Objekte ab, da Flächen intensiver genutzt werden:

Trockenwiesen und -weiden 1900 und 2010

image after
image before
bild: Forum Biodiversität der Akademie der Naturwissenschaften (SCNAT)

Neben Trockenwiesen und -weiden nahm auch der Anteil von Auen (-70 % seit 1850) und Mooren (-82 % seit 1900) massiv ab. Die Erhaltung von Mooren und Auen ist für die Biodiversität mitentscheidend. Seit 1990 wurden hier diverse solcher Flächen unter Schutz gestellt, um die Abnahme zu stoppen:

Bild

Insekten sind massiv unter Druck

Insekten gehören zu den gefährdetsten Arten. Die Studie Insektenvielfalt in der Schweiz zeigte dies 2021 deutlich. Viele der Schweizer Insekten sind bedroht und stehen auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.

Zu sechs Insektengruppen liegen in der Schweiz aktuell Rote Listen vor. 43 Prozent der 1153 bewerteten Insektenarten gelten als gefährdet, weitere 16 Prozent als potenziell gefährdet. 38 Arten sind bei uns schon ausgestorben.

Bild
bild: Scnat

Interessant ist auch ein Blick auf die Schmetterlingsfauna in der Schweiz. Hier dehnten sich in den vergangenen 30 Jahren tendenziell diejenigen Arten aus, welche höhere Temperaturen bevorzugen (Wärmezeiger). Solche, die sich eher mit tiefen Temperaturen anfreunden (Kältezeiger), werden seltener.

Bild
bild: scnat

Schweizer Gewässer für Biodiversität entscheidend

Wie eingangs schon erwähnt, sind die Gewässer in der Schweiz besonders unter Druck. Im BAFU-Bericht 2022 der «Gewässer in der Schweiz» wird der Zustand analysiert. Die vielen Wasserressourcen der Schweiz haben eine hohe Wichtigkeit für Gesellschaft, Wirtschaft und Natur. Rund 80 Prozent des Schweizer Trinkwassers stammen beispielsweise aus dem Grundwasser.

Die vielfältige Nutzung von Wasser veränderte das Landschaftsbild und führte zu Verlust von Lebensraum für Tiere und Pflanzen (siehe auch Abnahme der Auen-Landschaften oben). Ein Umdenken findet hier statt. Auch wurden Massnahmen eingeleitet, um die Wasserqualität zu steigern.

So steht es um Schweizer Fisch- und Krebsarten

Fische Biodiversität
Gefährdung aller einheimischen Schweizer Fisch- und Krebsarten gemäss Roter Liste.Quelle: VBGF 2014, Bilder: M. Roggo

Bäche, Flüsse, Teiche und Seen zählen grundsätzlich zu den artenreichsten Lebensräumen. Über 80 Prozent aller bekannten Tierarten kommen in Gewässern und den direkt an sie anschliessenden Ufer- und Auenlebensräumen vor. In der Schweiz sind viele davon bedroht. Gewässerorganismen sind darum überdurchschnittlich stark betroffen. 53 Prozent sind bereits gefährdet oder ausgestorben.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Bedrohte Primaten
1 / 13
Bedrohte Primaten
Extrem bedroht: Vom Hainan-Schopfgibbon (Nomascus hainanus) gibt es vermutlich nur noch etwa 30 Exemplare.
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Kühe aus Asien um die Biodiversität zu retten
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
147 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Allkreis
03.09.2024 08:24registriert Januar 2020
Habe jetzt JA gestimmt, obwohl ich die Verquickung zwischen Artenvielfalt und Ortsbildschutz absolut nicht mag. Aber es steht einfach zu schlecht um die Artenvielfalt.
15747
Melden
Zum Kommentar
avatar
Schlaf
03.09.2024 08:21registriert Oktober 2019
Die Kacke ist am Dampfen und dann macht man so eine larifari-Initiative, die im Titel mit Biodiversität zu tun hat, aber sich eigentlich um andere Dinge dreht, welche im Verhältnis vernachlässigbar sind.

Und der Chefe der Bauern meint natürlich es ist genug getan, alles bestens. Mehr können wir nicht tun.
Die Bauern werden diejenigen sein, welche am lautesten rufen werden, wenn wir Probleme wegen der Biodiversität bekommen.
11130
Melden
Zum Kommentar
avatar
Perry_
03.09.2024 08:12registriert Juli 2019
Ach, nur ca. ein drittel gefährdet, dann gehts 2/3 der arten ja gut! Sagen bei diesen Grafiken sicher viele - was noch viel mehr einfährt ist das die gesammten lebensräume extrem geschrumpft sind. Die biomasse der insekten um ca. 3/4 zurück gegangen ist seit den 90er Jahren. 75% weniger. Wir leben mitlerweile in einer natur-Wüste, absolut traurig. Und die meisten merken es nicht einmal und sehen nicht, wie es anderst sein könnte
10121
Melden
Zum Kommentar
147
    Raiffeisen hat einen neuen CEO

    Raiffeisen Schweiz hat nach einer monatelangen Suche einen neuen Vorsitzenden der Geschäftsleitung gefunden. Der derzeitige CEO der Liechtensteinischen Landesbank (LLB), Gabriel Brenna, übernimmt per Anfang Dezember die Leitung der zweitgrössten Bankengruppe der Schweiz.

    Zur Story