Die weltweite Biodiversität nimmt seit Jahren ab. Rund eine Million Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen daher vom sechsten Massenaussterben. Die Biodiversität steht durch die Landnutzung und den Verlust der Lebensräume sehr stark unter Druck. Nun kommt der rasche Klimawandel dazu. Beide Krisen wirken sich direkt auf die Lebensgrundlagen der Menschen aus.
Vor wenigen Tagen äusserten sich über 100 Forscherinnen und Forscher über die «beunruhigende Lage der Biodiversität in der Schweiz». Mit raschen und griffigen Massnahmen solle deren Schutz und Förderung gesichert und verstärkt werden.
Doch wie steht es bei uns um die Biodiversität? Diese neun Punkte zeigen den Zustand und die Entwicklungen in der Schweiz.
Den aktuellen Stand publizierte das Bundesamt für Umwelt (BAFU) letztmals 2023 im Bericht «Biodiversität in der Schweiz: Zustand und Entwicklung». Kurz zusammengefasst gilt: Je höher die für einen Standort typische Biodiversität ist, desto höher sind die Qualität und Stabilität der Ökosystemleistungen.
Im Vorwort steht dort: «Die Basis ist am Bröckeln. Denn die Qualität, Quantität und Vernetzung vieler Lebensräume reichen nicht mehr aus, um die Biodiversität unseres Landes langfristig zu erhalten. Dies zeigt sich besonders deutlich in den Roten Listen der gefährdeten Lebensräume: Fast die Hälfte der 167 bewerteten Lebensraumtypen sind bedroht.»
In den letzten Jahren wurden zahlreiche Massnahmen ergriffen, um die Biodiversität zu fördern, nicht nur in den Schutzgebieten, sondern auch ausserhalb davon. Ohne diese Anstrengungen wäre der Zustand der Biodiversität in der Schweiz deutlich schlechter.
Die Fläche, Qualität und Vernetzung vieler ökologisch wertvoller Lebensräume haben seit 1900 stark abgenommen – Hauptursache dafür ist die nicht nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen.
Der Zustand der Alpen, Moore, Gewässerlebensräume, Wälder und Agrarlandschaft hat sich in den letzten Jahren verändert. In der Agrarlandschaft wirkt sich beispielsweise die derzeitige landwirtschaftliche Praxis mit ihren hohen Stickstoff- und Pflanzenschutzmitteleinträgen negativ auf die Artenvielfalt aus. Das Grünland wird immer monotoner, insbesondere im Mittelland.
Gegenüber anderen Ökosystemen ist der Zustand der Wälder insgesamt gut. Die natürliche Waldverjüngung setzt sich durch und die Biodiversität ist hoch. Rund 40 Prozent der Schweizer Arten halten sich vorwiegend im Wald auf, wachsen dort oder sind irgendwann vom Wald abhängig.
Weniger rosig sieht es bei den Gewässern aus (siehe auch unten). Lebensräume in den Alpen geraten unter Druck und Siedlungsgebiete können Chancen und Risiken beinhalten. Allgemein gilt festzuhalten, dass Generalisten auf dem Vormarsch sind und Spezialisten weniger werden. Die Situation für bedrohte Arten hat sich grundsätzlich nicht verbessert.
Die Flächen- und Qualitätsverluste bei den Lebensräumen spiegeln sich in den Roten Listen der gefährdeten Arten wider. Für diese Listen wurden bisher ein Fünftel (10'844) aller bekannten in der Schweiz vorkommenden Arten (ca. 56'000) bewertet: 35 % dieser Arten sind als ausgestorben oder gefährdet eingestuft.
Die Schweiz findet sich beim Anteil gefährdeter Tierartengruppen (Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien, Fische) auch bei den Daten der OECD weit vorne, in allen Kategorien im vordersten Teil. Die OECD hat von 31 Ländern die Anteile in den erwähnten fünf Bereichen erfasst.
Die Schweiz belegt dabei immer mindestens Rang drei. Während der Anteil bei Säugetieren, Vögeln und Fischen knapp unter 40 Prozent liegt, sind es bei Reptilien knapp 70 und bei Amphibien gar über 70 Prozent.
In den Alpen finden sich die meisten Wildnisgebiete von hoher bis sehr hoher Qualität. In diesen Räumen überwiegen natürliche Prozesse und es gibt weder Siedlungen noch Infrastrukturen. Diese Situation führt dazu, dass in weiten Teilen des Alpenraums eine relativ intakte ökologische Infrastruktur existiert.
Die Schutzgebiete sind in der Regel gut vernetzt und wenig isoliert. Dies soll auch so bleiben: 2020 hat der Bundesrat das Landschaftskonzept Schweiz verabschiedet und darin ein Qualitätsziel für hochalpine Landschaften festgelegt.
Die Nutzung der Alpweiden hat sich in den letzten Jahrzehnten stetig verändert, indem die gesömmerten Tiere immer mehr auf die guten Flächen konzentriert werden. Dies führt lokal zu einer intensiveren Nutzung, während auf anderen Weideflächen die Nutzung abnimmt oder gar ausbleibt.
Überall dort, wo die landwirtschaftliche Nutzung aufgegeben wird, breitet sich der Wald aus. Dabei geht Kulturland verloren, das vor Jahrhunderten dem Wald mühsam abgerungen wurde.
Um die Lage der verschiedenen Arten zu beurteilen, benötigt es Beobachtungen im Feld. Diese werden von den faunistischen und floristischen Daten- und Informationszentren der Schweiz (Infospecies) verwaltet und ausgewertet.
Durch diese Beobachtungen können Angaben zur Verbreitung verschiedener Arten gemacht werden. Es zeigt sich dabei, dass die schwer zugänglichen Gebiete in den Bergen natürlich weniger gut abgedeckt sind. Aber auch im Mittelland wäre teilweise mehr möglich.
Ebenfalls auffallend: Je mehr ein Gebiet untersucht wird, desto eher wird die höchste Kategorie der beobachteten Arten (violett) erreicht.
Die Vogelarten des Waldes zeigen insgesamt eine Zunahme. Der Anteil an gefährdeten Brutvogelarten des Waldes ist mit 15 % deutlich tiefer als im gesamtschweizerischen Durchschnitt, der bei 40 % liegt. Die Bestandstrends von Vogelarten, die auf Tot- und Altholz angewiesen sind (v. a. Spechte), verlaufen positiv.
In unseren Wäldern leben attraktive und spektakuläre Käferarten, die massgeblich an der Zersetzung von Holz und damit am Nährstoffkreislauf beteiligt sind. Sie sind auf Ressourcen angewiesen, die sich nur langsam erneuern und selten im Wirtschaftswald sind: alte, absterbende Bäume mit dicken, toten Ästen und Höhlen; stehende tote, dicke Bäume; am Boden liegende Stämme und dicke Äste. Von grösster Bedeutung sind Mikrohabitate an den lebenden Bäumen, die den Käfern als Schutz-, Brut-, Überwinterungs- oder Nahrungsstätten dienen.
Bäume mit Höhlen, Stammverletzungen, Totholz in den Baumkronen, Wucherungen oder einem Bewuchs mit Efeu bieten Lebensraum für eine Vielzahl spezialisierter Arten. Insgesamt wurden fast 50 Typen von Baummikrohabitaten beobachtet. Doch die einheimischen totholzbewohnenden Käferarten der Schweiz sind stark bedroht, wie die Erhebungen zur entsprechenden Roten Liste gezeigt haben: Rund 46 % der 256 eingestuften Käferarten sind gefährdet, weitere 18 % potenziell gefährdet.
Rote Listen zeigen den Gefährdungsgrad von Arten. Im Auftrag des BAFU werden diese durch Fachleute nach Kriterien der Weltnaturschutzunion IUCN erarbeitet und aktualisiert (hier gibt es die Übersicht beim BAFU).
In der Schweiz wurden bisher 56'000 verschiedene Arten nachgewiesen. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass mindestens 29'000 weitere mehrzellige Arten in der Schweiz leben. Für rund 20 Prozent (10'844 Arten) der nachgewiesenen Arten existiert eine Gefährdungseinschätzung. Das hört sich zunächst nach nicht sehr viel an, ist aber auch im Vergleich mit anderen Ländern deutlich mehr. 35 Prozent davon gelten als gefährdet oder ausgestorben.
Damit eine Art auf die Rote Liste kommt, müssen Kriterien wie «abnehmende Populationsgrösse», «kleines Verbreitungsgebiet» oder «kleine Zahl fortpflanzungsfähiger Individuen» erfüllt sein. Danach wird in Kategorien aufgeteilt. In drei davon gilt die Bezeichnung als Rote-Liste-Art.
Das Forum für Biodiversität Schweiz, Akademie der Naturwissenschaften (SCNAT) publizierte vor einigen Jahren mit der Broschüre «Biodiversität in der Schweiz» Informationen zum Wandel der Biodiversität in der Schweiz seit 1900.
Darin zeigen zwei Karten, wie sich die Trockenwiesen und -weiden der Schweiz um 1900 bis zum Jahr 2010 verändert haben. 95 Prozent der Flächen gingen in diesem Zeitraum verloren. Seit 1990 betrug der Rückgang allein 30 Prozent.
2010 standen rund 21'000 Hektaren der Trockenwiesen und -weiden unter Schutz. Allerdings nimmt die Qualität der Objekte ab, da Flächen intensiver genutzt werden:
Neben Trockenwiesen und -weiden nahm auch der Anteil von Auen (-70 % seit 1850) und Mooren (-82 % seit 1900) massiv ab. Die Erhaltung von Mooren und Auen ist für die Biodiversität mitentscheidend. Seit 1990 wurden hier diverse solcher Flächen unter Schutz gestellt, um die Abnahme zu stoppen:
Insekten gehören zu den gefährdetsten Arten. Die Studie Insektenvielfalt in der Schweiz zeigte dies 2021 deutlich. Viele der Schweizer Insekten sind bedroht und stehen auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.
Zu sechs Insektengruppen liegen in der Schweiz aktuell Rote Listen vor. 43 Prozent der 1153 bewerteten Insektenarten gelten als gefährdet, weitere 16 Prozent als potenziell gefährdet. 38 Arten sind bei uns schon ausgestorben.
Interessant ist auch ein Blick auf die Schmetterlingsfauna in der Schweiz. Hier dehnten sich in den vergangenen 30 Jahren tendenziell diejenigen Arten aus, welche höhere Temperaturen bevorzugen (Wärmezeiger). Solche, die sich eher mit tiefen Temperaturen anfreunden (Kältezeiger), werden seltener.
Wie eingangs schon erwähnt, sind die Gewässer in der Schweiz besonders unter Druck. Im BAFU-Bericht 2022 der «Gewässer in der Schweiz» wird der Zustand analysiert. Die vielen Wasserressourcen der Schweiz haben eine hohe Wichtigkeit für Gesellschaft, Wirtschaft und Natur. Rund 80 Prozent des Schweizer Trinkwassers stammen beispielsweise aus dem Grundwasser.
Die vielfältige Nutzung von Wasser veränderte das Landschaftsbild und führte zu Verlust von Lebensraum für Tiere und Pflanzen (siehe auch Abnahme der Auen-Landschaften oben). Ein Umdenken findet hier statt. Auch wurden Massnahmen eingeleitet, um die Wasserqualität zu steigern.
Bäche, Flüsse, Teiche und Seen zählen grundsätzlich zu den artenreichsten Lebensräumen. Über 80 Prozent aller bekannten Tierarten kommen in Gewässern und den direkt an sie anschliessenden Ufer- und Auenlebensräumen vor. In der Schweiz sind viele davon bedroht. Gewässerorganismen sind darum überdurchschnittlich stark betroffen. 53 Prozent sind bereits gefährdet oder ausgestorben.
Und der Chefe der Bauern meint natürlich es ist genug getan, alles bestens. Mehr können wir nicht tun.
Die Bauern werden diejenigen sein, welche am lautesten rufen werden, wenn wir Probleme wegen der Biodiversität bekommen.