Das Unbewusste ist eine vertrackte Sache. Da gehen Dinge vor sich, die uns die Schamröte ins Gesicht treiben würden, wenn sie uns denn bewusst wären. Das dürfte auch für Vorurteile gelten – jeder hat sie, aber nur wenige geben zu, dass ihr Verhalten von ihnen beeinflusst wird.
So fällt es uns schwer zu erkennen – geschweige denn zuzugeben –, dass wir bestimmte Menschengruppen diskriminieren. Menschen mit einer anderen Hautfarbe, einer anderen sexuellen Orientierung, einem anderen Geschlecht – you name it. Vielleicht können wir die Erkenntnis schlicht nicht zulassen, weil sie sich schlecht mit unserem Selbstbild verträgt. Wir möchten uns selbst nicht als voreingenommen sehen, sondern möglichst vorurteilsfrei erscheinen.
Wie aber geht es nun wirklich zu und her in unserem Unbewussten? Diskriminieren wir tatsächlich – und wen? Auskunft könnte ein psychologischer Test geben, der unausgesprochene Einstellungen und Vorurteile aufdecken soll: der Implizite Assoziationstest (IAT), der Mitte der Neunzigerjahre an amerikanischen Universitäten entwickelt wurde.
Manche Studenten, die damals als Testpersonen fungierten, waren entsetzt über ihre Ergebnisse – sie hatten sich als betont vorurteilsfreie Menschen wahrgenommen und sahen sich nun mit Resultaten konfrontiert, die ihrem Selbstbild zuwiderliefen. Die Psychologin Mahzarin Banaji, die bei der Ausgestaltung des Tests eine wichtige Rolle spielte, beschrieb, wie eine Gruppe von Erstsemestrigen an der Universität von Yale 1998 auf die Aufdeckung ihrer unbewussten Vorurteile reagierte:
Beim IAT, der solche Szenen auszulösen vermag, handelt es sich um ein sozialpsychologisches Messverfahren, das die Stärke der Assoziationen zwischen verschiedenen Elementen des Gedächtnisses feststellt. Informationen in unserem Gehirn sind, so die Annahme, mittels eines assoziativen Netzwerks miteinander verknüpft. Deswegen können wir schneller auf bestimmte Begriffe reagieren, wenn wir zuvor mit einem Begriff aus demselben Bedeutungsfeld konfrontiert waren.
Testpersonen reagieren beispielsweise schneller auf das Wort «Kuh», wenn ihnen zuvor der Begriff «Milch» präsentiert worden ist – und langsamer nach einem Wort aus einem anderen Bedeutungsfeld, zum Beispiel «Zwiebel». Dies gilt nicht nur für semantische Beziehungen, sondern auch für affektive, also für Wörter, die denselben affektiven Wert aufweisen, zum Beispiel «positiv» und «Glück».
Der IAT, der am Computer durchgeführt wird, nutzt dieses sogenannte «affektive Priming», indem er Testpersonen mithilfe von zwei Tasten eine Reihe von Begriffen oder Bildern verschiedenen Kategorien – zum Beispiel «Frauennamen» oder «Männernamen» und «positiv» oder «negativ» – zuordnen lässt. Das Wort «Sarah» gehört beispielsweise zu «Frauennamen», «Liebe» hingegen gehört zu «positiv».
Je zwei Kategorien sind dabei derselben Taste zugewiesen, etwa «Frauenname» und «positiv». Es werden mehrere Testrunden durchgeführt; dabei wechselt die Tastenbelegung, so dass nun «Frauennamen» und «negativ» derselben Taste zugewiesen sind. Aus der unterschiedlichen Reaktionszeit der Probanden bei der unterschiedlichen Belegung leitet der IAT dann die Stärke der assoziativen Verbindung ab. Ist man also schneller, wenn «Frauennamen» und «positiv» auf derselben Taste liegen, ist diese Verbindung stärker – es liegt eine «implicit bias» vor, eine implizite Voreingenommenheit. Hier: Man bevorzugt Frauen.
Der IAT umfasst mittlerweile 14 Varianten, die unbewusste Vorurteile aufdecken sollen; neben Rassismus und Sexismus geht es auch um unbewusste Diskriminierung von Alten oder Behinderten. Die neuste Variante untersucht das unbewusste Verhältnis zum aktuellen US-Präsidenten Trump und einigen seiner Vorgänger, darunter Barack Obama und Bill Clinton..
Der Test hat inzwischen eine beeindruckende Karriere hingelegt. Nach Angaben der Entwickler, Anthony Greenwald und Mahzarin Banaji, haben ihn seit 1995 rund 14 Millionen Personen in 39 Ländern durchgeführt. Der IAT gilt als einflussreich; Firmen und Organisationen – darunter Google und Facebook – wenden ihn an, um ihre Mitarbeiter in Sachen Diversity zu trainieren. Und eben erst hat der Verband der US-Psychologen (American Psychological Association, APA) Greenwald und Banaji den jährlich vergebenen Preis für herausragende wissenschaftliche Beiträge verliehen.
Doch der IAT ist nicht unumstritten. Während niemand im Ernst bezweifelt, dass wir alle unbewusste Vorurteile hegen, herrscht keineswegs Einigkeit bei der Frage, ob und wie diese wissenschaftlich erfasst werden können. Die «New York Times» monierte 2008, dass die Reproduzierbarkeit des Tests mangelhaft sei. Es gebe sogar wenig Konsistenz in den Ergebnissen, wenn dieselbe Person den Test mehrmals durchführe.
Eine Analyse aus dem Jahr 2017 weist darauf hin, dass alles, was der Test effektiv misst, ein Unterschied in der Reaktionszeit auf verschiedene Reize ist. Es sei nicht notwendigerweise so, dass dieser Unterschied, der sich notabene im Bereich von wenigen Hundert Tausendstelsekunden bewegt, tatsächlich eine implizite Voreingenommenheit gegenüber einer Minderheit belege. Implizite Voreingenommenheit verstehe man in aller Regel als psychologisches Phänomen, das jemanden dazu veranlasse, sich in realen Situationen diskriminierend zu verhalten.
Dass unbewusste Vorurteile und diskriminierendes Verhalten nicht auf eine so einfache, direkte Weise zusammenhängen, wie der Test suggeriert, zeigt auch eine 2016 publizierte Meta-Studie, die 426 wissenschaftliche Beiträge zum Thema ausgewertet hat. Sie kam zum Schluss, dass Training gegen unbewusste Vorurteile diskriminierendes Verhalten nicht ändert.