
Sag das doch deinen Freunden!
Seit dem letzten «Familientreffen» der FIFA sind erst rund neun Monate vergangen.
In den prunkvollen Räumlichkeiten des Fussball-Weltverbands beim
Zürcher Zoo aber ist kaum ein Stein auf dem anderen verblieben.
Korruptionsermittlungen des US-Justizministeriums gegen hohe
Funktionäre haben die FIFA in ihren Grundfesten erschüttert.
Wenn sich die
Delegierten am Freitag im Hallenstadion zu einem ausserordentlichen
Kongress treffen, steht auch die Zukunft der FIFA auf dem Spiel. Der
Walliser Joseph S. Blatter hat den Verband seit seiner Wahl zum
Präsidenten 1998 in einen milliardenschweren Konzern verwandelt,
dabei aber auch ein System geschaffen, in dem die Korruption gedeihen
konnte.
Nun sollen seine
Nachfolge geregelt und ein grosses Reformpaket verabschiedet werden,
damit die FIFA aus der tiefsten Krise ihrer Geschichte herausfindet.
Darum geht es:
Am 29. Mai 2015
liess sich Sepp Blatter am FIFA-Kongress in Zürich für eine fünfte
Amtszeit zum Präsidenten wählen. Mit einem trotzigen «Let's go
FIFA!» bedankte er sich bei den Delegierten. Dabei hatte sich
die Schlinge um seinen Hals längst zusammengezogen: Zwei Tage zuvor
hatte die Zürcher Kantonspolizei im Luxushotel Baur au Lac in aller Herrgottsfrühe
sieben hohe FIFA-Funktionäre auf Antrag des US-Justizministeriums
wegen Korruptionsverdachts festgenommen.
Nur drei Tage nach
seiner Wiederwahl zog Blatter die Konsequenzen, er trat als Präsident
zurück. Kurz vor Weihnachten verhängte die FIFA-Ethikkommission
gegen ihn eine achtjährige Sperre und eine Geldstrafe wegen einer dubiosen Zahlung von zwei Millionen Franken an UEFA-Präsident Michel
Platini. Anfang Dezember beschloss das FIFA-Exekutivkomitee zudem
umfassende Reformen. Im Vorfeld dieser Sitzung wurden erneut zwei Funktionäre im Baur au Lac verhaftet.
Unter Anleitung von
Chefaufseher Domenico Scala hat der Verband die grösste Reform
seiner Geschichte beschlossen. Der Präsident wird auf eine
eher repräsentative Rolle zurückgestuft und das Exekutivkomitee in eine Art «Verwaltungsrat» mit 36 Mitgliedern (darunter mindestens sechs
Frauen) umgewandelt. Die Amtszeit des Präsidenten und der Ratsmitglieder wird auf dreimal vier Jahre beschränkt. Der Generalsekretär amtiert als CEO der FIFA. Auf der Chefetage soll zudem Lohntransparenz herrschen. Als zusätzliches Kontrollgremium wird eine Überwachungskommission
eingesetzt.
Die Reformen wurden
nicht aus eigenem Antrieb beschlossen, sondern auf Druck der
Sponsoren und vor allem der US-Justiz. Bisher hat sie «nur» Personen angeklagt. Kommt es zu einem Verfahren gegen die FIFA
selbst, wäre sie in ihrer Existenz bedroht. Deshalb ist anzunehmen,
dass der Kongress die Reformen absegnen wird, obwohl eine
Dreiviertelmehrheit der 209 Verbände benötigt wird und Widerstand
gegen einzelne Punkte (etwa die Amtszeitbeschränkung) absehbar ist.
Die FIFA hat fünf
Kandidaten zur Präsidentenwahl zugelassen: Scheich
Salman bin Ibrahim Al Khalifa aus Bahrain, den Italo-Walliser Gianni
Infantino, Prinz Ali bin Al Hussein von Jordanien, den Südafrikaner
Tokyo Sexwale und den ehemaligen Blatter-Vertrauten Jérôme
Champagne. Beobachter bescheinigen dem in Zürich
lebenden Franzosen das beste Programm, doch weil Champagne
die Seilschaften fehlen, ist er chancenlos.
Die
Wahl werden Scheich Salman und UEFA-Generalsekretär Infantino unter
sich ausmachen. Während der Erstere sich auf Unterstützung aus
Afrika und Asien verlässt, zählt Infantino auf die Europäer und
Amerikaner. Der Ausgang der Wahl ist kaum vorhersehbar. Bislang
scheint sich keiner der Favoriten einen Vorteil erarbeitet zu
haben. Gerüchte über einen Deal, wonach Salman Präsident und
Infantino Generalsekretär werden soll, weist der Walliser zurück.
In
der FIFA verfügt jeder der 209 Mitgliedsverbände über eine Stimme.
Weltmeister Deutschland hat das gleiche Gewicht wie die Cayman-Inseln
oder Vanuatu. Vor der Wahl erhalten die fünf Bewerber jeweils 15
Minuten Redezeit, um ihr Programm zu präsentieren. Im ersten
Wahlgang benötigt der Sieger zwei Drittel aller gültigen Stimmen,
danach reicht das absolute Mehr von 50 Prozent. Ab dem zweiten
Wahlgang scheidet jeweils der Kandidat mit der geringsten Stimmenzahl
aus.
Einen
Abgang in Würde hat der Walliser längst verpasst. Kurz nach seinem
Rücktritt kokettierte er bereits wieder mit einem Comeback. Diese
Hoffnungen zerschlugen sich mit der achtjährigen Sperre. Sepp
Blatter wehrte sich dagegen an einer emotionalen Pressekonferenz.
Zuvor hatte er behauptet, er könne als gewählter Präsident nicht von der Ethikkommission verurteilt werden.
Später
liess er verbreiten, er sei offiziell gar nicht zurückgetreten,
obwohl er ein entsprechendes Schreiben verschickt hatte. Zuletzt
kämpfte Blatter noch um einen Auftritt am Kongress vom Freitag, um
sich mit einer Rede verabschieden und sein Amt dem Nachfolger
übergeben zu können. Falls der
Internationale Sportgerichtshof CAS seine Berufung abweist, wird Blatter den Kongress aus der Ferne verfolgen müssen.
Das
ist durchaus möglich. «Für
mich ist klar, dass das US-Justizdepartement wieder für Action
sorgt, denn es geht am Kongress um wichtige Punkte wie die Reformen
und die Wahl eines neuen Präsidenten», sagte ein hoher
amerikanischer FIFA-Mitarbeiter der «NZZ am Sonntag». Diese
Perspektive könnte den einen oder anderen Funktionär von einer
Reise nach Zürich abhalten. Es ist deshalb unklar, ob alle 209
Verbände teilnehmen werden.