Alkoholgenuss ist vermutlich älter als die Menschheit – schon der letzte gemeinsame Vorfahr von Mensch, Schimpanse und Gorilla konsumierte vor mindestens zehn Millionen Jahren fermentierte Früchte. Bis dieses Geschehen zivilisierte Formen im Weinbau annahm, dauerte es allerdings eine ganze Weile.
Doch spätestens vor etwa 7000 Jahren war es dann soweit: Die ersten sesshaften Bauern begannen im Nahen Osten mit dem Anbau von Weinreben. Seither ist Wein nicht mehr aus der Geschichte der Menschheit wegzudenken, wie dieser kleine Streifzug durch die Kulturgeschichte von den Anfängen bis zum Mittelalter zeigt.
Glaubt man der Bibel, dann waren es weder die Sumerer noch die Perser, die sich als erste an vergorenem Traubensaft berauschten, sondern der biblische Patriarch Noah. Der Erbauer der Arche ist gemäss dem ersten Buch Mose der erste Winzer:
Noah begnügte sich selbstredend nicht damit, Wein anzubauen; er trank ihn auch. Danach lag er betrunken und nackt in seinem Zelt, wo ihn sein Sohn Ham fand. Der erzählte es seinen Brüdern Sem und Jafet, die Noah daraufhin zudeckten, und zwar mit abgewandtem Blick, «damit sie ihres Vaters Blösse nicht sähen». Als Noah dann erwachte, hatte er wohl einen schlimmen Kater, denn als er hörte, was vorgefallen war, verfluchte er Hams Sohn Kanaan.
Gleich geht's weiter mit der Historie des Weins, vorher ein kurzer Hinweis:
Und nun: Zurück in die Vergangenheit ...
Noah landete nach der Sintflut mit seiner Arche auf dem Berg Ararat, wo heute die Grenze zwischen Armenien und der Türkei verläuft. Irgendwo in dieser Gegend zwischen Südostanatolien, Westkaukasus und Nordwestiran kultivierten Bauern die ersten Weinreben. Die älteste bisher gefundene Kelter-Anlage befindet sich im Zagros-Gebirge im Iran, sie ist über 7000 Jahre alt. In der Nähe von Areni in Armenien stiessen Archäologen auf die bisher älteste Weinpresse. Auch die bronzezeitlichen Winzer pressten die Trauben schon mit ihren Füssen aus; der Saft rann danach in die Tröge unter der Presse, wo er dann gärte.
Die antiken Armenier mischten den starken Wein mit Wasser und sogen die Flüssigkeit mit einem Schilfrohr aus dem Gefäss. Armenien ist heute noch für seine Weine bekannt, vor allem für die süssen Dessertweine. Allerdings erhebt auch Georgien den Anspruch auf die früheste Kultivierung der Weinrebe. Tonscherben aus dem vierten Jahrtausend v. Chr. mit Traubenkernen gelten als Indiz dafür.
Persien, der heutige Iran, war einst ein wichtiges Weinbauland. In der Antike galt die Stadt Schiraz als der Ort, von dem die besten Weine herkamen. Die Perser waren dermassen von dem alkoholischen Getränk eingenommen, dass sie wichtige Beschlüsse nur berauscht fassten, wie der griechische Historiker Herodot berichtete. Immerhin mussten diese Beschlüsse danach in nüchternem Zustand noch bestätigt werden.
Eine Sage beschreibt, wie der Wein am Hof des Königs Dschamschid «erfunden» wurde: Die Trauben, die im Keller des Königs lagerten, hatten begonnen zu gären. Zuerst glaubte man, die Trauben seien von bösen Geistern besessen und vergiftet worden. Die Königin, die unter entsetzlichen Kopfschmerzen litt, wollte ihrem Leiden ein Ende setzen, indem sie den vermeintlich giftigen Saft der Trauben trank – was sie zu ihrer Überraschung in eine fröhliche Stimmung versetzte und obendrein ihre Kopfschmerzen verjagte.
Nach der Islamisierung Persiens im Gefolge der arabischen Eroberung (641) wurde der Wein verboten. Doch zumindest die Oberschicht liess sich den Weingenuss nicht nehmen. Dichter wie der berühmte Hafis (ca. 1315–1390) besangen ungestraft die Freuden des Rebensafts.
Der Weinbau gelangte vermutlich aus Kanaan und Syrien nach Ägypten, wo ab 3000 v. Chr. Reben angebaut wurden. Wein war im Gegensatz zum Alltagsgetränk Bier zunächst eher einer kleinen Oberschicht vorbehalten, die sich ein privates Weingut leisten konnte. Mit der Zeit kamen aber auch einfache Leute vermehrt in den Genuss des Rebensaftes.
Beim «Fest im Grabe», einer Art antiker Allerseelen, besuchten die alten Ägypter die Gräber ihrer Ahnen, um dort zu opfern und zu feiern. Und zu trinken, denn das Fest hatte über grosse Strecken den Charakter eines Trinkgelages, dessen Patin die Göttin Hathor war, die Herrin der Trunkenheit. Aus Fässern schenkte man den Wein in Krüge und füllte damit unablässig Schalen und Becher – bis am Ende alle bis zur Bewusstlosigkeit berauscht waren. Wie eine Grabinschrift es sagt:
Gott des Weines, der Freude, der Trauben, der Fruchtbarkeit, des Wahnsinns und der Ekstase – das war Dionysos, auch Bakchos genannt, der jüngste der grossen griechischen Götter. Ihm zu Ehren hielten die Athener zwei grosse Feste ab: die dreitägigen Anthesterien und die achttägigen Dionysien.
Besonders bei den Anthesterien spielte der Wein eine wichtige Rolle; es gab regelrechte Wett-Trinken, an denen auch Kinder ab drei Jahren teilnahmen – allerdings mit kleineren Krügen. Der Wein wurde mit Wasser gemischt; unverdünnten Wein zu trinken, galt als barbarisch.
Zu Ehren des Dionysos fanden an verschiedenen Orten im antiken Griechenland Prozessionen statt, an denen auch Frauen teilnahmen. Diesen sogenannten Mänaden sagte man nach, dass sie zu Ehren des Gottes in Raserei verfielen – wie es in der Tragödie «Die Bakchen» von Euripides dargestellt ist. Darin wird der Herrscher Pentheus, der sich dem Kult entgegengestellt hatte, von den rasenden Mänaden – darunter auch seine Mutter – mit blossen Händen zerrissen.
Auch die Römer tranken – wie die Griechen – den Wein nie unverdünnt. Dazu war er in der Regel auch viel zu stark und dickflüssig – Lagerweine hatten meist eine ölige Konsistenz und einen Alkoholgehalt von bis zu 18 Prozent. Beigemischt wurde kaltes oder warmes Wasser, bisweilen sogar Meerwasser. Ein Verhältnis Wein-Wasser von 1:1 galt schon als dekadent.
Damit nicht genug – die römischen Winzer gaben dem Rebensaft noch ganz andere Zutaten bei: Sie peppten den sauren Wein mit Aschenlauge, Gips, Salz, Schwefel, Pech sowie Pinien- und Pistazienharz auf. Sogar pulverisierter Marmor landete manchmal in den Amphoren. Kalk sollte die Säure mildern, Aloe veränderte die Farbe. Dem Geschmack half man mit Honig, Rosenblütenblättern und Gewürzen wie Oregano oder Thymian auf die Sprünge. Die Amphoren schmierte man zudem oft inwendig mit Öl aus, um sie abzudichten – was dem Geschmack kaum zuträglich war. All dies lässt vermuten, dass der römische Wein unserem Gaumen wenig geschmeichelt hätte.
Im Mittelalter war sauberes Trinkwasser besonders in den Städten rar, denn die Brunnen befanden sich oft direkt neben Abfallgruben und Aborten. Aus diesem Grund waren leicht alkoholhaltige Getränke wie Dünnbier und mit Wasser verdünnter Wein beliebt, auch weil sie haltbarer waren. Alltagsgetränk für die niederen Stände war das Bier; Wein gab es allenfalls in minderer Qualität, zum Beispiel sogenannten «Nachwein»: Dieser Tresterwein wurde durch nochmaliges Auspressen der Traubenreste gekeltert und war oft kaum besser als mit Wasser verdünnter Essig. Besseren – oft aus dem Süden importierten –
Wein gab es lange nur für die Wohlhabenden. Bei den Adligen kam der Rebensaft hingegen täglich auf den Tisch.
War Wein im Frühmittelalter noch in weiten Gegenden Nord- und Ostdeutschlands unbekannt, baute man im Hochmittelalter – damals waren die klimatischen Verhältnisse günstiger als heute – sogar an der Ostsee Wein an. Schon unter Karl dem Grossen (747–814) waren die Anbauflächen beträchtlich erweitert worden. Allmählich verbesserten sich auch die Weinbau-Methoden, nicht zuletzt aufgrund der Bemühungen der zahlreichen Klöster. Die Mönche schätzten den Rebensaft nicht nur als Getränk, sondern auch als Symbol des Glaubens – schliesslich symbolisiert Rotwein das Blut Christi.