Der deutsche Fussball erlebt die dunkelsten Stunden der Neuzeit. Nach dem peinlichen Vorrunden-Out an der WM im letzten Sommer und dem Abstieg in der Nations League ist nun auch der Klub-Fussball am Tiefpunkt angelangt. Sämtliche deutschen Vertreter sind in der Champions League bereits im Achtelfinale gescheitert – das gab es zuletzt 2005/2006. Eintracht Frankfurt ist der letzte deutsche Vertreter in der Europa League – sie dürfen nach dem 0:0 im Heimspiel heute in Mailand gegen Inter nicht verlieren, sonst ist Deutschland Mitte März bereits nicht mehr europäisch vertreten.
Noch 2013 gewann der FC Bayern im deutschen Finale gegen den BVB die Champions League, ein Jahr später wurde die DFB-Elf Weltmeister.
Eine Suche nach den Ursachen für den tiefen Absturz der so stolzen Fussball-Nation Deutschland.
Durch die guten Ergebnisse bei den grossen Turnieren seit 2006 kam in Deutschland nie die Debatte auf, ob die Jugendarbeit revolutioniert werden muss – so wie damals nach dem grandiosen Scheitern 2000. Das hat dazu geführt, dass es in Klub und Nationalmannschaft kaum noch richtige «Typen» gibt. Keine Charakterspieler oder «Strassenfussballer» mehr. In Deutschland gibt es bloss noch Nachwuchsleistungszentrum-Spieler, die perfekt ausgebildet sind, aber kaum eigene Aspekte mit einbringen. In der Ausbildung wird den Spielern etwa das Dribbeln abgewöhnt.
Das führt dazu, dass ganz viele Passmaschinen wie Julian Weigl oder Toni Kroos, aber eben keine eigenen Spieler, deren Spielfreude und Kreativität gefördert wurde, zur Verfügung stehen. In Frankreich, Belgien und England wird seit Jahren darauf geachtet, dass Spieler auch eigene Attribute mitbringen.
Dieser Fokus auf die individuelle Schulung der Fussballer fehlt in Deutschland, dort hat mannschaftstaktisches Verhalten Priorität. Und so fehlt plötzlich der Ausgleich, die Ecken und Kanten fehlen den geschliffenen Talenten.
Heute für @spox beim Medien-Workshop des @DFB in Frankfurt. Unter dem Motto „Zurück an die Weltspitze“ sagt Direktor Oliver #Bierhoff: „Es bedarf einer Richtungsänderung im deutschen Fußball. Wir können so nicht weitermachen.“ Unter anderem sei „mehr Bolzplatzmentalität“ gefragt. pic.twitter.com/VAWNASkzOB
— Kerry Hau (@kerry_hau) 13. Februar 2019
Und wenn ein junger deutscher Spieler wie Leroy Sané dann mal diese dringend benötigte, individuelle Klasse mitbringt, dann lässt ihn der Trainer zuhause, statt ihn an die WM mitzunehmen.
Junge deutsche Talente kriegen in der Bundesliga kaum noch die Chance zu spielen. Es wird eher auf die Flut an Franzosen oder Engländer gesetzt. Als gutes Beispiel dienen Mainz auf mittlerer Ebene und Dortmund auf Spitzenebene. All die jungen Talente sehen die Bundesliga nur noch als Sprungbrett und sind nicht wie in England bereit, dort zu bleiben.
Speziell Dortmund hat das die letzten Jahre mit den Abgängen von Aubameyang, Dembélé und Pulisic zu spüren gekriegt. Die Bundesliga ist zur Ausbildungsliga geworden. Nicht mal mehr die deutschen Jungtalente entscheiden sich für einen Verbleib.
Ein Leroy Sané wechselt eben nicht mehr zu einem FC Bayern, sondern zu Manchester City, wo auch İlkay Gündoğan glücklich wurde. Mesut Özil und Toni Kroos haben Deutschland längst verlassen, wie auch der beste deutsche Torhüter, Marc-André ter Stegen. Thilo Kehrer und Julian Draxler ziehen gar die Ligue 1 der heimischen Liga vor.
Man kommt natürlich nicht darum herum, das Geld als zentralen Punkt zu berücksichtigen. England wedelt dank den neuen Fernsehverträgen mit Löhnen und Ablösesummen, da brauchen die deutschen Klubs gar nicht erst mitzubieten. Auch in Spanien, Italien und bei Paris Saint-Germain werden die Millionen im dreistelligen Bereich hin- und hergeschoben.
In Deutschland gilt zudem noch immer die 50+1-Regel. Dadurch ist es Kapitalanlegern nicht möglich, die Stimmenmehrheit zu erhalten. Kurzum: Ein reicher Investor haut seine Millionen nicht in Deutschland raus, da er sowieso nicht alleine entscheiden darf, wie dies in England, Frankreich oder Italien der Fall ist.
Dennoch kann der Erfolg mit dem Geld alleine weiterhin nicht gekauft werden. Das merkt PSG Jahr für Jahr. Und dass man mit selbst ausgebildeten Spielern und gutem Scouting weit kommen kann, haben dieses Jahr Ajax und Porto bewiesen.
Die Bayern sind das Zugpferd des deutschen Klubfussballs. Auf sie war in der Champions League immer Verlass, seit 2011/12 waren sie immer unter den letzten acht. Doch genau diese Bayern haben den Umbruch verpasst und stehen jetzt in einer schwierigen Umbruch-Saison. Arjen Robben und Franck Ribéry sind alt und verletzungsanfällig. Mittlerweile haben die Bayern zwar nachgerüstet, doch Kingsley Coman, Serge Gnabry und Co. brauchen noch Zeit, um zur Weltklasse zu reifen. Das kann schon mal ein bis zwei Jahre dauern – Zeit, die man beim Rekordmeister eigentlich nicht hat.
Bei Dortmund brach nach den erfolgreichen Klopp- und Tucheljahren eine kleine Trainer-Baisse an. Das Peter-Bosz-System funktionierte nicht, Peter Stöger war sowieso nur als Übergang gedacht. Mit Lucien Favre folgte der Neustart. Mit vielen jungen Spielern ist der Schweizer sensationell in die Saison gestartet, mittlerweile steckt sein BVB aber etwas in einem Formtief – was völlig normal ist.
Hinter Bayern und Dortmund – und das war schon immer ein Problem – gibt es kaum einen deutschen Vertreter, der international für gute Ergebnisse sorgen kann. Vereinzelt haben Schalke, Leverkusen oder Wolfsburg mal positiv überrascht, das war aber eher die Ausnahme als die Regel. Wenn die Trümpfe Bayern und Dortmund nicht stechen, dann wird es schwierig.
Seit der verkorksten WM herrscht in Deutschland Fussball-Panik. Jogi Löw hat mit der Ausbootung der Bayern-Stars Mats Hummels, Jérôme Boateng und Thomas Müller für Aufregung gesorgt, welche gerade Müller mit seiner Video-Abrechnung weiter verstärkte.
Ein weiteres Problem ist, dass beim DFB seit Jahren Jogi Löw, Oliver Bierhoff und Co das Sagen haben. Sie verwalten nur und revolutionieren nicht, neue Ideen sind ebenfalls Fehlanzeige. Sie sind dadurch mitverantwortlich für die negative Entwicklung des DFB-Teams in den letzten Jahren.
Der Interview-Abbruch von DFB-Präsident Reinhard Grindel wegen unangenehmen Fragen passt da perfekt ins Bild des verunsicherten deutschen Fussball-Funktionärs.
Die Nervosität steigt und sie ist nach dem gestrigen Auftritt von Bayern nicht kleiner geworden. Das macht es auch für die Spieler auf dem Platz nicht einfacher, wenn im ganzen Verband Unruhe herrscht und diese sich dann auch noch auf die Klubs verlagert.
Sechs Mal in Serie haben die Bayern die Meisterschaft geholt. Fussball-Deutschland langweilt sich, die Liga ist durch ihre Einseitigkeit unattraktiv geworden. Die Konkurrenten suchen eher nach Ausreden, beklagen sich, dass die Bayern zu reich sind, statt die Lücke mit kreativen Ideen zu füllen.
Die Bayern hingegen werden auf nationaler Ebene zu wenig gefordert und sind folglich international überfordert. Es kommt nicht zufällig, dass die Bayern just in der Saison 2013 die Champions League gewonnen haben, als Dortmund ein ebenbürtiger Konkurrent war. Das gleiche Phänomen sehen wir übrigens in Italien und Frankreich. Dort dominieren Juventus und PSG die Meisterschaften – die Konkurrenten verzweifeln und den Dominatoren selbst will der grosse internationale Wurf bisher einfach nicht gelingen.
Für die Zukunft sieht es in Deutschland dann aber doch nicht so schlecht aus. Klubs wie Freiburg oder Leverkusen gehen mit gutem Beispiel voran und setzen auf die eigene Jugend. Gerade bei Bayer sind mit Kai Havertz und Julian Brandt zwei junge Mega-Talente auf dem Sprung, absolute Ausnahmespieler zu werden. Wenn sie denn richtig gefördert werden, sonst entpuppt sich das Licht am Ende des Tunnels plötzlich als dasjenige eines entgegenkommenden Zuges.