Fast 60 Prozent lehnen die
No-Billag-Initiative laut Tamedia-Umfrage ab, erfahrungsgemäss
verlieren Initiativen je länger desto mehr an Unterstützung. Ist
das Rennen gelaufen?
Ganz ehrlich: Ich weiss es nicht. Es
ist schwierig, aus der Ferne zu beurteilen, wie genau Umfragen sind,
zumal jede Umfrage immer auch einen gewissen Unschärfebereich
aufweist. Aber: Ich bin ein wenig überrascht, dass wir einen derart
deutlichen Meinungsumschwung beobachten können.
Sie sprechen die umstrittene
Umfrage an, die die «Sonntagszeitung» im Dezember publizierte und
die 57 Prozent Ja-Stimmen ergab.
Ja, und die erste Umfrage
von Tamedia, die einen Ja-Anteil von 51 Prozent auswies. Das sind
immerhin 10 Prozentpunkte innerhalb von knapp 4 Wochen.
Meinungen ändern sich parallel zur
eigenen Informationsmenge, zum Weltgeschehen und zur persönlichen
Stimmungslage.
Natürlich, das ist möglich. Mich
erstaunt einfach die Tatsache, dass bei allen No-Billag-Umfragen der
Anteil Unentschiedener sehr gering ist, die Meinungen sich aber
trotzdem ändern. Der Zwischenstand, den wir nun aber haben, ist im
Prinzip ein Resultat, das man von Anfang an von einer radikalen
Initiative wie No-Billag erwarten konnte. Eigentlich wären schon 40
Prozent Ja-Stimmen ein Achtungserfolg für die Initiative. Man kann
sie ein wenig mit der Armeeabschaffungsinitiative von 1989
vergleichen. Auch damals wurde die radikale Abschaffung einer
Schweizer Institution gefordert. Sie erreichte rund 35%
Ja-Stimmenanteil, was gemeinhin als Erfolg bezeichnet wurde.
Die Politologen, die hinter der aktuellen Umfrage stehen, zeigen sich jedenfalls nicht überrascht. In den
letzten Wochen sei stärker über die Folgen der Initiative
diskutiert worden, das habe zum Meinungsumschwung beigetragen.
Stimmen Sie zu?
Das hat sicher eine Rolle gespielt, in
welchem Ausmass aber ist mir unklar. Ich bin mir vor allem nicht so
sicher, inwieweit diese spezifische Diskussion schon beim
Durchschnittsbürger angekommen ist. Klar, auf Twitter, in den Medien
und in den einschlägigen Foren wird die Initiative sehr intensiv
diskutiert, aber da haben wir es entweder mit hochpolitisierten
Bürgern zu tun, die ihre Meinungen schon längst gebildet haben,
oder aber mit Journalisten, die vom Ausgang dieser Abstimmung
persönlich betroffen sind und ihre Meinung ebensowenig ändern
werden.
Finden Sie? Es gibt doch
mittlerweile kaum noch Situationen im Alltag, in denen man nicht
früher oder später zum Thema SRG kommt. Beim Familienessen, beim
Feierabendbier ...
Ist das so? Vielleicht haben Sie recht.
Wir werden am 4. März sehen, wie hoch die Beteiligung ist. Aber was
ich sagen will ist: Vom Abstimmungskampf auf Twitter darf man nicht
zwingend auf die Gemütslage des Gesamtelektorats schliessen.
Das wird sich bis zum 4. März
ändern.
Ja, definitiv. Wir müssen aber auch
bedenken, dass der «klassische» Abstimmungskampf – Inserat- und
Plakatkampagnen, Parolenfassungen, etc. – noch gar nicht richtig
angelaufen ist und trotzdem hat sich – so scheint es – der Wind
schon gedreht. Bisher haben wir ja vor allem einen
Social-Media-Wahlkampf gesehen, dies allerdings schon seit geraumer
Zeit.
Nochmals: Ist das Rennen
gelaufen?
Bei jeder anderen Initiative würde ich
«wahrscheinlich ja» sagen, aber wir haben es hier nicht mit einer
gewöhnlichen Initiative zu tun.
Womit dann?
Wir haben kaum Erfahrungswerte aus der
Vergangenheit. Das RTVG-Referendum kommt der jetzigen Abstimmung wohl
noch am nächsten. Aber darüber hinaus gibt es kaum
Vergleichsvorlagen. Die Armeeabschaffungs-Initiative von 1989 ist,
wie gesagt, eine Initiative, die eine ähnlich radikale Abschaffung
einer Schweizer Institution gefordert hatte. Aber damals war die
politische Konfliktkonfiguration genau umgekehrt. Hinzu kommt, dass
der Abstimmungskampf in den Medien schon sehr früh eingesetzt hat.
Also, dann halt Ihr Bauchgefühl.
Initiativen haben es grundsätzlich
schwer. Nur selten wird ein Volksbegehren angenommen, erst recht
nicht, wenn es eine radikale Änderung des Status Quo fordert. Aber
angesichts der oben geschilderten Ausgangslage würde ich den
Champagner zumindest jetzt noch nicht kaltstellen, wenn ich
No-Billag-Gegner wäre.
Wie erklären Sie sich, dass es laut
Umfrage praktisch keinen Unterschied zwischen den Generationen gibt –
nachdem man lange von einem drohenden Generationenkonflikt gesprochen
hat? Sie selber sagten in einem Artikel auf watson, dass das
Stimmverhalten der Jungen sich gerade bei der Frage der Mediennutzung
von den Alten unterscheiden dürfte ...
Das tut es ja auch – wenn auch nicht
sonderlich stark. Der Grund für die eher geringen Differenzen
zwischen Jung und Alt liegt wohl darin, dass der Abstimmungskampf
inzwischen eine andere Rahmung erhalten hat, bei welcher die SRG-
bzw. die Fernseh-Nutzung keine allzugrosse Rolle spielt. Es geht
mittlerweile primär um ideologische Fragen – ist die SRG links
oder mittig und wer dominiert den Medienmarkt, sollte es die SRG
nicht mehr geben? – und da sind Altersunterschiede nicht derart
relevant. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass die
Stimmbeteiligung der Jungen chronisch tief ist. Wer sich von den
Jungen am 4. März auch tatsächlich beteiligen wird, ist keineswegs
so sicher.
Sie gehen nicht davon aus, dass die
Stimmbeteiligung unter den Jungen hoch sein wird?
Höher als
sonst, ja. Aber nicht derart hoch wie bei den Senioren und
Seniorinnen. Nehmen Sie die Rentenreform, welche als eine der
wichtigsten Projekte der laufenden Legislaturperiode bezeichnet wurde. Da hiess es im Vorfeld von Seiten der Gegner, dass die Jungen die
Reform dereinst berappen müssen, während die Befürworter warnten,
dass die Jungen ohne Reform möglicherweise gar keine AHV mehr
bekämen. Die Jungen wurden also von beiden Lagern umgarnt und zu
mobilisieren versucht. Ist es gelungen, sie zur Beteiligung zu
motivieren? Nein. Die Beteiligung der Jungen fiel in etwa so aus wie
immer, also gering.
Jetzt haben wir es aber nicht mit
einer Rentenreform, sondern laut Schawinksi mit der «Mutter aller
Abstimmungen» zu tun. Wird die No-Billag-Abstimmung zu einer
ähnlichen Mobilisierung wie die DSI führen?
Ich erwarte eine überdurchschnittlich
hohe Stimmbeteiligung, ja, aber ob sie DSI-Niveau erreichen wird? Das
bezweifle ich. Die Beteiligung bei der DSI war historisch. Seit der
EWR-Abstimmung wurde nie mehr wieder eine solch hohe
Beteiligungsquote erzielt. Das zu übertreffen, wird schwierig. Die
DSI wurde zudem kontrovers debattiert und beide Seiten investierten
auch relativ viel Geld in die Kampagnen.
Das ist ja bei der No-Billag-Vorlage
nicht anders.
Ja, das schon. Aber gerade viele Jungen
schauen nur noch selten Fernsehen. Für sie ist diese ganze Debatte
bei weitem nicht so emotional wie für ältere Stimmberechtigte. Was
allerdings klar für eine höhere Beteiligung spricht, ist der
Umstand, dass die meisten SRG-Konsumenten auch eine klare Meinung zur
SRG haben. Unsichere oder ambivalente Stimmbürger wie etwa bei der
Unternehmenssteuerreform wird es kaum geben.
Die Gegner klammern sich nach der
Publikation der Umfrageresultate an das Phänomen der sogenannten
sozialen Erwünschtheit. Demnach hätten, ähnlich wie bei der
Minarettinitiative, viele ihre wahre Stimmabsicht nicht
bekanntgegeben. Ist das plausibel?
Nein, das kann ich mir nicht
vorstellen. Es handelt sich ja um eine anonyme Online-Umfrage, da
kann man problemlos seine, von der wahrgenommenen sozialen Norm
abweichende Meinung kundgeben. Am Telefon, wo es eine soziale
Interaktion zwischen Interviewer und Interviewtem gibt, kann es
solche Hemmungen geben. Aber kaum bei einer Online-Umfrage.
Spiegelt die Umfrage einen
Zwischensieg der Gegner, die mit dem Lichterlöschen-Argument
besonders gut punkten konnten, oder waren die Befürworter mit ihren
Argumenten – Stichwort Plan-B – bislang einfach nicht glaubhaft
genug?
Dazu müsste man Längsschnittdaten zu den besagten
Argumenten haben. Es ist aus der Distanz schwierig zu sagen, ob sich
etwas geändert hat. Immerhin gibt es aber gewisse Hinweise, dass man
mit der Betonung auf das Lichterlöschen-Argument strategische Stimmen eindämmen konnte.
Was meinen Sie mit strategisch Stimmenden?
Damit meine ich Stimmbürger, die die
SRG zwar nicht abschaffen, ihr aber einen Denkzettel verpassen
wollen. Diese liebäugeln mit einem Ja zu No-Billag, weil sie davon
ausgehen, dass die Initiative entweder nicht angenommen oder nicht
eins zu eins umgesetzt wird. Als Reaktion darauf haben die Gegner von
No-Billag zuletzt vehement darauf hingewiesen, dass es bei der
Umsetzung der Initiative keinen Spielraum gibt und das hat
möglicherweise bei einigen, die ursprünglich einen strategischen
Entscheid erwogen, zum Umdenken geführt. Anderseits: nach dem
jüngsten Umfrageresultat könnte bei einigen doch wieder die Lust
aufgekommen sein, strategisch zu stimmen.
Die No-Billag-Befürworter treten im
Gegensatz zu den Gegnern überhaupt nicht geeint auf. Ist das mit
ein Grund für die abnehmende Zustimmung?
Sie haben unterschiedliche Motive und
Beweggründe. Das mag beim Stimmbürger den Eindruck von Uneinigkeit
erwecken. Das wiederum kann ein Nachteil sein. Allerdings ergibt das
gleichzeitig auch Chancen: Man kann verschiedene Motivgruppen
ansprechen. Sowohl die ideologischen «Überzeugungstäter» wie auch
solche, welche die Abstimmung als rein zweckrationale Gebührenfrage
betrachten.
Nächste Woche erscheint die Umfrage
von gfs.bern. Was erwarten Sie?
Ich weiss es nicht. Ich bin ebenso
gespannt wie Sie. Wie gesagt, die No Billag-Initiative ist in
vielerlei Hinsicht eine ungewöhnliche Sachfrage. Es fällt mir echt
schwer, Prognosen zu machen.
Die Medienwoche kritisierte kürzlich
eine Umfrageflut und einen sogenannten Horse-Race-Journalismus. Was
können wir eigentlich von Umfragen erwarten? Dürfen wir die
unterschiedlichen Umfragen überhaupt miteinander vergleichen?
Ja,
klar. Denn alle Umfragen haben das gleiche Ziel: Die Stimmabsichten
in der Grundgesamtheit der Schweizer Stimmbürgerschaft an einem Tag
X möglichst genau zu erheben. Was den Mehrwert von Umfragen
betrifft: Selbstverständlich soll man seine Stimmabsicht nicht
alleine auf demoskopische Resultate abstützen. Aber Umfragen sind
eine der vielen Informationen, die man nutzen kann. Menschen sind im
Übrigen generell daran interessiert, wie andere Leute denken. Auch
ohne Umfragen geschieht das ständig, am Stammtisch, im Gespräch mit
anderen Leuten, bei der Lektüre von Leserbriefen. Menschen wollen
wissen, wie andere über eine Sache denken. Umfragen zu nutzen ist
eine Art, dieses Grundbedürfnis zu befriedigen. Und dieses
Grundbedürfnis erklärt ja auch die hohen Nutzungsraten von
Umfragewerten. Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass wir ja noch lange
keine US-Verhältnisse mit über 1000 Umfragen vor einer
Präsidentschaftswahl haben.