Noch vor kurzem roch es in Korea nach Krieg – zumindest rhetorisch. Der Schlagabtausch zwischen dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un und US-Präsident Donald Trump nahm im vergangenen Sommer immer schärfere Züge an.
Doch im Februar setzte plötzlich Tauwetter ein; Kim lud den südkoreanischen Präsidenten Moon Jae In zu einem Besuch nach Pjöngjang ein und signalisierte zudem seine Bereitschaft, sich mit Trump zu treffen. Im April kündigte das Regime schliesslich an, seine Atomwaffen- und Raketentests auszusetzen.
Am Freitag werden sich Kim und Moon an einem Gipfel an der gemeinsamen Grenze begegnen. Es wäre das erste interkoreanische Treffen seit mehr als einem Jahrzehnt. Und der Treffpunkt ist ein Ort höchster Symbolik: Panmunjom. Hier, in der sogenannten Joint Security Area («gemeinsame Sicherheitszone»), stehen sich die Soldaten der verfeindeten Bruderstaaten direkt gegenüber.
Die gemeinsame Sicherheitszone, ein Gebiet von rund 800 Metern Durchmesser, existiert seit dem Waffenstillstand vom 27. Juli 1953 und ist nach dem Dorf Panmunjom benannt, das im Koreakrieg zerstört und danach nicht mehr aufgebaut wurde. Mitten durch die Zone und die bekannten blauen Konferenzbaracken verläuft die Waffenstillstandslinie, die Militärische Demarkationslinie (MDL). Der Sonderbezirk wird gemeinsam von der UNO, den USA, Süd- und Nordkorea verwaltet. Die im Koreakrieg mit dem Norden verbündeten Staaten China und Russland sind dagegen nicht an der Verwaltung beteiligt, da sie beim Waffenstillstand die Fiktion aufrechterhalten wollten, Nordkorea habe allein gekämpft.
Ursprünglich diente Panmunjom als Standort für Verhandlungen zwischen Nordkorea und der UNO. Seit vielen Jahren nutzen jedoch die verfeindeten koreanischen Staaten die Zone für den diplomatischen Dialog. Auch der Gipfel vom 27. April findet dort statt; im 150 Meter südlich der Grenze gelegenen «Haus des Friedens». Dessen nordkoreanisches Gegenstück, das «Haus der Einheit», befindet sich in gleicher Distanz zur Grenze im Norden.
Panmunjom ist nur ein Teil – allerdings der bekannteste – der innerkoreanischen Grenze. Die bestbewachte Grenze der Welt ist eigentlich eine Waffenstillstandslinie, denn die beiden koreanischen Staaten befinden sich offiziell noch im Kriegszustand. Die Grenzlinie entspricht dem Status Quo nach dem Ende des Koreakrieges (1950-1953). Freilich ist der Ausdruck «Grenzlinie» nicht ganz zutreffend – es handelt sich vielmehr um einen entmilitarisierten Grenzstreifen: Die 248 Kilometer lange sogenannte Demilitarisierte Zone (DMZ) verläuft quer über die koreanische Halbinsel und ist etwa 4 Kilometer breit.
Verwaltet wird die DMZ, in deren Mitte die Militärische Demarkationslinie zwischen den beiden Staaten verläuft, von der Military Armistice Commission (MAC). Diese Waffenstillstandskommission, die aus Vertretern beider Seiten besteht, hat ihren Sitz in Panmunjom. Beiden Konfliktparteien ist es grundsätzlich nicht erlaubt, die DMZ ohne Genehmigung der MAC zu betreten. Dennoch gab es im Lauf der Jahre zahllose Grenzverletzungen.
Seit fast 65 Jahren sind auch Schweizer Soldaten an der innerkoreanischen Grenze stationiert. Im Juli 1953 beschloss die Schweiz, sich an der Neutralen Überwachungskommission (Neutral Nations Supervisory Commission, NNSC) zu beteiligen, die den Waffenstillstand kontrolliert. Ursprünglich 146 Mann stark, besteht die Schweizer Delegation, die von Divisionär Patrick Gauchat geleitet wird, derzeit aus fünf unbewaffneten Offizieren.
Die Schweizer sind nicht allein; sie teilen sich den Dienst mit fünf schwedischen Kollegen. Die beiden neutralen Länder überwachen die Südseite der DMZ – allerdings ist ihre Präsenz heutzutage beinahe ausschliesslich symbolischer Natur. Auf der Nordseite gibt es niemanden, der dieselbe Aufgabe erfüllt. Ursprünglich waren dort Delegationen aus Polen und der Tschechoslowakei stationiert, doch nachdem die Tschechoslowakei 1993 auseinanderbrach, hörte auch deren Delegation zu existieren auf. Polen zog seine Soldaten 1994 zurück, da Nordkorea die Überwachungskommission seither nicht mehr anerkennt.
Aus diesem Grund leeren die Nordkoreaner auch den Briefkasten an der Nordseite einer der Grenzbaracken nicht mehr, in den ein Schweizer Offizier jeweils am Dienstag den neuesten Bericht der Kommission wirft. Die Schweizer lassen sich davon aber nicht beirren; wenn der Briefkasten voll ist, leeren sie ihn selber. Dann kann der Prozess von vorne beginnen.
Wohl nirgendwo sonst gibt es einen Grenzabschnitt, an dem sich verfeindete Staaten dermassen ritualisiert gegenübertreten – vielleicht mit Ausnahme der indisch-pakistanischen Grenzzeremonien. Die nordkoreanischen Wachen beziehen ihre Positionen jeden Tag im Stechschritt. Wie einst die Grenzsoldaten in der DDR leisten sie ihren Dienst dort, wo nur ein paar Schritte genügen, um die Systemgrenze zu überqueren. Doch sollte einer von ihnen in den Süden fliehen wollen, würden ihn die anderen erschiessen.
Die südkoreanischen Gegenspieler der nordkoreanischen Grenzsoldaten tragen glänzende Helme und verspiegelte Sonnenbrillen – dies soll Blickduelle mit der gegnerischen Seite verhindern. Sie müssen überdies mindestens 1,73 Meter gross sein. Regungslos und unnahbar stehen die Uniformierten in einer Art von Taekwondo-Kampfstellung da; in der Tat gehört ein schwarzer Gürtel in Judo oder Taekwondo zu den Voraussetzungen für den Dienst an der Grenze in Panmunjom.
Panmunjom ist eine Sehenswürdigkeit für Touristen – und zwar für solche aus dem Süden wie aus dem Norden. Es ist zudem der einzige Ort in der DMZ, der von ausländischen Besuchern betreten werden darf. Jedes Jahr reisen rund 100'000 Touristen nach Panmunjom. Wer von Südkorea her kommt, muss vor dem Betreten der DMZ ein Formular unterschreiben, dass der Besuch dieses Feindgebiets auf eigene Gefahr erfolge. Zudem gelten strenge Kleidervorschriften, und die Besucher müssen sich genau an die Anweisungen der begleitenden Militärpersonen halten.
In Panmunjom können Touristen gewissermassen visumfrei einen Kurzausflug nach Nordkorea unternehmen: Die mittlere der drei blauen Grenzbaracken darf unter militärischer Aufsicht betreten werden – abwechselnd von Gruppen aus dem Süden und dem Norden. Die unsichtbare Grenze verläuft mitten durch den Raum; eine Tür führt nach Norden, eine nach Süden. Damit ist ein kurzer Grenzübertritt innerhalb des Raums möglich. In der Baracke treffen sich manchmal nord- und südkoreanische Delegationen, die dann am gleichen Tisch, aber in verschiedenen Staaten sitzen.
Wie einst an der innerdeutschen Grenze kommt es auch an der Grenze zwischen den beiden Korea zu manchmal tödlichen Zwischenfällen. 1976 wurden zwei US-Soldaten in der neutralen Zone bei Panmunjom von Nordkoreanern getötet, als sie einen Baum fällen wollten. Eine massive Grenzverletzung ereignete sich im April 1996, als mehrere hundert nordkoreanische Soldaten bei Panmunjom und an anderen Stellen in die DMZ eindrangen.
Auch Fluchtversuche enden zuweilen blutig. 1984 rannte ein Sowjetbürger in Panmunjom über die Grenze, worauf nordkoreanische Soldaten das Feuer auf ihn eröffneten. Südkoreanische Grenzwächter schossen zurück, drei Nordkoreaner und ein Südkoreaner starben bei der Schiesserei. Erst im November 2017 kam es wieder zu einer dramatischen Szene, als ein nordkoreanischer Soldat über die Grenze floh und dabei angeschossen wurde.
Der «furchteinflössendste Ort der Welt», wie der einstige US-Präsident Bill Clinton Panmunjom angeblich genannt hat, war in der Vergangenheit schon oft Schauplatz für die mediale Selbstinszenierung von Politikern. Clinton besuchte die Grenze 1993, ausser ihm kamen auch die US-Präsidenten Ronald Reagan, George W. Bush und Barack Obama jeweils nach Panmunjom. Hillary Clinton war als US-Aussenministerin 2010 dort, als sich der Beginn des Koreakrieges zum 60. Mal jährte.
Manche Politiker überschreiten die Grenze symbolisch vor den Kameras, um ihrer Botschaft Nachdruck zu verleihen. 2007 tat dies der damalige südkoreanische Präsident Roh Moo Hyun, der danach am gleichen Tag in Pjöngjang an einem Gipfeltreffen mit dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Il teilnahm. In der Schweiz wird man sich noch an den Grenzübertritt von Micheline Calm-Rey erinnern. Die Schweizer Aussenministerin überschritt die Grenzlinie im Mai 2003 als erste offizielle Vertreterin einer ausländischen Regierung. «Es war zwar nur ein kleiner Schritt», sagte Calmy-Rey damals, «aber ich hoffe, dass es sich für die Region um einen grossen Schritt in Richtung Frieden handelt.»