Würde überall so viel wiederverwertet werden wie in der Filmindustrie – die Erde hätte einige Probleme weniger. Alleine 2017 waren 17 der 20 kommerziell erfolgreichsten Filme Remakes, Adaptionen oder Fortsetzungen.
Eine neuzeitliche Erscheinung, die der Geldgier der Studios geschuldet ist. Wirklich? Blickt man nämlich in der US-amerikanischen Filmgeschichte zurück, wird schnell klar: Der heutige Wiederverwertungswahn ist nur die Steigerung dessen, was schon immer da war.
Zugegeben, heutzutage macht es den Anschein, als wäre der Anteil an originären Filmen verschwindend klein. Als originär (engl. Original) werden Filme bezeichnet, die nicht auf einer Vorlage basieren. Um das zu untermauern, kursieren im Internet unzählige Grafiken, die das verdeutlichen sollen.
Solche Grafiken nähren natürlich den Eindruck, dass Filmemacher früher noch kreativ waren, Mut hatten, etwas riskierten, während sie heute auf Altbewährtes setzen. Teilweise stimmt das auch. Doch wenn man ganz genau hinschaut, tritt schnell Ernüchterung ein. Denn oftmals basieren selbst von uns heissgeliebte Klassiker schlicht auf einer Vorlage.
«Ben Hur»? Ein Remake des Films «Ben Hur: A Tale of the Christ» von 1925. Der wiederum basiert auf einem stummen Kurzfilm von 1907. «Vom Winde verweht», der bis heute (inflationsbereinigt) kommerziell erfolgreichste Film, basiert auf einem Roman. Selbst Horror-Legende Alfred Hitchcock hat mit seinen Filmen meist Bücher adaptiert. Laut einer Legende soll Hitchcock zum Start von «Psycho» sogar alle verfügbaren Kopien der Romanvorlage aufgekauft haben, um das Ende des Films bis zu seiner Veröffentlichung geheim zu halten.
Überhaupt stellt sich die Frage, ab wann eine Filmgeschichte eigentlich als eigenständig gelten darf. Orson Welles soll sich für sein Meisterwerk «Citizen Kane» durch den Roman «Nach vielen Sommern» inspiriert haben lassen. Auch diente der damalige Medienmogul William Randolph Hearst als Vorbild für die Figur des Charles Foster Kane. Ist «Citizen Kane» – der bis heute als bester Film der Geschichte gilt – dann wirklich eine Original-Story oder sind das jetzt nur Spitzfindigkeiten?
Wühlt man sich durch die gesamte hollywoodsche Filmgeschichte, landet man irgendwann bei «A Fall of a Nation». Ein Film von 1916, der als erste bekannte Fortsetzung gilt. Schon damals wurde reisserisch mit «Sieben Teile voller nervenaufreibender Action und Power» geworben. Sucht man nach den ersten Remakes, muss man noch ein knappes Jahrzehnt weiter zurück.
Es war 1903 als Edwin S. Porter die Art und Weise, wie Filme gemacht werden, veränderte. Er war der Erste, der von der statischen Einzeleinstellung zu einer dynamischen Erzählweise mit Schnitt und einer sich bewegender Kamera wechselte. Heutzutage völlig normal, damals aber eine Sensation – und nur ein Jahr später kopiert.
Und im Vergleich zu heute war das sogar ein ziemlich dreistes Remake. Denn 1904 drehte Siegmund Lubin den Film praktisch eins zu eins nach. Sein Remake zeigte aber bereits Tendenzen auf, die heute völlig normal sind. Denn Lubin erzählte die Geschichte zwar fast gleich nach, stellte die Gewalt aber noch expliziter dar und versuchte auch den visuellen Stil zu verbessern. Sein Remake sollte moderner, effektvoller daherkommen.
Natürlich hatte dieser kurze Stummfilm noch wenig mit dem späteren Hollywood zu tun. Doch als sich in den 30er- und 40er-Jahren die glamouröse Welt von L.A. langsam herauskristallisierte, waren Remakes und Fortsetzungen schon ein fester Bestandteil im Filmbusiness.
Vor allem zu Beginn der 30er-Jahre, als der Tonfilm sich endlich durchsetzte, war dies eine wunderbare Begründung, um diverse Filme wieder neu aufzulegen. Auch die aufkommenden Farbfilme forderten die Neuinterpretationen alter Schwarz-Weiss-Filme.
Ein gutes Beispiel ist «Der Zauberer von Oz» von 1939. Heute ein Klassiker, damals ein Remake, bei dem modernste Filmtechnik zum Einsatz kam. Heute würde man so einen Film als Blockbuster bezeichnen. Und wenn man jetzt ganz böse sein will, könnte man den Streifen sogar Mainstream schimpfen. Denn er hatte für damalige Zeiten nicht nur ein unglaublich hohes Budget von inflationsbereinigten 48 Millionen Franken, sondern basierte auch auf einem äusserst beliebten Buch. So wurde «Der Zauberer von Oz» von damaligen Filmkritikern dann auch nicht unbedingt als hohe Filmkunst angesehen.
Graham Greene, ein bekannter Schrifsteller und Filmkritiker, schrieb damals, dass er den Film zwar ansprechend fände, darin aber nicht mehr als fröhliche Unterhaltung mit schönen Bildern sehe. Ein Vorwurf, der bei heutigen Mainstream-Filmen fast täglich fällt.
Solche Beispiele finden sich unzählige und beschränken sich nicht nur auf Remakes. «King Kong» von 1933 zog noch im gleichen Jahr eine Fortsetzung nach sich. Unglaubliche Welten und aufwändige Effekte waren schon damals das Rezept für kommerziell erfolgreiche Filme. Der Roman «Im Westen nichts Neues» von 1929 wurde nur ein Jahr später als Film adaptiert. Er gilt heute als herausragendes Beispiel eines Antikriegfilms.
Auf der Suche nach den Schuldigen für diese Unkreativität, fällt immer wieder ein Begriff: Hollywood. Was einmal nur einen Stadtteil beschrieben hat, ist zum Synonym für unkreative Autoren, Regisseure und Produzenten geworden. Doch eigentlich steht Hollywood vor allem für eines: Kapitalismus. Und darum muss Ende des Jahres eine schwarze Zahl im Milchbüchlein der Produzenten stehen. Und diese muss auch noch grösser sein als diejenige im vorherigen Jahr.
Studiobosse und Investoren geht es nicht darum, einen künstlerisch wertvollen Film zu schaffen. Für sie sind Filme ein Produkt. Sie investieren Geld und wollen eine möglichst hohe Rendite. Das ist an und für sich nichts Neues, doch scheint es in den letzten Jahrzehnten eine Veränderung gegeben zu haben. Vor allem seit den Nullerjahren setzen Studios immer mehr auf sichere Werte. Comic-Adaptionen, Fortsetzungen und Remakes spielen häufig auch Geld ein, wenn sie nicht so gut sind. Die Masse konsumiert, was sie kennt. Warum also etwas riskieren?
Gleichzeitig hat dieser Entscheid ein weiteres Problem hervorgebracht, das schlussendlich noch zu mehr filmischem Einheitsbrei führt. Filme werden illegal heruntergeladen. Früher oft noch, um Geld zu sparen, lautet die Begründung heute meist «Weil ich kein Geld für so einen Mist ausgeben will». Folglich schrumpfen die Zuschauerzahlen im Kino und damit auch die Einkünfte.
Die Konsequenz: Die Studios produzieren keine Risikofilme mehr, denn es gehen ja auch so schon zu wenig Leute ins Kino. Stattdessen muss ein möglichst breites Publikum angesprochen werden. Das schlägt sich auch auf den Inhalt nieder: Geschichten werden verharmlost, um eine tiefe Altersfreigabe zu erhalten. Und die Drehbuchautoren und Regisseure müssen dann schauen, wie sie damit klar kommen.
Regisseur Christopher Nolan hat bereits sehr früh erkannt, wie Hollywood funktioniert. Sein Film «Dunkirk» ist einer von drei Originals, die es 2017 in die Top 20 der umsatzstärksten Filme geschafft haben. Dabei war Nolans Herzensprojekt noch vor einem Jahrzehnt nur Wunschdenken. Im Haifischbecken Hollywood hat Nolan schnell gelernt, dass ein paar gute Independent-Filme nicht als Referenz ausreichen, um einen Big-Budget-Film wie «Dunkirk» verwirklichen zu können. Also hat er ein paar Jahre nach den Regeln von Hollywood gespielt. Er hat mit der «Batman»-Trilogie das Superhelden-Genre geprägt und ist mit «Inception» und «Interstellar» definitiv zum Starregisseur aufgestiegen. Nun kann er tun und lassen, was er will. Doch das ist nur den wenigsten Filmemachern vergönnt.
In dieser ganzen scheinbar endlosen Flut an immer gleichen Blockbustern gibt es dennoch den einen oder anderen Lichtblick. Denn zwischen all den mächtigen Megaproduktionen tun sich immer wieder kleinere Filme hervor, die mit neuen Ansätzen auftrumpfen. Hier versuchen sich kleine Studios, die erst gar kein Budget für CGI-lastige Blockbuster haben, durch originelle Geschichten abzuheben.
Doch auch im Geschäft der millionenschweren Filmproduktionen kündigt sich eine Verschiebung an. Streamingdienste wie Netflix, Amazon oder Hulu experimentieren immer mehr mit originären Filmprojekten, um sich von der Masse abzuheben. Dazu lassen sie ihren Regisseuren oft sehr viel kreativen Freiraum.
Zuletzt hat das Netflix mit der 90-Millionen-Dollar-Produktion «Bright» versucht. Der Film, welcher eine Polizeigeschichte mit Fantasy-Elementen mischt, fiel zwar bei den Kritikern komplett durch, hat aber wenigstens den Mut, eine Geschichte zu erzählen, die so wohl nie bei einem grossen Hollywood-Studio produziert worden wäre. Dass es schlussendlich aber auch Netflix und Co. nicht wirklich um das Schaffen neuer, origineller Stoffe geht, sondern um das Geld, zeigt, dass bereits eine Fortsetzung zu «Bright» bestellt wurde.