Das Tor zum KZ Buchenwald, wo mehr als 55'000 Menschen getötet wurden. Bild: EPA
Wie Facebook Holocaust-Leugnung und Hetze gegen Flüchtlinge toleriert
Recherchen der «Süddeutschen Zeitung» zeigen, wie Facebook seine eigenen Regeln macht. Wenn sich niemand beschwert, geht die Meinungsfreiheit vor. Selbst wenn es um den Genozid an den Juden geht.
Man kann über viele Dinge geteilter Meinung sein. Aber nicht über den Holocaust. Oder doch?
Die Nazis töteten mehr als sechs Millionen Juden bis die Alliierten 1945 die systematische Vernichtung stoppten.
Im Mai 1945 mussten deutsche SS-Männer im Konzentrationslager Belsen ihre Opfer wegtragen.Bild: EPA
Wer den Genozid an den europäischen Juden leugnet, macht sich in der Schweiz und weiteren Ländern strafbar.
Doch Facebook blockiert entsprechende Inhalte nur in Deutschland, Israel, Frankreich und Österreich. Dies geht aus internen Dokumenten hervor, die der «Guardian» veröffentlicht hat.
Die Facebook Files zeigen die gewaltigen Probleme, mit denen der Social-Media-Koloss kämpft. Die Online-Plattform hat fast zwei Milliarden User und richtet sich an ein globales Publikum, muss aber nationales Recht berücksichtigen.
«Wir respektieren regionale Gesetze, wenn die Regierung deutlich gemacht hat, dass sie deren Umsetzung nachgeht.»
Facebook intern
Sicher ist: Facebook setzt gesetzliche Bestimmungen nicht proaktiv durch. Missstände werden in der Regel nur beseitigt, wenn sich User beschweren («Beitrag melden!»).
Dann entscheiden die Content-Moderatoren anhand eines komplexen internen Regelwerks, ob beanstandete Postings toleriert, regional blockiert oder ganz gelöscht werden.
Was erlaubt ist, kann von Land zu Land variieren. Facebook behilft sich mit so genanntem Geo Blocking. Das heisst, dass die IP-Adresse des Facebook-Users herangezogen wird, um zu entscheiden, ob der beanstandete Inhalt blockiert wird.
Laut diesem Facebook-Dokument ist Holocaustleugnung in 14 Ländern verboten, das Unternehmen habe die Zahl aber auf Nachfrage dementiert, schreibt die «Süddeutsche».screenshot: guardian
Wenn ein deutscher Facebook-User (bzw. ein Gerät mit deutscher IP-Adresse) ein Posting meldet, das den Holocaust leugnet oder verharmlost, wird der Beitrag regional blockiert. Wenn es ein Schweizer tut, wird hingegen nichts unternommen.
Journalisten der «Süddeutschen Zeitung» konnten die geleakten internen Schulungsunterlagen ebenfalls einsehen. In einem aktuellen Bericht zitieren sie aus einer Fussnote:
«Wir respektieren lokale Gesetze, heissen diese aber nicht gut, wenn sie ein Hemmnis für eine offene und vernetzte Welt darstellen.»
Facebook
Und weiter: Facebook werde Inhalte nicht entfernen, bis ein Land den politischen Willen nachgewiesen habe, «nationale Zensurgesetze durchzusetzen». Und falls die zuständigen Regierungen oder Strafverfolgungsbehörden dies versäumten, weigere sich Facebook, das Recht in ihrem Auftrag durchsetzen.
Meinungsfreiheit über allem anderen?
«Hate Speech» bei Facebook – was toleriert wird, und was nicht
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«Hate Speech» bei Facebook – was toleriert wird, und was nicht
Dürfen Facebook-Nutzer «Asylanten raus» fordern und Flüchtlinge als «faule Räuber und Diebe» bezeichnen, «die unser Land überschwemmen»? Die Antwort lautet ...
quelle: epa/epa / koca sulejmanovic
Fakt ist: Facebook reagiert auf Druck, sei dieser politischer, wirtschaftlicher oder juristischer Art. Ohne Druck geht nichts.
Die «Süddeutsche Zeitung» konstatiert:
«Sofern der politische Druck gross genug ist, kooperiert Facebook durchaus mit Regierungen – selbst wenn die geforderten Zensurpraktiken mindestens fragwürdig sind. So beugte sich das Unternehmen etwa mehrfach der Königsfamilie in Thailand, zensierte angeblich blasphemische Inhalte in Pakistan, die Facebook-Seite des russischen Putin-Kritikers Alexej Nawalny und anderer Oppositioneller und entfernte Seiten von syrischen, tibetischen und chinesischen Dissidenten. Und angeblich entwickelt es ein eigenes Zensur-Werkzeug, um wieder Zugang zum chinesischen Markt zu erhalten.»
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Die beliebtesten Kommentare
koks
25.05.2017 16:32registriert August 2015
holocaust-leugnung ist das eine und soll geahndet werden.
aber kritik an der flüchtlingspolitik? wir leben in einer demokratie, da soll freie meinungsäusserung gelten, und nicht eine bevormundung einer meinungspolizei wie in totalitären staaten.
Erstens hat die Holocaust-Leugnung ein anderes Kaliber als die sog. "Flüchtlingshetze" gegen die mehrheitlichen Wirtschaftsmigranten in Europa.
Zweitens muss man Facebook insofern realistische Verhaltensstrukturen zubilligen, als dass es bei täglich zig Millionen Meldungen, die auch ganz private Postings miteinschliessen, schlicht UNMÖGLICH sein wird, da jede Zeile zu gewichten und eine Totalkontrolle einzuführen.
Letzteres wäre selbst bei hunderten, wenn nicht tausenden von zensurierenden Mitarbeitern völlig ausgeschlossen. Dies zur Faktenlage.
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