Als Digital-Journalist beschäftige ich mich mit Massenüberwachung, berichte über Datenkraken und Big-Brother-Technik.
Als Familienvater verspüre ich aber auch das Bedürfnis, meine Liebsten und unser Zuhause zu schützen.
Ausserdem interessiere ich mich für Heimautomatisierung – selbst wenn es noch ein weiter Weg ist bis zu einem wirklich schlauen «Smart Home».
Damit sind wir bei Arlo Pro, dem «Heimsicherungssystem» aus dem Hause Netgear.* Ende 2016 lanciert und seit diesem Frühjahr in der Schweiz erhältlich, handelt es sich laut Hersteller um die weltweit erste 100 Prozent kabellose HD-Sicherheitskamera, die auch noch wetterfest und wiederaufladbar ist und einen Kamerawinkel von 130 Grad bietet.
* Netgear stellt dem Redaktor Arlo Pro kostenlos zur Verfügung.
Für mich ist es der Einstieg in die praktischen Aspekte der Videoüberwachung und die erste Sicherheitskamera, die ich im privaten Umfeld einsetze. Ein Schritt, den ich mit allen Familienmitgliedern (zumindest den zweibeinigen) besprochen habe.
Ausgerechnet Netgear, wenden kritische Leser ein und erinnern sich an die Snowden-Enthüllungen und den Router-Backdoor-Skandal, der 2014 das Vertrauen in die US-Hersteller erschütterte. Und was ist eigentlich mit dem Datenschutz?
Dazu später mehr. Doch zunächst der Überblick...
Zum Lieferumfang des Starter-Pakets (1 Kamera, 1 Basisstation, im Online-Handel zurzeit ab 320 Franken) gehört eine Magnet-Halterung, die man mit den mitgelieferten Schrauben an der Wand befestigt. Dann lässt sich die Kamera auf die metallische Halbkugel «poppen» und hält dort sturmsicher. Um sie auszurichten, bietet die App einen «Positionsmodus».
Arlo Pro überzeugt mich beim Auspacken durch nahezu perfekte Verarbeitung und gefällt mit seinen Rundungen.
In den eigenen vier Wänden, an einer weissen Wand, fällt Arlo den meisten Besuchern erst auf, als ich sie darauf hinweise. Einige hielten sie auf den ersten Blick für einen Lautsprecher.
Die Basisstation ist deutlich grösser und ebenfalls in weissem Kunststoff gehalten. Meine erste Reaktion: Nicht unbedingt ein «Möbel», das die Stube verschönert. Aber ...
An die zwei USB-2.0-Ausgänge der Basisstation kann man SSD-Festplatten oder andere Speichermedien «anhängen», um Videoaufnahmen lokal zu sichern. Der Haken: Die lokale Speicherung kann «nicht allein als Ersatz für die Aufzeichnung in der Cloud verwendet werden», wie Netgear festhält.
Das ist aus Schweizer Sicht problematisch, weil die Datenspeicherung auf ausländischen Servern unter Umständen gegen die hiesige Gesetzgebung verstösst. Siehe Punkt 6.
Wenn es ums Einrichten und die Inbetriebnahme neuer Geräte geht, gibt es zwei Sorten von Menschen: Waghalsige («Ich lege spontan los, wird schon schiefgehen») und Vorsichtige («Ich studiere immer die Anleitung»).
Egal zu welcher Sorte man gehört, mit Arlo Pro kommt es gut. Wie von Netgear versprochen, bin ich in weniger als 15 Minuten fertig. Oder genauer: Das System ist am Netz und läuft.
Die Feinjustierung von Hardware und Software nimmt man am PC oder mit der Smartphone-App des Herstellers vor. Die Arlo-App gibt's gratis für Smartphones und Tablets, die mit den beiden wichtigsten Systemen Android und iOS (Apple) laufen.
Die Arlo-App (fürs iPhone und iPad) ist erfreulich schlicht gehalten und erhält während meines mehrwöchigen Tests ein grösseres Update (unter anderem fürs Geofencing).
Die meisten Funktionen sind selbsterklärend. Ich war beim Einrichten tatsächlich nie gezwungen, die Online-Hilfe zu konsultieren. Bei Problemen gibt es ein aktives Support-Forum, respektive die Arlo-Community, auf Deutsch und Englisch.
Das Home-Security-System bietet vier Modi, wobei man dank Geofencing festlegen kann, dass die Überwachungskamera nach dem Verlassen eines gewissen Radius automatisch scharf geschaltet wird. Und wenn man (mit dem Smartphone) heimkehrt, schaltet das System zuverlässig wieder auf Home-Betrieb, so dass man sich nicht um das Deaktivieren der Alarmanlage kümmern muss. Fehlalarme strapazieren die Nerven!
Die Web-Oberfläche (https://arlo.netgear.com) ist im selben schlichten Design gehalten und bietet die gleichen Funktionen. Unschön: Um Videoaufnahmen streamen zu können, muss das Browser-Plugin des Flash-Players installiert sein.
Die Software kann ich insgesamt als benutzerfreundlich bezeichnen, doch bei der Datensicherheit gibt's massiv Abzug: Benutzername und Passwort genügen, um sich einzuloggen. Angesichts der sensiblen Daten und des Missbrauchspotenzials (Angreifer könnten sogar live beobachten, was läuft) müsste meiner Meinung nach zwingend eine Zwei-Faktor-Authentifizierung (2FA) implementiert werden. Hier muss Netgear nachbessern!
Wobei nicht als Entschuldigung her halten kann, dass auch andere bekannte Hersteller bislang auf entsprechende Sicherheitsmechanismen verzichten. Braucht es zuerst einen medienwirksamen Missbrauchsfall, bis die Logins wirksam geschützt werden?
Arlo Pro funktioniert drinnen und draussen – und das auch bei widrigsten westeuropäischen Wetterbedingungen. Laut Hersteller läuft sie auch bei tiefen Minusgraden (maximal -20 Grad Celsius), die Kälte saugt allerdings ziemlich intensiv am Akku.
Regen kann der Kamera nichts anhaben, wie ausgerechnet der Wonnemonat Mai in meinem Test beweist. Laut Hersteller ist das Gehäuse wasserfest (IP65), man könnte Arlo also auch in der Dusche positionieren, wovon ich aber dringend abrate!
Die Sicherheitskamera kann im Akkubetrieb irgendwo in den eigenen vier Wänden oder draussen (auf dem eigenen Grundstück) platziert werden. Wenn man die Kamera in der Nähe einer Steckdose (bis 1,5 Meter) platziert, kann man sie kontinuierlich über das Netzteil mit Strom versorgen.
Dritte Variante: Man nutzt das externe Ladegerät von Netgear, mit Schnelllade-Funktion (Qualcomm Quick Charge), das bis zu zwei Akkus gleichzeitig auflädt. Es muss allerdings separat gekauft werden. Kostenpunkt: um die 80 Franken.
Die Videokamera erkennt automatisch Bewegungen auf bis zu 7 Meter Entfernung und erfasst dank Mikrofon auch Geräusche, wobei sich die Sensor-Empfindlichkeit anpassen lässt.
Einbrecher und andere unerwünschte menschliche Eindringlinge werden erkannt und lassen sich durch die laute Alarmsirene, die in die Basisstation integriert ist, in die Flucht schlagen.
Man kann mit dem System auch:
Keep an eye on your Paw-fessional cleaner to make sure everything is tidy before you get home. #NationalPuppyDay https://t.co/IkSGbVPlvx pic.twitter.com/3nqgTlGRxK
— Arlo Smart Home (@ArloSmartHome) 23. März 2017
Was wäre das Internet ohne Amateur-Videos? Und wir sprechen jetzt nicht von YouPorn und Co. 😉
Das Problem bei – zugegeben oft witzigen — Überwachungsvideos mit Zweibeinern: Sie können juristische Probleme verursachen. Dritte ohne Einwilligung zu filmen und die Aufnahmen später bei YouTube und Co. zu veröffentlichen, ist nicht nur ein gefundenes Fressen für Anwälte, sondern auch ethisch fragwürdig. Der Internet-Pranger ist für alle Beteiligten riskant.
Hier gilt festzuhalten, dass die private Videoüberwachung nicht einfach aus reinem Jux betrieben werden kann. Dritte müssen sich damit einverstanden erklären, gefilmt zu werden. Und das Aufzeichnen von Gesprächen ist juristisch sehr heikel.
Der zweite wichtige Punkt ist die Speicherung der Überwachungsaufnahmen in der Cloud. Rechtsanwalt Martin Steiger erklärte uns im FAQ (oben), dass insbesondere die Speicherung in US-amerikanischen Rechenzentren problematisch sei.
Ich habe bei Netgear nachgefragt, leider wollte das Unternehmen keine Stellungnahme dazu abgeben. Über die zuständige PR-Agentur wurde mir immerhin ausgerichtet, dass die Server, die die Arlo-Aufnahmen speichern, in Irland stünden.
Zum Datenschutz gibt dieses Support-Dokument Auskunft.
Im mehrwöchigen Test haben sich Hardware und Software bewährt, es gab keine nennenswerten Pannen. Das Design ist ansprechend und die App funktionierte relativ gut. Wobei die Videostreams manchmal nicht sofort angezeigt wurden. Dann genügte es, die App «abzuschiessen» und neu zu öffnen.
Für Smart-Home-Bastler dürfte die Geschlossenheit des Sicherheitssystems ein gewichtiger Nachteil sein. So konnte ich die Sicherheitskameras leider nicht in mein Heimautomatisierungs-Netzwerk von Devolo (Home Control) einbinden. Der Bericht zu dieser preisgünstigen Lösung, die alle möglichen Sensoren und Steuerungen beinhaltet, folgt schon bald bei watson.
Arlo-Pro-Kameras sind nur mit folgenden Plattformen kompatibel:
Wer hingegen nur eine einfach zu betreibende Sicherheitskamera sucht, kann Arlo Pro ins Auge fassen. Der Problematik der Cloud-Speicherung sollte man sich allerdings bewusst sein.
Das Einsteigerset (mit einer Kamera und Basisstation) gibt es zurzeit bei Schweizer Online-Händlern für ca. 330 Franken.
Je nachdem kommen monatliche Kosten für das Speicherabo dazu. Videos, die durch Bewegung oder Geräusche ausgelöst werden, werden sieben Tage kostenlos in der Netgear-Cloud gespeichert. Man kann bis zu fünf Arlo-Kameras mit dem Account verbinden und steuern, ohne dass Zusatzkosten anfallen. Wobei der Speicherplatz auf ein (1) Gigabyte (GB) begrenzt ist.
Wer die Aufnahmen länger (auf den Netgear-Servern) speichern möchte und/oder mehr Speicherplatz benötigt, muss ein kostenpflichtiges Abo lösen. Ab 9 Euro pro Monat.
Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist aus meiner Sicht ok, auch wenn dieses Jahr neue (und günstigere) Herausforderer auf den Markt kommen, wie zum Beispiel Circle 2 von Logitech.
Netgear will die Arlo-Sicherheitskameras durch neue Software-Funktionen aufrüsten – geplant sind weitreichende Neuerungen. Noch 2017 soll eine «intelligente Bewegungserkennung» (per Update) kommen. Dann sei das System in der Lage, wichtige von unwichtigen Ereignissen zu unterscheiden.
So soll automatisch erkannt werden, ob ein Mensch oder Haustier vor der Kamera vorbeiläuft. Dadurch liesse sich die Zahl der unnötigen Alarmierungen massiv senken.
Dank neuem Zubehör, wie zum Beispiel dem Solar-Panel und einem LTE-Modem, kann das Sicherheitssystem zukünftig auch bei Strom- und Internet-Ausfall für gewisse Zeit weiterlaufen. Wobei es eine autonome Stromversorgung (Hausbatterie) braucht, und die Verbindung zum Netgear-Server über die LTE-Verbindung klappt natürlich nur, wenn das Handy-Netz läuft.