Das Space-MMO «EVE Online» hat schon oft Schlagzeilen geschrieben. Am 4. Februar 2021 etwa duellierten sich mehr als 5000 Teilnehmer in einer gigantischen, knapp 14-stündigen Schlacht, bei der von Nutzern gebaute Raumschiffe im Wert von 378'012 Dollar vernichtet wurden. Eine immense Summe und damit laut Guiness Buch der Rekorde das «kostspieligste Computerspiel-Gefecht» aller Zeiten.
Dass «EVE Online» auch in Zukunft das Zeug hat, Rekorde zu brechen, davon wollte der isländische Entwickler CCP Games die eingeschworene Fangemeinde Anfang Mai auf dem EVE Fanfest 2022 überzeugen.
Das Besondere diesmal: Nachdem man sich im Jahr 2019 für eine «World Tour» mit Stopps an acht verschiedenen Orten entschieden hatte und die Corona-Pandemie den Fanfest-Plänen 2020 und 2021 einen dicken Strich durch die Rechnung machte, kehrte der Kult-Event 2022 nach vier Jahren Abwesenheit endlich wieder in Islands Hauptstadt Reykjavík zurück.
Entsprechend euphorisch war auch das Publikum vor Ort, als CCP-Chef Hilmar Veigar Pétursson am ersten Event-Tag auf die Bühne der Mehrzweckarena Laugardalshöll trat und skizzierte, wie das mittlerweile knapp 150 Mitarbeiter:innen starke Studio seinen Langzeit-Hit fit machen möchte für das dritte Jahrzehnt.
Bevor Pétursson aus dem Nähkästchen plauderte, verwies er jedoch zunächst einmal stolz auf den bevorstehenden 25. Geburtstag des Unternehmens im Juni und betonte die Zähigkeit von Islands grösstem Games-Entwickler, der 2018 für 425 Millionen Dollar an den südkoreanischen Publisher Pearl Abyss angegliedert wurde: «CCP wird manchmal die ‹Kakerlake› der Spieleindustrie genannt. Nichts kann uns töten!» Ob der bärtige Isländer mit dieser Aussage Recht behält, bleibt freilich abzuwarten. Die auf dem EVE Fanfest 2022 präsentierten Zukunftspläne des Studios wirken jedoch in jedem Fall ambitioniert.
Ganz oben auf der Agenda steht dabei die Absicht, viele neue Spieler ins Boot zu holen. Letzteres hat bereits während der Pandemie gut geklappt und soll ab Herbst 2022 durch die Einbindung weiterer, umfangreicher Tutorial-Abschnitte mit eigenem Story-Strang weiter forciert werden.
Um das nicht selten als Komplexitätsmonster bezeichnete «EVE Online» zugänglicher zu machen, schrauben die Macher derzeit zudem mit Hochdruck am AIR Career Programm – einer jederzeit abrufbaren Hilfeansicht, die Grünschnäbeln auf einen Blick mögliche Karrierepfade innerhalb des Spiels aufzeigt, sinnvolle Tätigkeiten vorschlägt, Tipps gibt und vieles mehr.
Flankiert werden soll all das von umfangreichen Balance-Anpassungen, einer überarbeiteten Benutzeroberfläche, einem Excel-Plugin (das vor Ort besonders viel Applaus von EVE-Veteranen erntete), vielen grafischen Verbesserungen, deutlich mehr Individualisierungsoptionen für Raumschiffe, neuen Fraktionskriege-Mechaniken und der Ergänzung einer Sprachversion für die spanisch sprechende Community.
Um langjährige Fans bei der Stange zu halten, will man sich zudem endgültig von vierteljährlichen Inhalts-Updates (sogenannten Quadrants) verabschieden und sich ab dem vierten Quartal 2022 vermehrt auf sogenannte «Arcs» konzentrieren. Gemeint sind dynamische Ingame-Geschichten, die laut CCP Games bewusst so konzipiert wurden, dass sie grosse Umwälzungen innerhalb der Welt von New Eden herbeiführen.
Noch konkreter formuliert: Der Ausgang solcher Geschichten soll in erster Linie von den Aktionen der Spieler abhängen. Gelingt es einer Fraktion also beispielsweise nicht, ein übergreifendes Missionsziel zu erreichen, passen die Entwickler den Verlauf der Story entsprechend an und lenken den Plot in eine gänzlich andere Richtung.
Doch auch abseits der bevorstehenden Evolution von «EVE Online» hatte CCP zahlreiche Neuigkeiten im Gepäck. So liess Pétursson unter anderem durchsickern, dass die Londoner Zweigstelle derzeit an einem «Online-First-Person-Taktik-Shooter mit atmosphärischer Grafik» werkelt und bei CCP Shanghai ein 4X-Strategiespiel für den Mobile-Gaming-Markt heranreift, Codename «Project M5».
Die Fans nahmen beide Ankündigungen wohlwollend auf, zeigten sich allerdings auch ein stückweit enttäuscht, dass keiner der beiden Titel in Aktion präsentiert wurde – geschweige denn in irgendeiner Form spielbar war.
Von solchen Dämpfern mal abgesehen war die Stimmung vor Ort jedoch blendend und der «Wir sind eine Gemeinschaft»-Spirit der Community überall zu spüren.
Stichwort Community: Kurz nach der Keynote kam EVE-Online-Enthusiast Scott Manley auf die Bühne und erklärte in einer charmanten Präsentation, wie das Weltraum-MMO der Isländer seinen Aufstieg zum YouTube-Star mit heute mehr als 1.42 Millionen Abonnenten massgeblich prägte.
Zitat Manley: «Damals, 2008, lief eine TV-Kampagne während der Ausstrahlung von Battlestar Galactica. Ich war sofort Feuer und Flamme und nahm mir vor, zu lernen wie dieses Spiel funktioniert.» Der Startschuss seiner bis heute anhaltenden YouTube-Karriere erfolgte allerdings erst ein Jahr später, als Manley ein Video postete, das seine 4-jährige Tochter beim Spielen von «EVE Online» zeigt.
Drei Jahre später ging dann Manleys mit dem in Windows Movie Maker zusammengeschusterten «EVE Online Beginners Guide» online, knackte die Marke von 1.7 Millionen Views und bescherte dem MMO in Rekordzeit mehrere Tausend neue Spieler. Wohl auch deshalb revanchierte sich CCP Games in diesem Jahr mit einer Fanfest-Einladung.
Abseits von Manley, der sich seit 2018 verstärkt auf Videos zur realen Raumfahrt konzentriert, war natürlich noch jede Menge weitere EVE-Prominenz vor Ort. Allen voran Charles White, vielen besser bekannt als der Weltraum-Papst. Die bewegte Geschichte des Nasa-Mitarbeiters, der irgendwann zur EVE-Online-Berühmtheit wurde und auf dem Fanfest in der Vergangenheit sogar schon Paare verheiratet hat, wird übrigens im hier eingebundenen Video zusammengefasst.
Weitere Highlights des diesjährigen Fanfests waren gesellige Entwickler-Talks, ein Beauty-Saloon, um sich EVE-typisch umzustylen, eine Bühnen-Quizshow im 80er-Jahre-Stil, die von vielen Tanzwütigen besuchte «Party at the Top of the World» sowie der berühmt-berüchtigte Pub Crawl.
Bei Letzterem teilten sich die Anwesenden in verschiedene Gruppen auf, die dann – jeweils angeführt von einem CCP-Mitarbeiter – gemeinsam durch Reykjaviks kunterbunte Kneipenviertel zogen. Ein feuchtfröhliches Vergnügen, das viele der knapp 750 anwesenden Fans trotz teils schwindelerregender Bierpreise bis in die Morgenstunden voll auskosteten.
Und auch nächstes Jahr werden sie vermutlich wieder in Scharen antreten, denn auch für 2023 ist ein Fanfest schon so gut wie sicher, zum 20-jährigen Jubiläum des Spiels.