Eine der Kehrseiten des Erfolgs von Elektrofahrzeugen ist das Verschwinden dessen, was wir Autoenthusiasten gerne als «a driver's car» bezeichnen. Ein Auto, bei dem das unverfälschte Fahrerlebnis im Zentrum steht. Konkret bedeutet das meist: flinkes Kurvenfahren, bei dem Fahrer oder Fahrerin eine möglichst direkte Verbindung zu Chassis und Rädern spürt. Und dies ist nur möglich bei einem Gefährt mit möglichst wenig Gewicht.
Klar, für den Alltag lieben wir alle unsere Driver Assists, unsere Voice Controls, Spurhalteassistenzen, Abstandsautomatik und Konsorten. Und für die nervige Pendlerstrecke mögen wir eine einigermassen geräumige Fahrerkabine. Jaja. Aber richtiges «Autofahren» ist das nicht.
Für den richtigen Spass am Fahren benötigt ein Auto ein Gewicht um die 1000 Kilo und ein gutes Fahrwerk.
Bloss sind solche Autos seit geraumer Zeit selten geworden. Und mit der Verbreitung von Elektroautos noch mehr. Denn EVs sind vor allem eines: schwer.
Sau. Tonnen. Schwer.
Und so erstaunt es nicht, dass die Gattung des leichtgewichtigen Sportwagens am Aussterben scheint, gerade im EV-Bereich. Ja, es gibt den MG Cyberster, das sich als «Rückkehr einer Ikone» feiert. Doch der bringt fast zwei Tonnen auf die Waage – ziemlich genau das Doppelte des MGB, genau jener Ikone, der er angeblich nachzufolgen vorgibt. Hey, selbst Lotus – quasi die Versinnbildlichung leichter, wendiger Sportwagen – bietet heute mit dem Eletre-Stromer ein SUV-Ungetüm an.
Mit dem Niedergang des Verbrenners verschwindet auch der Spass am Autofahren, also?
Nein.
Wir präsentieren: Longbow – zwei vollelektrische Sportwagen aus Grossbritannien, entwickelt von einigen klugen Köpfen, die bereits Tesla, Polestar, Lucid, Uber und BYD auf den Weg gebracht haben. Und ebendiese Ingenieure wollen der Welt der Elektroautos endlich einen richtigen Sportwagen bescheren.
Der Speedster (der ohne Dach oder Windschutzscheibe) soll als Erster erhältlich sein: 150 Exemplare, nur 895 kg Gewicht und 440 Kilometer Reichweite für umgerechnet 97'000 Franken. Er besitzt Hinterradantrieb (wie ein richtiger Sportwagen – danke!) und soll in 3,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigen.
Und für die verweichlichten Memmen unter uns, die Luxus-Schnickschnack wie etwa *Frontscheiben* benötigen, gibt es den Roadster – ein zweitüriges, zweisitziges Coupé mit festem Dach, das zwar knapp 100 kg schwerer ist, aber immer noch die 0-100 in 3,6 Sekunden schafft, 450 Kilometer Reichweite hat und 74'000 Franken kosten soll. Ausserdem wurde der Roadster bewusst so benamst, um Elon Musk eins auszuwischen – aber dazu später mehr.
Hinter Longbow Motors stehen die Ingenieure Daniel Davy und Mark Tapscott, die sich nach erfolgreichen Karrieren in der EV- und Tech-Branche entschlossen, ein Unternehmen für elektrische Sportwagen zu gründen – schlicht, weil sie sich nervten, dass sich sonst noch niemand die Mühe gemacht hatte. O-Ton Mark Tapscott, selbst ehemaliger Lotus-Ingenieur, gegenüber dem Automagazin Top Gear: «Das ist das Auto, das die Chinesen Lotus nicht bauen lassen wollen.»
Geplant sind 2170 leichtgewichtige NMC-Zellen, die einen 325-PS-Motor antreiben. Das Design ist modular und auf Austauschbarkeit ausgerichtet. Allfälliger Wechsel von Motoren, Batteriechemie oder der Stromversorgung erfordert keinen grundlegenden Neuaufbau. Longbow ist auch nicht verlegen, darauf hinzuweisen, dass Dinge wie Lichter und Spiegel aus bestehenden Komponenten anderer Hersteller stammen. Denn es ist erschreckend einfach, ein paar Millionen für die Entwicklung einer Scheinwerfereinheit auszugeben, die dem Kunden letztlich egal ist und das Auto am Ende auch nicht schöner fahren lässt.
Besagtes Fahren wird ebenfalls bewusst unfiltriert und einfach gehalten (nochmals, Stichwort «driver's car»). Ja, es gibt eine elektronische Servolenkung und ABS, aber nichts da etwa mit seltsamen Fake-Motoren-Soundtracks à la Mercedes oder Dodge. Hier geht es um das Handling und das reine, unverfälschte Fahrerlebnis.
Die grosse Herausforderung besteht nun darin, einen komplett neuen Sportwagen-Brand aufzubauen, bevor es einen EV-Ersatz für den Alpine A110 und den Lotus Emira gibt und bevor Porsche seinen kontroversen elektrischen 718 Boxster und Cayman anbieten kann. Longbow behauptet, dass der fertige Prototyp im kommenden Sommer da sein wird, und erste Serienmodelle bereits im nächsten Jahr bei den Erstbestellern sein werden.
Das wirft natürlich die Frage auf: echt, jetzt? Klappt das?
Denn, wenn es darum geht, neue Elektroauto-Brands zu lancieren, sind schon etliche Konstrukteure unterwegs auf die Nase gefallen (oder hat irgendwer in letzter Zeit wieder mal was von Alpha gehört? Canoo?). Und eine noch grössere Anzahl britischer Sportwagenmanufakturen sind trotz ihrer wunderbaren Fahrmaschinen in die Bedeutungslosigkeit getaucht (Jensen, irgendwer? Marcos? Bristol? TVR?).
Nun, mit Longbow könnte es tatsächlich klappen. Die Menschen hinter der Marke sind solche, die das schon mal zustande gebracht haben; Leute, die schon einige Male Elektroautos lanciert haben, in verschiedenen Unternehmen und auf verschiedenen Kontinenten – Tesla, Lucid, Polestar, chinesische Hersteller. Und das modulare Design ermöglicht es Longbow, sich nicht auf einen einzigen Zulieferer verlassen zu müssen. Longbow-Autos können eine ganze Reihe verschiedener Batterien verwenden, sollte es zu Lieferengpässen kommen.
Daumen drücken, also!
Übrigens: der Name? Nun, «Longbow» (=Langbogen) sei eine «Anspielung auf die Symbiose zwischen einem Bogenschützen und seiner Waffe». Wetten, dass die da irgendwann eine «Agincourt Edition» auf den Markt bringen werden?
Ach ja, und die Sache mit dem «Roadster»? Nun, das ist ein klarer Seitenhieb gegen MAGA-Fanboy Elon. Gerne geht vergessen, dass der erste kommerziell erhältliche Tesla der von 2008 bis 2012 gebaute Roadster war, der im Endeffekt ein elektrifizierter Lotus Elise (er wurde sogar von Lotus in Norfolk gefertigt) und somit tatsächlich ein echter EV-Sportwagen war. Der Nachfolger Roadster MkII wurde 2017 angekündigt, aber seither in klassischer Musk-Manier derart verzögert, dass sich Kunden fragen, wie sie ihre Anzahlungen zurückfordern können. «Und so beschlossen wir, dass wir der erste elektrische Roadster sein werden, der auf den ursprünglichen Tesla Roadster folgt», so Davy gegenüber Top Gear. «Wenn die Leute ihre 50'000 Dollar Anzahlung für ein Auto aus dem Jahr 2017 zurückbekommen und in ein besseres Auto investieren wollen, dann können sie das gerne bei uns tun. Denn unser Roadster wird als Erster auf die Strasse kommen.»