Beschäftigt man sich – wie ich das tue – mit Autos, entwickeln sich über die Jahre unweigerlich starke Meinungen zum Thema. Manche erworbene Ansichten decken sich dabei mit dem Konsens. Manche aber ganz und gar nicht – und man fühlt sich wie ein Rufer in der Wildnis, der hilflos gegen den Strom der allgemeinen Meinung ankämpfen muss – eine allgemeine Meinung, die ja sowas von eindeutig falsch ist (😉). Beispiele gefällig? Bitte sehr:
Und nicht mehr als 1200 Kilo wiegt. Alles andere ist verweichlichter GT-Mainstream und Komfort-Geschwabbel. Sogenanntes Sportwagen-Feeling beruht auf geringem Gewicht und hyperaktiver Bedienung der manuellen Schaltung. Nein, nicht jene frickeligen Lenkrad-Schaltwippen und schon gar kein Automat – auch wenn diese bekanntlich schneller und effizienter schalten und somit die Beschleunigung optimieren. Letzteres Argument ist sowieso hinfällig, da jede Elektro-Familienkutsche inzwischen schneller beschleunigt. Leute, es gibt nun mal keinen einzigen vernünftigen Grund, einen Sportwagen zu fahren ... ausser Fahrspass und Feeling. Und diese bekommt man nur mit drei Pedalen und einem Schaltknüppel.
Herzig? Kultig? Ach was! Der VW Käfer verdankt seine Existenz einer direkten Order Hitlers vom April 1934. Ferdinand Porsche klaute darauf das Design vom ungarischen Ingenieur Béla Barényi und das vom tschechischen Tatra V570. So konnte er ein Auto präsentieren, das im Rahmen einer Werbekampagne der NS-Organisation KdF («Fünf Mark die Woche musst Du sparen, willst Du im eignen Wagen fahren») mehr als 300'000 gutgläubigen Sparern insgesamt 268 Millionen Reichsmark aus der Tasche zog. Geld, das notabene gar keine Autos finanzierte, sondern die Produktion von V1-Raketen in der VW-Fabrik mittels Sklavenarbeit von KZ-Häftlingen. Und so ein V1-Ding zerstörte unser späteres Haus in South Kensington in London, weshalb es nicht wie die übrigen anliegenden Häuser eine hübsche viktorianische Fassade hatte, sondern eine biedere Backstein-Front. Langer Rede kurzer Sinn: F*ck you, VW Käfer!
Hässlich? Wirklich? Anders, gewiss. Mutig, gar. Und zudem praktisch, sparsam und mit seinem Sechsplätzer-Layout ein regelrechtes Raumwunder ... aber bleiben wir beim Thema Ästhetik: Wisst ihr, was das Design des Multipla nicht ist? Gewöhnlich. Und dieses als «wäh, so hässlich!» abzutun, nur weil es von der Norm abweicht, ist eine ungemein denkfaule und oberflächliche Haltung. Ach, ihr Ärmsten – das Autöli sieht nicht aus wie jedes andere und ihr fühlt euch deswegen in eurem Basic-Bro-Mainstream-Normalo-Ästhetik-Empfinden verletzt?
Deal with it. Nicht zuletzt, weil es da etliche andere Kandidaten gibt, die in Sachen Hässlichkeit den Multipla in den Schatten stellen. Den Porsche Panamera, etwa. Oder jene SUV-Coupé-Ungetüme. Oder so ziemlich die gesamte aktuelle BMW-Modell-Palette. Autos, die nicht nur hässlich aussehen, sondern eine hässliche Aussage haben: «Ich bin reicher als du – was mir das Recht gibt, eure Vorschulalter-Kinder niederzumähen, da ich sie aufgrund der idiotischen Übergrösse meines Walross-Autos übersehen werde.» Der Fiat Multipla mag vieles sein, nicht aber arrogant oder rücksichtslos.
Nein, nicht weil diese übergrossen Benzinschlucker schlechter für die Umwelt sind als andere Autos. Ja, das sind sie, aber darum geht es mir hier nicht. Vielmehr ist der anhaltende SUV-Verkaufs-Boom (hierzulande wie fast überall ein Fakt, leider) ein Modellbeispiel dafür, dass Menschen ihr eigenes subjektives Sicherheitsempfinden höher gewichten als das ihrer Mitmenschen. Über die Jahrzehnte wurden Motoren effizienter und klimaschonender – und was macht der Mensch? Er kauft Autos, die immer grösser und schwerer wurden, und damit die gewonnene Effizienz der Motoren wieder zunichtemachten (das wird sich mit Elektroantrieb im Kern auch nicht ändern; je grösser und schwerer das Auto, umso mehr Energie wird benötigt, um es fortzubewegen). Die Wirtschaftswissenschaft nennt es das Jevons-Paradoxon: Technischer Fortschritt, der die effizientere Nutzung eines Rohstoffes erlaubt, führt zu einer erhöhten Nutzung dieses Rohstoffes, anstatt sie zu senken. Um das Überleben unserer Spezies zu gewährleisten, hätten wir schon lange umdenken müssen – aber der Überlebenswille des Individuums sticht dies aus: Wir fahren Autos, die uns aufgrund ihrer Grösse das subjektive Gefühl von Sicherheit, Status, Überlegenheit etc. verleihen.
Ach, übrigens:
«Grossraumlimousine» hiess sowas früher. Renault Espace und Co. – die waren einst allgegenwärtig, ... bis SUVs alles niedermähten. Es wäre aber Zeit, dass Vans rehabilitiert werden, nicht zuletzt in Hinblick auf die Elektrifizierung des Individualverkehrs. Sie sind effizienter, bieten mehr Platz und ein angenehmeres Fahrverhalten. Nur eines bieten Minivans nicht: Jenes merkwürdige Gefühl der Überlegenheit ... womit wir beim vorigen Punkt wieder wären ... ach, die Menschheit wird an ihrer eigenen Dummheit untergehen.
Genau wie Deutschland auch. Oder Italien. Oder Japan. Hey, Herstellerländern unterschiedliche Qualitätsansprüche anzudichten, ist chauvinistischer Blödsinn und zudem faktisch längst überholt: Porsche baut Autos in der Slowakei, Fiat in Rumänien, VW in den USA, Toyota in Frankreich, Tesla in Deutschland ... und überall stehen die gleichermassen effizienten Roboter, die ohnehin viel bessere Qualitätsarbeit verrichten als jeder Fabrikarbeiter es je tun könnte.
Nein, sie sind vielmehr Apps auf Rädern. Und Elektroauto-Fans sind schon gar nicht Auto-Fans. Sie sind Tech-Fans. Sie gehören zur selben Gattung Menschen, die am Vorabend vor dem Apple-Geschäft anstehen, weil am nächsten Morgen das neuste iPhone rauskommt. «Schaut mal, was mein Auto alles kann seit dem neusten Software-Update! Es hat einen Furz-Modus!» (Was by the way ziemlich viel über den Humor solcher Leute aussagt.)
Hey, ich mag ja EVs. Sie sind zweifelsohne zumindest mittelfristig der Weg nach vorne in Sachen Individualverkehr. Verbrennungsmotoren sind ebenso zweifelsohne Relikte der Vergangenheit. Aber eigentlich sind Autos an sich Relikte der Vergangenheit. Denn diese leise dahinsummenden iMacs auf Rädern mit ihren anwählbaren Furz-Modi und live Twitter-Feeds sind vielleicht technische Wunder, aber gewiss keine Autos.