Was ist deine Kater-Kur? Konterbier? Bloody Mary? Oder frei nach Anthony Bourdain: «Aspirin, eins kiffen und etwas scharfes Szechuan-Essen»?
In der Riege der angeblichen Kater-Kuren (und, ach, ob sie wirklich funktionieren, … na ja – siehe Infobox unten) gibt es einen Drink – eine Drink-Familie gar, um genau zu sein –, der quasi seinen Zweck bereits in der Namensgebung verrät: Ladies and gentlemen, the Corpse Reviver – wörtlich der Leichenbeleber.
Während heutzutage Alkoholkonsum tagsüber gemeinhin als Zeichen einer fortgeschrittenen Alkoholsucht eingestuft wird, war der morgendliche Konsum von alkoholischen Getränken wie Cocktails im 19. Jahrhundert nicht ungewöhnlich. So definierte beispielsweise William Terrington 1869 in seinem Buch «Cooling Cups and Dainty Drinks» den Begriff «Cocktails» gar als «Mischungen, die bevorzugt von Frühaufstehern genutzt werden, um die Manneskraft zu stärken». Entsprechend kurz ist der gedankliche Schritt, Cocktails auch als Stärkung nach einem am Vortag erhöhten Alkoholkonsum zu begreifen.
Wie erwähnt, gibt es da eine ganze Drinks-Familie: Da wäre der Corpse Reviver No. 1, der No. 2, der Savoy Corpse Reviver, der Kentucky Corpse Reviver und eine ganze Reihe von Cafe Royal Revivers … und allesamt stammen sie aus der altehrwürdigen Urgeschichte der Cocktail-Kultur. Eine der ersten Erwähnungen des Begriffs «Corpse reviver» zur Beschreibung eines Mischgetränks taucht in der Literatur bereits in einer Ausgabe des britischen Magazins Punch im Jahr 1861 auf. Im «Gentleman's Table Guide» von 1871 erscheint ein Rezept, das «1/2 Weinglas Brandy, 1/2 Weinglas Maraschino und zwei Spritzer Boker's Bitters» vorsieht. Ein Rezept für einen Cocktail namens Criterion Reviver erschien 1875 in Leo Engels «American and Other Drinks»-Barguide.
Heute weitaus am gängigsten ist der Corpse Reviver No. 2, aber gehen wir doch kurz auf den No. 1 ein:
Der erste Corpse-Reviver-Cocktail, der Verbreitung fand, ist auf Cognac-Basis und wird im Savoy Cocktail Book (1930) des legendären Harry Craddock aufgeführt. Craddock rät, ihn «vor 11 Uhr morgens zu trinken, oder wann immer Dampf oder Energie benötigt wird».
Als Erfinder hingegen gilt Frank Meier, Barchef des Pariser Hôtel Ritz an der Place Vendôme von 1921 bis nach dem Krieg, zeitweiliger Spion und Résistance-Agent. Einer seiner Stammgäste war Ernest Hemingway, was wohl den Bedarf an einer Kater-Kur erklärt.
Heute wird wohl fast jede nicht näher erläuterte Bestellung eines Corpse Reviver in einer Bar die No. 2 zum Resultat haben. Dies ist die Version, die sich im Laufe der Zeit im populären Geschmack durchgesetzt hat und im Standard-Repertoire eines jeden Barmanns geblieben ist.
Der «Absinthe rinse» – das Benetzen des Glases mit Absinthe – ist der Schlüssel. Er sorgt für Aromen in der Nase, die aber am Gaumen nicht besonders wahrnehmbar sind.
Das Originalrezept der No. 2 verlangt nach Kina Lillet. Doch Lillet änderte 1985 seine Rezeptur und das moderne Lillet Blanc enthält kein Chinin mehr und schmeckt somit um einiges süsslicher. Als Alternative kann man den in der Schweiz hergestellten Kina L'Aero d'Or verwenden oder Cocchi Americano, die beide dem Original-Lillet geschmacklich sehr nahekommen.
Sagen wir's mal so: Es funktioniert in dem Sinne, dass es ein sanfter Drink ist, an dem man nippt, während man sich an die guten Zeiten erinnert, die man am Abend zuvor hatte.
Obwohl vier seiner fünf Zutaten Alkohol enthalten, ist der Corpse Reviver No. 2 kein besonders stark alkoholischer Drink. Jede Hauptzutat enthält nur um die 20 cl, was zu einem eher zitrusbetonten und fruchtigen Resultat führt. Der Alkoholgehalt liegt bei etwa 15–16 %, was ungefähr dem eines kräftigen Rotweins entspricht. (Zum Vergleich: Ein Martini im Verhältnis von 2:1 zwischen Gin und Vermouth kommt auf einen Alkoholgehalt von etwa 28–30 %. Dieser Wert kann noch deutlich höher liegen, wenn du deine Martinis trockener magst.)
Aber Obacht: Im Rezept des «Savoy Cocktail Book» für die No. 2 ist vermerkt, dass «Four of these taken in swift succession will un-revive the corpse again» – vier davon, in rascher Folge eingenommen, führen zur erneuten Nichtbelebung der Leiche.