Es war ein Statement gegen Ausverkauf von Musik und Kunst in der digitalen Ära: In einer Zeit, in der selbst weltbekannte Musiker kaum noch von den mageren Streaming-Tantiemen leben können, beschliesst das Hip-Hop-Kollektiv Wu-Tang Clan eine Kehrtwendung: Sie veröffentlichen ihr neustes Album als Unikat: Ein einziges physisches Exemplar davon wird hergestellt – und dem höchsten Bieter verkauft.
Vorbild ist das musikalische Mäzenatentum, wie es etwa in der Periode des Barock und der Klassik praktiziert wurde: Wohlhabende Mäzenen ‹leisten› sich Komponisten, um denen die Möglichkeit zu bieten, der Welt grosse Musik zu bescheren. Erklärtes Ziel von Wu-Tang-Produzenten Cilvaringz und RZA ist es, der Musik den Stellenwert der Kunst zurückzugeben:
Und so wurde anno 2014 vom neuen Album «Once Upon a Time in Shaolin» ein. einziges. Exemplar. gepresst.
Die Doppel-CD erhielt einen edlen Ledereinband und eine verzierte Schatulle und wurde in einem Tresorraum im Royal Mansour Hotel in Marrakesch, Marokko, aufbewahrt. Und dann wurde es am 3. Mai 2015 über das Online-Auktionshaus Paddle8 versteigert.
Für 2 Millionen Dollar.
In einer juristischen Vereinbarung mit dem Käufer wurde festgelegt, dass das Album bis zum Jahr 2103 nicht kommerziell verwertet und nur im kleinen privaten Rahmen weiteren Personen vorgespielt werden darf.
Blöd nur, dass es sich beim Käufer ausgerechnet um Martin Shkreli handelte. «Pharma-Bro», wie man ihn bald mal nannte; Poster-Boy des Raffgier-Kapitalismus; ein Hedgefonds-Manager, der sich darauf spezialisierte, Zulassungsrechte an Medikamente aufzukaufen und danach deren Preise anzuheben. Als bekannt wurde, dass Shkreli den Preis einer Tablette des AIDS-Medikaments Daraprim von 13,50 auf 750 Dollar pro Tablette angehoben hatte, galt er fortan als «meisstgehasster Mann in Amerika» (CNNMoney).
Als die Identität ihres Käufers publik wurde, spendeten Cilvaringz und andere Wu-Tang-Clan-Mitglieder einen «beträchtlichen Teil» (O-Ton) ihres Erlöses für wohltätige Zwecke. Derweil verkündete Shkreli, das Album kostenlos zu veröffentlichen, wenn Donald Trump die US-Präsidentschaftswahlen 2016 gewinnen würde. Im November, nach Trumps Wahl, streamte er kurze Auszüge des Albums online. Im September 2017 versuchte er «Once Upon a Time in Shaolin» über Ebay zu verhökern, wobei nach acht Tagen das höchste Gebot 1 Million Dollar überstiegen hatte. Doch die Auktion musste abgebrochen werden, da Shkreli vom US-Bundesgericht wegen Betrugs verurteit wurde und in Haft kam. (RZA selbst hatte versucht, das Album zu ersteigern; es überstieg aber sein Budget). Schlussendlich ging das Album als Teil von Shkrelis Vermögen, um Schäden aus seinem Betrug zu decken, in den Besitz des US-amerikanischen Staats über.
Und ... wie weiter?
Im Juli 2021 gab die stellvertretende Staatsanwältin für den östlichen Bezirk von New York bekannt, dass das US-Justizministerium das Album im Zusammenhang mit dem Verwirkungsurteil, das gegen Shkreli bei seiner Verurteilung im März 2018 erging, verkauft hat. Und nun, im Oktober 2021, wurden die Käuferschaft und Verkaufspreis publik:
4 Millionen Dollar. So viel bezahlte PleasrDAO, eine Gruppe die sich auf den Erwerb digitaler Sammlerstücke spezialisiert hat, dafür.
Zu den früheren Käufen des Kunstsammler-Kollektivs PleasrDAO gehören non-fungible tokens – NFTs – im Zusammenhang mit Whistleblower Edward Snowden und der russischen Punkband Pussy Riot (inzwischen ist Nadya von Pussy Riot selbst eines der rund 70 Mitglieder der Gruppe).
Das wertvollste Album der Musikgeschichte hat nicht nur an Wert gewonnen und einen neuen Besitzer bekommen, sondern auch eine neue Ebene an Komplexität: Was als rein physisches Produkt konzipiert wurde, hat eine digitale Komponente erhalten: eine NFT-Eigentumsurkunde. Das bedeutet, dass der Käufer des Albums in der Blockchain festgelegt wird.
Heisst das nun, dass «Once Upon a Time in Shaolin» nun doch für die Öffentlichkeit erhältlich wird?
«Dieses wunderbare Kunstwerk, dieser ultimative Protest gegen Mittelsmänner und Trittbrettfahrer von Musikern und Künstlern ging den Bach runter, indem es in die Hände von Martin Shkreli, dem ultimativen Internet-Bösewicht, gelangte», so Jamis Johnson, Chief Pleasing Officer (Ja, das ist sein echter Titel) von PleasrDAO im Interview mit «Rolling Stone Magazine». «Wir wollen es den Leuten zurückbringen. Wir wollen, dass die Fans auf irgendeiner Ebene an diesem Album teilhaben.»
Während «Once Upon a Time in Shaolin» mehrere Jahre als Teil des Schuldvermögens eines Betrügers in einem Aufbewahrungssafe schlummerte, entwickelte sich die Technik und das Konzept von non-fungible tokens. Und NFT-Enthusiasten sahen in Wu-Tangs Unikat-Album eine Anstrengung, die sich mit ihrem eigenen Interesse an Wertaufbewahrung deckte. Das Album ist gewissermassen das Ur-Modell der digitalen Einzigartigkeit.
Wie man praktisch und konkret «Once Upon a Time in Shaolin» «den Leuten zurückbringen» kann, steht aber noch in den Sternen, denn das Album ist immer noch an die Beschränkungen gebunden, die seine Veröffentlichung für die Allgemeinheit verbieten. Johnson räumt ein, dass man sich immer noch in der Ideenfindungsphase befinde. «Bei allen diesen Einschränkungen, oder zumindest bei einigen von ihnen, ist Spielraum vorhanden, sobald PleasrDAO nur eine gute Idee für die Umsetzung hat», so Johnson. «Wir wollen crazy shit machen, und wir wollen eine wirklich starke gemeinnützige Komponente haben. Aber», so gibt er zu, «es wird ein Weilchen dauern, bis wir's richtig machen können.»"
Somit ist das letzte Kapitel des teuersten Albums der Musikgeschichte längst nicht geschrieben. Es verspricht aber, spannend zu bleiben. Und ein klein wenig Hoffnung besteht, dass wir eines Tages, in irgend einer Form, «Once Upon a Time in Shaolin» hören dürfen.