Ich backe Marroni-Kuchen nach dem 120-jährigen Rezept meiner Urgrossmutter
Eines gleich vorweg: Kein Dessert auf dieser Erde wird je den Kastanienkuchen meiner Grossmutter übertrumpfen können. Vergesst es. Keine Chance. So unglaublich fein war das, dass ich das Originalrezept (handgeschrieben von der Adoptivmutter meiner Grossmutter!) eingerahmt habe:
Um die 120 Jahre alt muss das sein!
Schauen wir uns doch den Wortlauf mal genau an:
Und dann offenbar später hinzugefügt:
Es gibt noch eine weitere spätere Annotation – in der Handschrift meiner Grandma –, welche die ursprünglichen «40 Kastanien» durch etwas Benutzerfreundlicheres ersetzt:
Und deshalb wohl ist auch der Zuckeranteil auf «100 Gramm» nach unten korrigiert.
Jedenfalls schmeckte die Torte so gut wie die Ursünde. Sie bestand aus einer feuchten, perfekt (nicht übermässig) gesüssten Marroni-Paste, die mit einer feinen Zuckerglasur mit viel Kirsch überzogen war. Aufbewahrt wurde der Kuchen nicht im Kühlschrank, sondern im Geschirrkasten, wo er von Tag zu Tag schmackhafter und feiner wurde. Bis heute habe ich noch keinen besseren Kastanienkuchen gegessen. (Und glaubt mir, ich habe sooo viele probiert – weil ich Kastanien-Desserts über alles liebe.)
Es gibt also nur einen möglichen Ausweg:
Ich muss mir meinen eigenen Kuchen nach diesem alten Rezept backen!
Obwohl meines Wissens meine Grossmutter immer die Marroni-Püree-Version wählte, finde ich die Idee der «40 Kastanien», die da «durch ein Sieb» gedrückt werden, ungemein spannend. Deshalb: Ich backe gleich zwei Versionen!
Los geht's! 40 Kastanien! Selbst gesammelt!
Okay, okay, nein, die sind nicht selbst gesammelt, sondern beim örtlichen Supermarkt gekauft.
Nun ist «kochen» und «schälen» angesagt, wobei genaue Anweisungen, wie dies genau zu bewerkstelligen ist, fehlen. Eine kurze Internetrecherche ergibt alsbald: im Ofen oder in kochendes Wasser. Und da im Rezept «kocht» steht, tippe ich darauf, dass im Wasser kochen gemeint ist. Und dies geht offenbar wie folgt: Zuerst jede Kastanie kreuzförmig einschneiden ...
In der neuen TV-Show «Mis Mami chocht besser als dis» treten zwei Promis in einem spannenden Kochduell mit ihrem Mami oder nahestehenden Person gegeneinander an. Gekocht werden die Lieblingsrezepte aus ihrer Kindheit, natürlich mit Migros Produkten.
... (was imfall gar nicht so einfach geht, plant man sich keine Verletzungen zuzufügen), und dann circa 20 Minuten in leicht gesalzenem Wasser kochen.
Derweil:
Liest man etwas weiter, ist von «Eigelb» und «Eierschnee» die Rede. Aha – die Eier müssen also getrennt werden. Die Eigelbe werden mit der geschmolzenen Butter und dem Zucker verrührt. Und wohl an dieser Stelle kommt auch die Vanille rein – obwohl auch hier nicht genau steht, wann und wie viel. Ich probiere es mal mit dem Inhalt einer halben Schote. «Ziemlich lange rühren»? Naja ... ewig lange machte ich da nicht. Es sah dann so aus:
Und dann die vier Eiweisse mit einer Messerspitze Salz so lange steif schlagen, bis sich beim Herausziehen des Schneebesens kleine Spitzen bilden. Wie erwähnt mache ich dies alles zweifach, parallel zueinander – für die Rezeptvariation mit der Marroni-Paste habe ich, wie oben vermerkt, den halben Anteil Zucker verwendet – was eine viel gelbere Farbe des Eigelb-Mixes ergibt – siehe Bild hier:
Während die Marroni kochen, geht es also mit der Püree-Version weiter. Und zwar nicht irgendein Marroni-Püree, wie meine Grossmutter mir stets eintrichterte, sondern genau das hier:
Crème de marrons de l'Ardèche vanillée Clément Faugier – SOWAS von fein. Mit tiefdunkler Farbe und einiges cremiger als das gängige hiesige Marroni-Püree (zudem: «vanillée», womit man die Vanilleschote weglassen kann). Aber ... ich konnte keine solche auftreiben, denn leider hatten drei verschiedene Läden in meiner Umgebung das Produkt gerade nicht vorrätig. Ich wich auf ein vergleichbares, erhältliches Produkt aus «mit 100 Prozent Schweizer Marroni», das mir qualitativ am besten erschien (was aber Auswirkungen auf den Geschmack haben würde – dazu unten mehr). Dies kommt in die Eier-Zucker-Vanille-Mischung und wird unterrührt:
Danach den Eierschnee darunter ziehen, in eine eingefettete Kuchenspringform geben ...
... und ab in den 180 Grad heissen Ofen für ... wie lange eigentlich? In meiner Erinnerung sprach meine Grandma glaub von circa 30 Minuten.
Zurück zur Urgrossmutter-Version! Derweil sind bald mal die Marroni fertig gekocht. Und siehe da: Dank des kreuzförmigen Einschnittes sind sie etwas aufgesprungen und nun (hoffentlich) schälbar!
Etwas abkühlen lassen muss man sie ...
... und schon können sie geschält werden!
Oder auch nicht. Denn während sich die Aussenhülle easy peasy entfernen lässt, bleibt die bittere Innenhaut zum Teil kleben, und diese zu entfernen ist dann eine mega nervige, niffelige Büez. 🤬
Zudem: 40 Stück davon. 🙄
Immerhin – einige springen problemlos aus der Innenschale raus. Danke, Karma!
Nach einer gefühlten halben Ewigkeit (und einer ordentlichen Sauerei in der Küche) ist es dann so weit:
Im Vorfeld stellte sich die Frage, wie die Anweisung, «drücke sie durch ein Sieb» zu verstehen ist? Nachfrage bei unserem redaktionseigenen Profi-Koch Adrian Bürgler bestätigte meine Vermutung: Ja, nimm' ein Passe-vite oder so was Ähnliches.
Und in der Tat – das funktioniert ganz gut ... ist aber härteste Knochenarbeit, die auch wieder gehörig Zeit in Anspruch nimmt.
Irgendwann ist auch dieser Chrampf erledigt (boah ihr solltet nun meine Armmuskeln mal sehen!). Die Kastanien sind mit dem Eigelb verrührt, ...
... der Eierschnee kann unterrührt werden ...
... und alles kommt wiederum in eine eingefettete Kuchenform und wiederum ab in den 180 Grad heissen Ofen für wiederum circa 30 Minuten.
Zwischenstand: Wow – ich verstehe, weshalb die 120-jährige 40-Kastanien-zuerst-kochen-dann-schälen-und-danach-mit-Muskelkraft-durch-ein-Sieb-drücken-Methode der Cheat-Version mit vorgefertigtem Püree weichen musste. Selten musste ich etwas derart aufwendiges und zeitintensives vollziehen. Nun dürfen wir uns aber über zwei – hoffentlich feine – Kuchen freuen!
Beide Kuchen werden nach 30 Minuten aus dem Ofen genommen. Ich hatte die Check-Methode mit dem Holzspiesschen-Reinstecken gemacht, und bei beiden klebte nichts. Links die Urgrossmutter-Version, rechts die Grosi-Version:
Und dann kommt noch eine Zuckerglasur drüber (darauf gehe ich nun nicht im Detail ein – Puderzucker mit Wasser und Vieille Prune verühren). Und obwohl letztere nicht amtlich perfekt und gleichmässig ist ... HEY ich bin glaub mega stolz auf meine beiden Marroni-Kuchen!!
F yeah 💪
Nun zum Taste-Test! Links die 120 jährige Version, rechts die Püree-Version:
Hey. Ja. Doch. Beide sind richtig, richtig fein! Eine Meinung übrigens, die mir meine Kollegen aus der Watson-Redaktion teilten, als ich beide Kuchen am nächsten Tag mit ins Büro brachte. Und: Meine Kindheitserinnerung erwies sich als richtig, denn beide Kuchen schmeckten am nächsten Tag sogar noch besser.
Welche Version ist die Bessere?
Mir persönlich mundete die Version mit dem Püree ...
... allerdings mit einem «aber»: Sie hätte noch besser sein können. Das von mir verwendete Kastanienpüree ist schlicht und einfach nicht so geil (sorry – diese Wortwahl ist hier angebracht) wie die Crème de marrons de l'Ardèche. Es fehlt jene schmierige Dekadenz, jene geschmackliche Tiefe. Trotzdem: Lecker.
Der Kuchen mit den frischen Marroni hat eine etwas lockerere Konsistenz; ...
... die chunky Marroni-Stückchen verleihen ihm etwas Biss und die Süsse ist etwas zurückhaltender. Allgemein wirkt der Kuchen irgendwie urchiger. Und ja, auch: Lecker.
Hey, mir ging es darum, statt immer nur in Erinnerungen zu schwelgen, jene Ikone meiner kulinarischen Familiengeschichte in der Praxis zu testen. Das Fazit ist eindeutig: Ich empfehle fortan, meiner Grossmutters Annotation zu folgen und Marroni-Püree zu verwenden (aber zwingend jene Französische). Die 120-jährige Zubereitungsmethode mit den rohen Kastanien war durchaus spannend zu erleben, letztendlich aber viel zu zeitintensiv und eine saumässige Büez.
Wer jene Version trotzdem versuchen will, könnte einige der folgenden Ideen in Betracht ziehen, um die Arbeit zu erleichtern:
- Statt rohe, ungeschälte Kastanien könnte man wohl auch tiefgekühlte verwenden.
- Oder hey: Geh zum Marroni-Verkäufer und kauf dir 40 Stück davon!
- Wenn du trotzdem mit rohen Marroni hantieren willst, solltest du vielleicht die Ofen-Methode versuchen. Vielleicht sind sie so einfacher zu schälen.
- Und vielleicht statt mit dem Passe-vite sich einem Oberkörper-Workout zu unterziehen, ginge es mit einem Mixer besser?
Hier, zusammenfassend, nochmals beide Rezepte, Schritt für Schritt:
Zutaten:
- 40 Kastanien (roh oder tiefgekühlt oder gekocht vom Marroni-Stand gekauft)
- 125 g Butter
- 200 g Zucker
- 4 Eier
- 1/2 Vanilleschote
- Puderzucker, Wasser und etwas Schnaps für einen Zuckerguss
Zubereitung:
- Bei rohen Kastanien: jede Kastanie kreuzförmig einschneiden, in leicht gesalzenem Wasser ca. 20 Minuten kochen, abseihen, abkühlen lassen, schälen.
Bei tiefgekühlten Kastanien: auftauen lassen.
Bei Marroni vom Marroni-Stand: schälen.
- Ofen auf 180 Grad vorheizen.
- Eier trennen.
- Butter etwas schmelzen lassen und mit dem Eigelb, Zucker und Vanille gut verrühren.
- Kastanien pürieren, zum Eigelb geben und unterrühren.
- Eiweisse mit einer Messerspitze Salz steif schlagen, bis sich beim Herausziehen des Schneebesens kleine Spitzen bilden. Mit der Eigelb-Marroni-Mischung unterrühren.
- In eine gefettete Kuchenspringform geben und ca. 30 Minuten im Ofen backen.
- Eine Zuckerglasur zubereiten und auf den fertigen Kuchen verteilen. Abkühlen lassen.
Zutaten:
- 125 g Butter
- 100 g Zucker
- 4 Eier
- 3 Büchsen à 100 g Crème de marrons de l'Ardèche vanillée (Alternativ: dieses Bio-Marroni-Pürée.)
- Puderzucker, Wasser und etwas Schnaps für einen Zuckerguss
Zubereitung:
- Ofen auf 180 Grad vorheizen.
- Eier trennen.
- Butter etwas schmelzen lassen und mit dem Eigelb, Zucker und Vanille gut verrühren. Marroni-Püree portionsweise zum Eigelb geben und gut verrühren.
- Eiweisse mit einer Messerspitze Salz steif schlagen, bis sich beim Herausziehen des Schneebesens kleine Spitzen bilden. Zu der Eigelb-Marroni-Mischung geben und unterrühren.
- In eine gefettete Kuchenspringform geben und ca. 30 Minuten im Ofen backen.
- Eine Zuckerglasur zubereiten und auf den fertigen Kuchen verteilen. Abkühlen lassen.
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