Mmmh! Sriracha – wer mag sie schon nicht, die kultige Chilisauce mit dem Güggel-Logo und dem grünen Flaschenverschluss?
Sriracha ist längst nicht mehr ein exotisch anmutendes Kondiment, das man auf den Tischen im Asia-Takeaway findet. Nein, Sriracha ist allüberall. Denn Sriracha ist Kult.
Es gibt Fanclubs, Festivals und einen Dok-Film. Und Songs, gar.
Der Grund? Zum einen ist da der Geschmack: die perfekte Balance zwischen Schärfe, Würze und ein klein wenig Süsse. Delicious.
Zum anderen kommt die rührige Geschichte der Marke dazu: David Tran, der 1978 der Unterdrückung der chinesischen Minderheit durch das kommunistische Regime Vietnams entfloh und über mühevollen Umwege nach Südkalifornien gelangte, wo er alsbald seine hausgemachten Chilisaucen an die Restaurants von Los Angeles' Chinatown zu verhökern begann. Daraus entstand seine Firma Huy Fong Foods (nach dem Flüchtlingsschiff benannt, auf dem Tran den Weg in die Freiheit gefunden hatte). 40 Jahre später erwirtschaftet diese einen Millionenumsatz, befindet sich aber weiterhin in Familienbesitz und widersetzt sich nach wie vor lukrativen Übernahmeangeboten von Food-Multis. Die Jalapeños, welche die Hauptzutat bilden, sind von lokalen Bauern, und der Preis für eine Flasche ist seit Mitte der Achtziger gleich geblieben.
Die perfekte Origin Story.
Bloss stimmt sie so nicht ganz.
Nicht ganz, versteht sich (ja, der Titel dieses Artikels ist ein wenig clickbaitig). An David Trans Familiengeschichte ist nichts Inkorrektes. Sie ist aber nicht die Ursprungsgeschichte dieser beliebtesten Chilisauce der Welt.
Woher kommt Sriracha also wirklich? Einen Hinweis darauf liefert nur schon die Etikette der Huy-Fong-Sauce: Sie ist auf Englisch, Vietnamesisch und Chinesisch angeschrieben.
Und «Tương Ớt Sriracha» (Vietnamesisch für «Sriracha scharfe Sauce») weist auf den thailändischen Küstenort Si Racha hin.
Bereits im Spiel mit dabei sind also: USA, Vietnam ... China? Und Thailand?
Gastro-Historiker Adam Gottschalk, Betreiber des YouTube-Kanals On the Road and Off the Rails: Food & History, ist der Sache auf den Grund gegangen. Mithilfe befreundeter YouTuber Chris and Steph von Chinese Cooking Demystified ging es auf Entdeckungsreise – angefangen in besagtem thailändischen Küstenort Si Racha, einer kleinen Industriestadt fernab jeglicher Touristendestinationen, 90 Autominuten südlich von Bangkok gelegen.
Ja, in Thailand gibt es natürlich sehr wohl eine Chilisauce namens Sriracha. Man findet sie in der Regel in chinesisch-thailändischen Restaurants als Dipsauce für frittierte Speisen wie Meeresfrüchte oder als Beilage zu Reisnudeln oder gebratenen Omelettes mit Reis. Diese Sriracha-Sauce hat in Thailand ihren eigenen offiziellen Kanon – eine Geschichte, die dort ebenso berühmt ist wie die von David Tran in Amerika:
Sie beginnt in den Dreissigerjahren, als Gimsua Timkrajang aus Si Racha geschäftlich durch Südostasien reiste und dort alle möglichen Chilisaucen probierte; manche scharf, manche süss, manche sauer – aber keine, die all diese Geschmacksrichtungen in sich vereinte.
Dessen Tochter, eine junge Frau namens Thanom Chakkapak, nahm seine Idee auf und verbrachte Jahre damit, ein Rezept zu perfektionieren. Anfänglich verkaufte sie ihr Produkt im örtlichen Familienladen, doch 1949 eröffnete sie bereits eine Fabrik und nannte ihre Sauce Sriracha Panich. Alsbald wurde die Produktion gesteigert, um die Nachfrage im Land und bald auch in Übersee zu befriedigen. Die Marke wurde in ganz Südostasien ein Grosserfolg und fand primär in den Gemeinden chinesischer Einwanderer in Vietnam und Thailand eine grosse Käuferschaft. Tatsächlich war anno 1975, als David Tran seine erste Chilisauce in seiner Heimat Vietnam herzustellen begann, genau diese Sriracha-Marke die meistverkaufte Chilisauce in Vietnam.
Und heute ist Sriracha Panich die meistverkaufte Sriracha-Marke in den meisten Ländern der Welt. Und es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass Thanom Chakkapak die Erfinderin ist.
Aber ist sie es wirklich?
Adam Gottschalk beschreibt, wie ihm auffiel, dass den Einheimischen in Si Racha die Verbindung zwischen der Stadt und ihrer namensgebenden kulinarischen Kreation nicht wirklich bewusst zu sein schien. Nirgendwo eine Gedenktafel, nirgendwo ein Werbe-Claim – es dauerte gar ein Weilchen, bis er überhaupt Restaurants fand, welche Sriracha-Sauce im Angebot hatten. Und bei diesen handelte es sich ausnahmslos um Restaurants, die chinesische Gerichte servierten.
Womit wir das Rad der Geschichte wieder ein wenig weiter zurückdrehen müssen.
Sowohl bei David Trans Geschichte als auch bei Thanom Chakkapak ist evident, dass da eine enge Verbindung zur chinesischen Diaspora zu bestehen scheint. Chakkapaks erste Käuferschaft waren chinesische Einwanderer in Thailand; David Tran ist Chinese der ersten Generation aus Vietnam. Und tatsächlich waren alle Restaurants, die Gottschalk und seine Rechercheure in Thailand fanden, in denen Sriracha serviert wurde, auf chinesisches Essen spezialisiert. Chon Buri – die thailändische Region, zu der auch Si Racha gehört – hat eine lange Geschichte der chinesischen Einwanderung, die auf die 1880er zurückgeht. Eine Hungersnot in Südchina hatte grosse Bevölkerungsgruppen auf der Suche nach Arbeit oder besserem Ackerland zur Auswanderung gezwungen. Die meisten chinesischen Einwanderer, die sich in Bangkok oder Chon Buri niederliessen, kamen aus dem Gebiet Chaoshan im östlichen Teil der Provinz Guangdong (Kanton) in Südchina.
In ganz Asien gibt es inzwischen Chilisaucen im Stil von Sriracha; und sie alle verwenden fast identische Zutaten. Die Huy-Fong-Version, etwa, enthält Chilis, Salz, Zucker, Knoblauchpulver, Essigsäure, zwei natürliche Konservierungsstoffe und Xanthan als Verdickungsmittel. Was die thailändische Variante einzigartig macht, ist ihre Verwendung von eingelegtem Knoblauch anstelle von Knoblauchpulver. Laut den Foodhistorikern Chris und Steph von Chinese Cooking Demystified gibt es nur ein einziges weiteres bekanntes Beispiel einer solchen Chilisauce – eines aus der Stadt Guangzhou in Guangdong. Dort wurde bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine derartige Chilisauce produziert – und auch nach Thailand exportiert –, zwei ganze Generationen bevor Chakkapak mit ihrer Version zu experimentieren begann.
Diese kantonesische (etwas knoblauchlastigere) Version taucht bereits in Hongkong in den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts auf, in den letzten Jahren der Qing-Dynastie. Damals traf sich eine kleine Gruppe junger Revolutionäre, die sich «Die vier Banditen» nannten, heimlich in einem kleinen Nudelrestaurant im Hongkonger Stadtteil SoHo (zu ihnen gehörte auch der junge Sun Yat-sen, der 1911 erfolgreich den Aufstand gegen den Kaiser anführte und später als erster Präsident der Republik China fungierte). Dort assen sie Wonton-Suppe mit einer Knoblauch-Chili-Sauce, die nachweislich der heutigen Sriracha-Sauce ähnelte.
Tatsächlich begann 1891 eine Marke namens Kam Chun Koon Yick mit der Abfüllung ihrer eigenen Version der Sauce nur einen Block entfernt von dem Ort, an dem sich die Gruppe von Sun Yat-sen traf. Um die Jahrhundertwende boomte das Geschäft bereits, und weitere zehn Jahre später wurde das Produkt auch in Übersee verkauft (es wurde sogar auf der British Empire Exhibition 1924 in Wembley ausgezeichnet).
Fassen wir also zusammen: Eine Chilisauce, die heute als Sriracha verkauft wird, wurde in den Zwanzigerjahren in kantonesische Expat-Gemeinden in aller Welt exportiert. Und zu dieser Zeit befand sich die grösste kantonesische Einwanderergruppe in Thailand ... im Städtchen Si Racha.
So sieht's also aus: Eine Chilisauce durchwandert Zeit, Länder und Kontinente – von Guandong über Hongkong und Si Racha nach Vietnam und Kalifornien. Heute wird die amerikanische Version von Sriracha nach Thailand exportiert, während Sriracha Panich im Gegenzug seine Version nach Amerika liefert. Letztere hat ausserdem ihren grössten Exportmarkt in China gefunden, wo die Konsumenten wohl gar nicht wissen, dass sie ursprünglich von dort stammt.
Es ist wichtig zu erwähnen, dass keiner der Hauptakteure der modernen Sriracha-Geschichte – weder die Gründer von Kam Chun Koon Yick, noch Thanom Chakkapak oder David Tran – jemals Urheberschaft beanspruchte; keiner von ihnen liess ein Rezept schützen. Diese sind alle auf der Flasche aufgedruckt oder im Internet frei verfügbar und können zu Hause nachgekocht werden oder – wie es etliche Start-ups in den letzten paar Jahren vermehrt vorgemacht haben – in deiner eigenen Sriracha-Fabrik.
Und nun, im Jahr 2024, dem Jahr des Drachen im chinesischen Kalender, ist Sriracha die Chilisauce mit dem weltweit am schnellsten wachsenden Marktanteil.
Sie ist die erste globale Chilisauce.
Sie gehört uns allen.