Sie war schon Queen, als er zur Welt kam. Und sie hat ihn überlebt. Die Rede ist von Elizabeth II. und Roger Michell. Sie kennen wir alle. Ihn auch. 1999 dreht er einen Film mit Hugh Grant und Julia Roberts und macht einen bisher unbekannten Londoner Stadtteil zum Sehnsuchtsort für alle, die von Liebe und einem Leben in einer shabby chicen Bohème träumen: «Notting Hill». Ein paar Jahre später soll Michell einen neuen Bond drehen, aber da monatelang kein brauchbares Drehbuch vorliegt, gibt er den bestbezahlten Auftrag seiner Karriere entnervt wieder ab und ein Schweizer namens Marc Forster macht daraus «Quantum of Solace».
Jetzt kommt Michells neuer Dokumentarfilm «Elizabeth – A Portrait in Part(s)» in Umlauf. Genauer um den 2. Juni, also zum 70. Thronjubiläum der Queen. Der Regisseur wird seinen neuen Triumph nicht erleben, er ist am 22. September 2021 mit nur 65 Jahren überraschend gestorben. Die Queen feiert am 21. April ihren 96. Geburtstag.
Michell kommt 1956 als britischer Diplomatensohn im südafrikanischen Pretoria zur Welt. Nur wenige Kilometer neben Pretoria war ein halbes Jahrhundert zuvor der bis heute grösste Diamant der Welt gefunden worden. Er wurde zu neun Steinen geschliffen, der grösste im Wert von 400 Millionen Pfund, sitzt im Szepter der Queen, andere in der Imperial State Crown und weiteren britischen Kronjuwelen.
Kindheit und Jugend verbringt Michell in Beirut, Damaskus und Prag, wo er 1968 den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes erlebt. Die damals noch junge Queen dürfte er als entrückte Export-Ikone wahrgenommen haben. Schliesslich kehrt er nach England zurück, studiert Literatur und wird Regisseur, Dramatiker und Schauspieler. Er arbeitet am Theater, wird Assistent von Samuel Beckett, Arbeitskollege von Danny Boyle und Stephen Frears und Regisseur von Daniel Craig. Theater ist seine Berufung, Film seine Nebenbeschäftigung.
Um das Leben der Queen in Teilen zu erzählen, hat Michell in den Filmarchiven der ganzen ihr untergebenen Welt des Commonwealth geforscht. Hat unbekanntes Material aus Tansania oder Neuseeland geborgen, und unzählige Aufnahmen gefunden, die zeigen, was hinter den Kulissen eines Auftrittes der berühmtesten Frau der Welt geschieht. Wir sehen sie als Spektakel und als Fassade – und wie sie dazu gemacht und zum Massen-Event gestylt wird.
Inszenierung ist alles. «You either enjoy the fiction – or you don't», heisst es in einem historischen O-Ton, entweder geniesst man die Fiktion oder nicht. Bei Porträtsitzungen für Briefmarken oder Gemälde werden die Mundwinkel der Queen zum milden Lächeln der Mona Lisa angehoben. Die Protokolle, die es in ihrer Anwesenheit zu berücksichtigen gibt, sind ausladend und surreal und bilden eine höchst effiziente Mechanik der Einschüchterung.
Ein Samsung-Werk spielt seinen Angestellten mehrmals täglich das Instruktionsvideo für den Besuch der Queen vor, Prominente fallen kichernd in sich zusammen, wenn sie ihr begegnen. Nur Paul McCartney erinnert sich an seine handfeste Schwärmerei für sie: «Für mich war sie ein Babe. Es gab da eine gewisse Geilheit in einem Teenager.»
Es gibt im Umgang mit der Queen falsche und korrekte Anreden, Schrittfolgen, Tischordnungen oder komplex gestaltete Schemel, damit man angemessen vor ihr knien kann. Ein Palastangestellter zeigt einen Vorrat an Orden: «Davon vergeben wir Tausende im Jahr.» 1965 nehmen die Beatles ein paar davon im Buckingham Palast in Empfang, 1969 gibt John Lennon seinen «aus vielerlei Gründen» wieder zurück. Etliche Frauen von vergleichbarer Statur werden über die Jahrzehnte als Stand-Ins für die Queen beschäftigt, sitzen während Beleuchtungsproben für irgendwelche Zeremonien auf Thronen, üben mit Kutschern oder Gästen.
Geordnet hat Michell seinen schnellen, von viel Musik begleiteten und von Robbie Williams eröffneten Zusammenschnitt nach Kapiteln. Sie heissen etwa «The Queen's Speech», «Ma'am», «Zuhause», «Im Sattel», «Auf See», «Horribilis» oder «Die Zeit vergeht». Das Prinzip seiner Annäherung ist die Wiederholung, die zugleich das einfachste Mittel ist, um Komik zu erzeugen.
In grotesken Endlosschlaufen sehen wir die Queen Blumen aus Kinderhänden entgegennehmen, Betriebe besichtigen, von denen sie wenig Ahnung hat, aus Zügen auf Menschen herabwinken, die ihr sichtbar fremd sind, Reden nach den immer gleichen Formeln halten oder folkloristische Darbietungen ertragen. Mal möchte man laut lachen, mal stehen einem die Haare zu Berge ob all der Massen, die von ihr ergriffen sind.
Ihre öffentlichen Auftritte scheinen von einer künstlichen Intelligenz übernommen worden zu sein, deren performative Geschmeidigkeit sich noch in einem argen Entwicklungsstudium befindet. Und plötzlich ist es, als ob die eiskalte, artifizielle höfische Welt des Diana-Films «Spencer» sehr viel näher an einer möglichen Wirklichkeit sein könnte als die nahbareren Royals aus «The Crown».
Weicher, witziger und selbstbewusster wird Elizabeth hinter den Kulissen. Wenn sie nicht übermenschlich wirken muss, sondern sich für Praktisches oder Pferde interessieren darf. Wir sehen, wie sie bei Pferderennen jede Hemmung verliert und nur noch Fan ist und wie sie sich zuerst und ganz ruhig um ihr Pferd kümmert, während um sie herum Panik ausbricht, weil während einer Parade ein 17-Jähriger sechs Schüsse auf sie abfeuert. Zum Glück nur mit einer harmlosen Startpistole, wie sie bei Wettkämpfen benutzt wird. Und wir sind dabei, wie sie die Last der Krone erklärt, die ihr bei einer falschen Bewegung «den Hals brechen» würde: «Kronen haben ein paar Nachteile, aber sonst sind sie ziemlich wichtig.»
Michell kommentiert die Geschehnisse nicht mit Worten, aber mit Bildern. Und dies nicht mit historischen, sondern mit fiktionalen. Mit Bildern aus Spielfilmen, genauso inszeniert wie die grosse Show der Queen. «Cleopatra» mit Elizabeth Taylor, «Elizabeth» mit Cate Blanchett, Kriegsfilme, Science-Fiction-Filme. Der Totalitarismus, der Militarismus, der Kolonialismus, die schiere Machtentfaltung, aus denen das Weltreich der Queen einst entstand, die unüberwindbare Distanz einer Königin zu ihren Untergebenen, wachsen so raffiniert aus der symbolischen Fasnacht der letzten Jahrzehnte. Elizabeth II. ist mitnichten nur die apolitische, spröde, verlässliche Landesmutter. An ihrer Krone klebt viel Blut, das ruft uns Michell bei aller Feierlaune elegant in Erinnerung.
Wenn schliesslich all die kollabierenden oder exilierenden Paare – Charles & Diana, Andrew & Fergie, Anne & Mark Philipp, Harry & Meghan – zynisch mit dem brennenden Windsor Castle und dem Verschrotten von Filmkulissen hinterlegt werden, fühlt man eine fiese Genugtuung in sich auflodern. Möglicherweise ist dies das Märchen mit den meisten unglücklichen Prinzen und Prinzessinnen.