Vor bald drei Monaten hat die Gemeindeversammlung von Oberwil-Lieli entschieden, dass im Dorf künftig Asylbewerber aufgenommen werden sollen. Die reichste Gemeinde im Kanton soll sich demnach nicht mehr von der Aufnahmepflicht freikaufen können. Dies erreichten Studentin Johanna Gündel und die IG Solidarität Oberwil-Lieli mit einem Antrag an der Versammlung. Doch ob und wann dieser Beschluss, der mit 176 zu 149 Stimmen an der «Gmeind» fiel, umgesetzt wird, ist völlig offen.
Gegen den Entscheid hat sich der pensionierte Fabrikant Robert Mayer mit einer Abstimmungsbeschwerde beim Kanton und einem Referendumsbegehren gleich doppelt gewehrt. Vorerst ist nun das Verwaltungsgericht am Zug, die Richter müssen entscheiden, ob die Abstimmung an der Gemeindeversammlung korrekt abgelaufen ist. In seiner Beschwerde verlangt Mayer, der Beschluss zur Aufnahme von Asylbewerbern sei als nichtig zu erklären. Dies, weil die Einheit der Materie verletzt sei, wenn ein solcher Antrag im Rahmen des Budgets behandelt werde.
Auch der Gemeinderat stellt sich auf diesen Standpunkt, wie ein Protokollauszug der Sitzung vom 21. Dezember zeigt, den die IG Solidarität bei der Gemeindekanzlei verlangt hatte. Darin heisst es, SVP-Gemeindeammann Andreas Glarner habe an der Versammlung klargemacht, dass man den Antrag von Gündel «nicht so entgegennehmen könne». Gemäss der Tonbandaufnahme habe Glarner an der «Gmeind» gesagt, zulässig wäre nur ein Antrag gewesen, die 290'000 Franken für die Ersatzabgabe an den Kanton aus dem Budget zu streichen». Den Betrag im Budget zu belassen, aber fix zu definieren, das Geld dürfe nicht zum Freikaufen eingesetzt werden, sei nicht möglich.
Weshalb trotzdem darüber abgestimmt wurde, geht aus dem Protokollauszug nicht hervor. Der Gemeinderat vertritt weiterhin die Meinung, der Antrag wäre «in der abgestimmten Form gar nicht zulässig gewesen». Die ganzen Diskussionen rund um das Thema «Asylanten» hätten laut der Behörde ins Traktandum «Verschiedenes und Umfrage» verlegt werden müssen.
Anders sah dies die Gemeindeabteilung des Kantons, welche die Beschwerde von Robert Mayer in erster Instanz abwies. Es habe zwar Fehler im Abstimmungsverfahren gegeben, es stehe aber fest, dass «das Resultat, also die Zustimmung zum Antrag Gündel, den Willen der Stimmberechtigten richtig zum Ausdruck bringt».
Andreas Glarner und seine Gemeinderatskollegen halten dennoch an ihrer Position fest. In der Stellungnahme ans Verwaltungsgericht heisst es: «Generell stellt sich die Frage, ob eine Gemeindeversammlung überhaupt über einen Antrag zur Aufnahme von Asylbewerbern abzustimmen hat.» Schliesslich sei dieser Aufgabenbereich im übergeordneten Recht geregelt. Zudem sei diese Frage «in keinster Weise» für die Gemeindeversammlung traktandiert gewesen. Der Gemeinderat stütze deshalb weiterhin Mayers Forderung, «dass der Antrag der IG Solidarität für nichtig erklärt wird».
Martin Uebelhart, Sprecher der IG Solidarität, sagt auf Anfrage: «Wir haben die Dokumente am Mittwoch erhalten und müssen sie im Detail studieren, bevor wir uns äussern können.» Eine erste Lektüre lasse allerdings erkennen, «dass einige Darstellungen des Gemeinderats durchaus anfechtbar sind», hält Uebelhart fest. Die IG Solidarität ist nicht Partei im Beschwerdeverfahren. «Ob wir dem Verwaltungsgericht unsere Sicht der Dinge dennoch darlegen werden, ist offen», sagt Uebelhart.
Solange das Verfahren läuft, werden in Oberwil-Lieli keine Flüchtlinge einquartiert. Damit erfüllt die Gemeinde ihre Aufnahmepflicht nicht, für die acht fehlenden Plätze wäre pro Tag und Person eine Abgabe von 110 Franken fällig. «Im Prinzip gilt die Quote auch, wenn Gerichtsentscheide oder Referenden hängig sind», sagt Balz Bruder, Sprecher des Sozialdepartements. Dennoch zahlte Oberwil-Lieli bisher nichts, wie Gemeindeschreiberin Cornelia Hermann sagt. Die Ersatzabgabe werde laut Auskunft des Kantons erst fällig, «wenn der Gemeinde Flüchtlinge zugewiesen worden sind, was noch nicht der Fall war».
Bruder erklärt, die Abgabe könne erst verrechnet werden, wenn dem Kanton tatsächlich Kosten entstehen würden, weil er Flüchtlinge anderswo unterbringen müsse, die eigentlich für Oberwil- Lieli vorgesehen wären.
Im Klartext: Solange es anderswo noch Platz gibt, bleibt die reichste Gemeinde des Kantons von Ersatzzahlungen verschont.